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Fortsetzung Die Epidemiologie körperlicher Aktivität – welche Forschungslücken gilt es zu schließen?

Systematisches Monitoring fehlt

In Europa ist Bewegungsmangel weit verbreitet und die Empfehlungen der WHO werden größtenteils nicht erreicht, es fehlt jedoch ein systematisches Monitoring für regionale Vergleiche und die Analyse zeitlicher Trends. Nach eigenen Angaben treiben 42% der Europäer bzw. 29% der Deutschen über 15 Jahre nie Sport, in der Altersgruppe über 55 Jahre sind es sogar 70% der Männer und 71% der Frauen (5). Dieser Prozentsatz ist in den niedrigen Bildungsschichten und in den südeuropäischen Ländern am größten. Ähnlich sieht es mit Alltagsaktivitäten wie Gehen, Gartenarbeit oder Radfahren aus: Insgesamt geben 52% an, dies selten oder nie zu tun, wobei Frauen noch weniger aktiv sind als Männer. Nach eigenen Angaben verbringen 69% der Befragten 2,5 bis 8,5 Stunden täglich sitzend. Leider geben diese Daten keine klare Auskunft über den Anteil der Bevölkerung, der die WHO-Empfehlungen zur KA erfüllt. Es geben jedoch 54% bzw. 44% an, in der zurückliegenden Woche nie intensiv bzw. moderat körperlich aktiv gewesen zu sein, so dass die Mehrheit die Empfehlungen nicht erreicht haben dürfte.

Inzwischen gibt es eine Reihe von Studien mit Kindern, die sogar objektive Messdaten erhoben haben, von denen viele in der sogenannten International Children’s Accelerometry Database (ICAD) zusammengefasst werden konnten (3). Danach sinkt ab sechs Jahren die KA um 4,2% pro Lebensjahr, wobei Mädchen weniger aktiv sind als Jungen und sich höhere Aktivitätswerte im Norden als im Süden Europas zeigen. Dies wird durch die europäische IDEFICS-Studie von Kindern im Alter zwischen 2 und 10,9 Jahren bestätigt (7). Nur ein kleiner Teil erreicht die Empfehlungen von täglich 60 Minuten moderater bis intensiver KA. Dieser Anteil variiert bei Mädchen von 2% in Zypern bis 14,7% in Schweden und bei Jungen von 9,5% in Italien bis 34,1% in Belgien.

Diese vorliegenden Daten verdeutlichen einen erheblichen Bewegungsmangel bei Erwachsenen und Kindern, jedoch erlauben sie kaum systematische Untersuchungen von zeitlichen Trends oder regionalen Unterschieden von körperlicher Aktivität und sitzendem Verhalten. Vor allem bei Jugendlichen und Kindern mangelt es an systematischen Routineerhebungen. Wünschenswert wäre ein länderübergreifendes systematisches Monitoring mit einheitlicher und valider Methodik, das es bisher – mit unterschiedlicher Qualität – nur in wenigen europäischen Ländern gibt.

Determinanten von Bewegungsmangel

Eine wirksame Prävention zur Verringerung des Bewegungsmangels muss an den Determinanten von körperlicher Aktivität und sitzendem Lebensstil ansetzen. Verhaltensorientierte Interventionen zur Förderung von KA, die mit vertretbarem Aufwand auf breiter Bevölkerungsebene eingesetzt werden können, haben nur geringe Erfolge gezeigt. Daher setzt sich die Erkenntnis durch, dass Interventionen an den vorgelagerten (upstream) Determinanten von Bewegungsmangel ansetzen sollten, statt in Aufklärungskampagnen und Appellen zur Verhaltensänderung stecken zu bleiben. Dieser Paradigmenwechsel hin zu einer verhältnisorientierten Prävention erfordert gesicherte Erkenntnisse, welche Determinanten veränderbar und einer Intervention zugänglich sind.

Trotz zahlreicher Untersuchungen zu einzelnen biologischen, psychologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Faktoren, die das Bewegungsverhalten beeinflussen, fehlt ein umfassendes Verständnis des Zusammenspiels und der relativen Bedeutung der verschiedenen Faktoren in einer Lebenslaufperspektive. Eine Bündelung und Systematisierung der heute vorhandenen Wissensbasis zu den Determinanten von Ernährung, KA und sitzendem Verhalten ist ein zentrales Ziel des DEDIPAC-Projektes, das von zwölf europäischen Ländern unterstützt wird (8). Bei genauerer Betrachtung ist allerdings zu konstatieren, dass sich unser gesichertes Wissen zu Einflussfaktoren für sitzendes Verhalten und körperliche Aktivität vor allem auf kaum beinflussbare Faktoren wie Alter, Geschlecht und soziale Position beschränkt. Hier benötigen wir dringend einen Erkenntnisfortschritt wie ihn z. B. die verbesserten Methoden zur Untersuchung des Einflusses der bebauten Umgebung auf das Bewegungsverhalten von Kindern und Erwachsenen liefern können (2, 11).

■ Ahrens W

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Quellen:

  1. Bouchard C, Blair SN, Katzmarzyk PT. Less sitting, more physical activity, or higher fitness? Mayo Clin Proc. 2015; 90: 1533-1540. doi:10.1016/j.mayocp.2015.08.005

  2. Buck C, Tkaczick T, Pitsiladis Y, De Bourdehaudhuij I, Reisch L, Ahrens W, Pigeot I. Objective measures of the built environment and physical activity in children: from walkability to moveability. J Urban Health. 2015; 92: 24-38. doi:10.1007/s11524-014-9915-2

  3. Cooper AR, Goodman A, Page AS, Sherar LB, Esliger DW, van Sluijs EM, Andersen LB, Anderssen S, Cardon G, Davey R, Froberg K, Hallal P, Janz KF, Kordas K, Kreimler S, Pate RR, Puder JJ, Reilly JJ, Salmon J, Sardinha LB, Timperio A, Ekelund U. Objectively measured physical activity and sedentary time in youth: the International children‘s accelerometry database (ICAD). Int J Behav Nutr Phys Act. 2015; 12: 113. doi:10.1186/s12966-015-0274-5

  4. deRezende LF, Rodrigues Lopes M, Rey-López JP, Matsudo VK, Luiz Odo C. Sedentary behavior and health outcomes: an overview of systematic reviews. PLoS ONE. 2014; 9: e105620. doi:10.1371/journal.pone.0105620

  5. European Commission. Special Eurobarometer 412 - Sport and Physical Activity. Brussels, Directorate-General for Education and Culture and Directorate-General for Communication 2014. http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_412_en.pdf [07. Mai 2016].

  6. Garriguet D, Tremblay S, Colley RC. Comparison of Physical Activity Adult Questionnaire results with accelerometer data. Health Rep. 2015; 26: 11-17.

  7. Konstabel K, Veidebaum T, Verbestel V, Moreno LA, Bammann K, Tornaritis M, Eiben G, Molnár D, Siani A, Sprengeler O, Wirsik N, Ahrens W, Pitsiladis Y; IDEFICS consortium. Objectively measured physical activity in European children: the IDEFICS study. Int J Obes. 2014; 38: S135-S143. doi:10.1038/ijo.2014.144

  8. Lakerveld J, van der Ploeg HP, Kroeze W, Ahrens W, Allais O, Andersen LF, Cardon G, Capranica L, Chastin S, Donnelly A, Ekelund U, Finglas P, Flechtner-Mors M, Hebestreit A, Hendriksen I, Kubiak T, Lanza M, Loyen A, MacDonncha C, Mazzocchi M, Monsivais P, Murphy M, Nöthlings U, O‘Gorman DJ, Renner B, Roos G, Schuit AJ, Schulze M, Steinacker J, Stronks K, Volkert D, Van‘t Veer P, Lien N, De Bourdeaudhuij I, Brug J; DEDIPAC consortium. Towards the integration and development of a cross-European research network and infrastructure: the DEterminants of DIet and Physical ACtivity (DEDIPAC) Knowledge Hub. Int J Behav Nutr Phys Act. 2014; 11: 143. doi:10.1186/s12966-014-0143-7

  9. Parikh T, Stratton G. Influence of intensity of physical activity on adiposity and cardiorespiratory fitness in 5-18 year olds. Sports Med. 2011; 41: 477-488. doi:10.2165/11588750-000000000-00000

  10. Pigeot I, Foraita R. Faul macht krank? Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2012; 55: 1-2. doi:10.1007/s00103-011-1398-7

  11. Sallis JF, Cerin E, Conway TL, Adams MA, Frank LD, Pratt M, Salvo D, Schipperijn J, Smith G, Cain KL, Davey R, Kerr J, Lai PC, Mitáš J, Reis R, Sarmiento OL, Schofield G, Troelsen J, Van Dyck D, De Bourdeaudhuij I, Owen N. Physical activity in relation to urban environments in 14 cities worldwide: a cross-sectional study. Lancet. 2016. [Epub ahead of print]. doi: 10.1016/S0140-6736(15)01284-2

  12. Verbestel V, De Henauw S, Bammann K, Barba G, Hadjigeorgiou C, Eiben G, Konstabel K, Kovács E, Pitsiladis Y, Reisch L, Santaliestra-Pasías AM, Maes L, De Bourdeaudhuij I; IDEFICS Consortium. Are context-specific measures of parental-reported physical activity and sedentary behaviour associated with accelerometer data in 2-9-year-old European children? Public Health Nutr. 2015; 18: 860-868. doi:10.1017/S136898001400086X

  13. WHO. Global recommendations on physical activity for health. Geneva: World Health Organization; 2010. http://www.who.int/dietphysicalactivity/global-PA-recs-2010.pdf [7. Mai 2016].