DZSM-MITTEILUNG

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Fortsetzung Die drei Säulen der Sportmedizin und ein Blick in die Zukunft

In den dreißig Jahren seit der Wende hat sich mit der geopolitischen Situation und der Stellung des Hochleistungssports auch die Position der Leistungsdiagnostik und der entsprechenden Anwendungsbereiche deutlich verschoben. Der Leistungssport wurde im wiedervereinigten Deutschland gewissermaßen demokratisiert. Die ursprünglich sehr elitären Methoden der physiologischen Leistungsdiagnostik sind nun über eine Vielzahl privater Institute auch Hobbysportlern problemlos zugänglich. Wettkampfsport wird heute weniger über eine Vereins- und Verbandszugehörigkeit begründet; speziell im Laufsport erleben wir weiterhin einen gewaltigen Boom riesiger Massenveranstaltungen mit Leistungscharakter und damit auch eine starke Nachfrage nach allgemein verfügbarer Ausdauerleistungsdiagnostik. In logischer Konsequenz ist die Leistungsdiagnostik auch keine wissenschaftlich-sportmedizinische Domäne öffentlicher Einrichtungen geblieben. Vielmehr bedienen heutzutage viele kleine und private Institutionen das Thema. In der institutionellen Sportmedizin wird Leistungsdiagnostik zusätzlich weiterhin vor allem in Verbindung mit Sporttauglichkeitsuntersuchungen (meist im Dialog mit Trainern und Betreuern im Sport) und zur Einrichtung präventiver Trainingsprogramme angeboten. Ohne die medizinische Vorsorgediagnostik wird Ausdauerleistungsdiagnostik bei vorhandener Expertise demgegenüber inzwischen auch von Trainingswissenschaftlern und in der allgemeinen Sportbetreuung außerhalb der Sportmedizin gewinnbringend eingesetzt.

Eine ungelöste Diskrepanz im generellen Verständnis leistungsdiagnostischer Ergebnisse besteht allerdings seit der Gründerzeit der Leistungsdiagnostik: so ist es zwar von unbestrittener wissenschaftlicher Relevanz, die Maschinerie der intrazellulären Abläufe der Energiebereitstellung modellhaft zu partikularisieren und die Ausprägung der einzelnen Faktoren bei spezifischen Anforderungen zu thematisieren. So konnten beispielsweise allein für das Molekül Laktat in den letzten Jahren neben seiner Funktion als Energieträger auch wichtige Regulations- und Signaleigenschaften gefunden werden (4). Aber trotz aller Relevanz der Zusammenhänge liefern die verfügbaren Messmethoden allenfalls Indizien und Diskussionsgrundlage, keinesfalls jedoch diagnostisch eindeutig verwertbare Fluss- und Zustandsgrößen zur Quantifizierung des postulierten komplexen Stoffwechselsystems unter Belastung. Eine generisch-praktische Anwendung differenzierter Modelle zur Bewertung realer Eigenschaften wie der „Ausdauerleistungsfähigkeit“ oder „Sprintvermögen“, der Umweg über mehrfach ineinander verschränkte Annahmen von Systemgleichgewichten eher unsinnig. Die entsprechenden, vermeintlich fortschrittlichen Methoden werden zwar immer wieder recht populär vermarktet, verwertbare wissenschaftliche Evaluationen liegen jedoch häufig nicht vor oder sind aufgrund der nicht fassbaren Zielgrößen schwer überprüfbar

Sucht man demgegenüber nach verlässlichen Bezugsgrößen zur Validierung von Ausdauerleistungsdiagnostik, wird die tatsächliche, physikalische Leistung und die Leistungsfähigkeit von Personen mit modernen Methoden heutzutage immer leichter und dauerhafter messbar (9). Anschluss an Zukunftstechnologien gewinnt die Sportmedizin daher auch durch Anwendung neuartiger Messsysteme zur Bewegungsanalyse und Mustererkennung in inzwischen allseits vorhandenen Wearables – tragbaren Messsystemen. Hier sind vor allem die meist internetbasierten Technologien zu nennen, welche mit neuen Sensortypen Anwendungsfelder für die tägliche Datenerfassung in Smartphones oder Smartwatches ermöglichen. Wir stehen aber noch ganz am Anfang, wenn es darum geht, die anfallenden Bewegungsmuster kategorisch zu interpretieren und dem gewünschten Gesundheits- und Trainingseffekt zuzuordnen. Die Chance ist da: erstmals kann mit ambienter Diagnostik physiologische Leistungsdiagnostik auf die gesundheitsbezogenen Effekte von Bewegung, Leistung und Leistungsfähigkeit im Alltag hin inhaltlich evaluiert werden. Neben den bereits vorhandenen drei Säulen der Sportmedizin erleben wir also vielleicht gerade die Geburt einer vierten – die Anwendung, Interpretation und Nutzung umfassender Datenmengen aus den neuen Technologien im Kontext bewegungsbezogener Gesundheitsförderung.

■ Röcker K, Abel C