Anti-Depressionsmaßnahme: Schrittzähler als therapeutisches Mittel

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Anti-Depressionsmaßnahme: Schrittzähler als therapeutisches Mittel
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Depressive Störungen sind mit einer erheblichen individuellen und gesamtgesellschaftlichen Krankheitslast verbunden. In Deutschland ist die Prävalenz einer depressiven Symptomatik mit 9,2 Prozent höher als im EU-Durchschnitt (6,6 Prozent)(3). Zudem lassen sich erste Hinweise auf negative Auswirkungen der aktuellen SARS-CoV-2-Krise auf Depressions- und Angstsymptome finden (1). Der Bedarf an effektiven und nachhaltigen Therapiemöglichkeiten ist also sehr hoch. In den letzten Jahren wurde vermehrt der positive Einfluss körperlicher Aktivität bei der Behandlung von Depression untersucht. Dabei weisen mehrere qualitativ hochwertige Meta-Analysen auf moderate bis große Effekte hin (4). Auf Grundlage dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse wird auch in der deutschen S3-Leitlinie regelmäßige körperliche Aktivität bei Depressionen empfohlen. Zwar belegen zahlreiche Studien klinische Veränderungen nach Bewegungsintervention; selten wird aber die Nachhaltigkeit einer solchen Anti-Depressionsmaßnahme untersucht und das tatsächliche Bewegungsverhalten während und nach der Intervention kontrolliert.

Diese Forschungslücke will eine Gruppe um Prof. Andreas Ströhle an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité durch eine entsprechende Längsschnittstudie schließen (2). Die Studie wurde von 2016 bis Januar 2020 durchgeführt. Das primäre Ziel war, festzustellen, ob die Verwendung eines Schrittzählers und eines Aktivitätstagebuches in Kombination mit Strategien der Selbstüberwachung stationären Patienten mit schweren Depressionen dabei helfen kann, sowohl die Schrittzahl zu erhöhen als auch die Depression zu verringern.

Hierfür teilte man jeweils 162 stationäre Patienten mit diagnostizierter unipolarer Depression einer Interventionsgruppe und einer Kontrollgruppe zu. Die Patienten wurden vor der Intervention, nach vier Wochen, bei der Entlassung sowie sechs Monate nach dem Interventionsstart untersucht. Die Kontrollgruppe erhielt die übliche Therapie. In der Interventionsgruppe gab man den Patienten einen Schrittzähler – ein kleines Gerät, das am Gürtel befestigt oder in der Tasche getragen wird. Die von den Pedometern angezeigten täglichen Schritte sollten in einem Aktivitätstagebuch dokumentiert werden. Nach den ersten drei Tagen erhielten die Patienten die Anwesung, ihr tägliches Schrittziel um 500 Schritte zu erhöhen. Hatten sie dieses Ziel an mindestens vier von sieben Wochentagen erreicht, waren sie angehalten, die Schrittzahl in der folgenden Woche weiter zu erhöhen, andernfalls blieb das Aktivitätsniveau unverändert. Waren 10.000 Schritte pro Tag erreicht, konnten die Patienten individuell entscheiden, ob sie die tägliche Schrittzahl weiter erhöhen oder unverändert lassen. Diesem Bewegungsschema sollten sie während des gesamten stationären Aufenthalts und danach für insgesamt 26 Wochen folgen.

Die Auswertung der Studie dauert noch an. Das Wissenschaftlerteam erwartet jedoch, dass das Tragen der Schrittzähler zu einer nachhaltigen Steigerung des Bewegungsverhaltens und zu verringerten Depressionssymptomatik führt. Pedometer wären damit – auch in Zeiten von Abstandsgeboten und Lock-Downs – eine effektive und umsetzbare Lösung für eine verbesserte Nachsorge nach stationären Aufenthalten bei unipolaren Depressionen.

Sports, Medicine and Health Summit 2021

Im Rahmen des Sports, Medicine and Health Summit 2021 werden unter anderem die präventiven und therapeutischen Effekte von Bewegung und Sport bei psychischen Erkrankungen vorgestellt und diskutiert. So leitet Prof. Andreas Ströhle, u.a. stellvertretender Leiter des Referats Sportpsychiatrie und -psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), ein Symposium mit dem Titel „Körperliche Aktivität und Sport in der Behandlung psychischer Erkrankungen“.

■ Bischoff L

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Quellen:

  1. Bendau A, Plag J, Kunas S, Wyka S, Ströhle A, Petzold MB. Longitudinal changes in anxiety and psychological distress, and associated risk and protective factors during the first three months of the COVID‐19 pandemic in Germany. Brain Behav. 2020; 00:e01964. doi:10.1002/brb3.1964

  2. Große J, Petzold M, Brand R, Ströhle A. Step Away from Depression – Study protocol for a multicenter randomized controlled trial for a pedometer intervention during and after in-patient treatment of depression. International Journal of Methods in Psychiatric Research. 2020; e1862: 1-10. doi:10.1002/mpr.1862

  3. Hapke U, Cohrdes C, Nübel J. Depressive Symptomatik im europäischen Vergleich – Ergebnisse des European Health Interview Survey (EHIS) 2. Journal of Health Monitoring. 2019; 4, 62-70. doi:10.25646/6221

  4. Schuch FB, Vancampfort D, Richards J, Rosenbaum S, Ward PB, Stubbs B. Exercise as a treatmentfor depression: A meta‐analysis adjusting for publication bias. Journal of Psychiatric Research. 2016; 77, 42–51. doi:10.1016/j.jpsychires.2016.02.023