Wie Bewegungsverhalten das Depressionsrisiko beeinflusst

Wie Bewegungsverhalten das Depressionsrisiko beeinflusst
© Photographee.eu / Adobe Stock

Es ist bekannt, dass intensive Bewegung das Depressionsrisiko und die Schwere der Symptome verringern kann. Doch wieviel Zeit muss mit welcher Intensität verbracht werden, um einen messbaren Erfolg zu erzielen? Eine aktuelle Querschnittsstudie (1) mit Teilnehmern aus der British Cohort Study 1970 Age 46 (2) ist dieser Frage nachgegangen.

Neuer Ansatz analysiert interdependente Aktivitätsmuster

Für die Studie wurde körperliche Aktivität analytisch in vier typische Aktivitätsmuster aufgeteilt („Schlaf“, „sitzende Tätigkeit“, „leichte“ und „moderate bis intensive Aktivität“), in 24-Stunden-Abschnitten gemessen und anhand kompositorischer Datenanalyse untersucht. Anders jedoch als bislang üblich, betrachteten die Forscher mit ihrem Ansatz nicht jedes einzelne Aktivitätsmuster isoliert, sondern analysierten, wie sich diese gegenseitig hinsichtlich ihrer Effekte auf das Depressionsrisiko beeinflussten. Mittels logistischer Regression wurde je ein Verhalten durch ein anderes ersetzt, während die beiden übrigen konstant blieben. Die Daten wurden mit den übrigen Angaben der Teilnehmenden, inklusive ihrer Ko-Varianten (Geschlecht, Bildung etc.) und der Log-Ratio-Differenzen, zusammengeführt und mit dem Depressionsstatus in Verbindung gesetzt. Insgesamt wurden die Daten von 4.738 Personen (alle 46 Jahre alt) ausgewertet.

Für die Datenerfassung hatten alle Teilnehmenden eingewilligt, über einen ständigen Zeitraum von 7 Tagen (und Nächten) einen Beschleunigungsmesser zu tragen. Das streichholzschachtelgroße Mikrogerät in Form einer 3 mm starken kabellosen Platte wurde wasserdicht foliert und mit einem großflächigen Pflaster im oberen Drittel der Oberschenkelvorderseite mittig aufgeklebt. Aus Neigungswinkel und Beschleunigung des Oberschenkels konnte die Körperhaltung der jeweiligen Person abgeleitet werden. Ein Algorithmus unterschied dabei gültige Wachtragedaten von Schlaf oder Nichttragedaten. Als Schlaf wurden die längste Liegezeit von mind. 2 Stunden von Mittag bis Mittag jedes Tages sowie alle Liegezeiten ab 5 Stunden definiert. Als Sitzen wurde die nicht schlafende Zeit klassifiziert, die im Sitzen oder Liegen verbracht wurde. Schließlich galten alle Bewegungen mit einer Schrittfrequenz von bis zu 100 als leichte Aktivität, was darüber lag, wurde als moderate bis intensive Aktivität eingestuft. So unterlagen die Aufzeichnungen nicht den subjektiven Protokollen der Teilnehmenden (inklusive Anpassungen an gewünschtes Verhalten)  oder ungenaueren Messungen durch an Handgelenk oder Hüfte getragene Geräte.

Moderate bis intensive Aktivität senkt das Depressionsrisiko am stärksten

Die Ergebnisse zeigten eindeutig, dass eine Substitution jeglichen Bewegungsverhaltens durch moderate bis intensive körperliche Aktivität von nur 25 Minuten täglich, also mindestens um 3-6 metabolische Äquivalente (MET, siehe Kasten unten), mit einem um 20 Prozent geringeren Depressionsrisiko verbunden war. Wollte man dies mit nur leichter Aktivität erreichen, müsste man 4 Stunden Schlaf oder 1,5 Stunden sitzende Tätigkeit substituieren – ein ungleich höherer Aufwand. Die Umverteilung von Zeit zwischen Schlaf, Sitzen oder leichter Aktivität hatte marginale bis keine Effekte auf das Depressionsrisiko. Ein Austausch von leichter oder moderater bis intensiver Aktivität zugunsten von Schlaf oder Sitzen war hingegen sogar mit einem höheren Risiko assoziiert.

Die Ergebnisse müssten, um eine Kausalität zu bestätigen, in kompositorisch angelegten Längsschnittstudien überprüft werden. Die Bedeutung der Tätigkeitsart beim Sitzen (Lesen, Computer, TV etc.) wurde bisher ebenso wenig berücksichtigt wie die biologische Schlafenszeit, die möglicherweise unter der aufgezeichneten Liegezeit lag. Vorsicht sei, so die Autoren, auch bei der Interpretation geboten, wenn individuelle Merkmale verändert würden.

Fazit: Die Studie legt nahe, dass die tägliche Erhöhung von moderater bis intensiver Aktivität bereits in kleinen Dosen das Depressionsrisiko um 20 Prozent senken kann. Sollten sich diese Ergebnisse in Längsstudien bestätigen, könnte der Sporttherapie bei der Prävention und Behandlung von Depressionen in Zukunft eine herausragende und etablierte Schlüsselrolle zukommen.

Metabolische Äquivalente (MET) typischer Aktivitätsmuster

MET (metabolic equivalent, metabolisches Äquivalent) bezeichnet den Energieumsatz, der in Abhängigkeit vom Körpergewicht für verschiedene Bewegungsarten pro Stunde benötigt wird. Die Grundeinheit von 1 MET beschreibt dabei den Verbrauch beim Sitzen in Ruhe und wird mit 1kcal pro kg Körpergewicht pro Stunde berechnet.

Schlaf: 0,9 MET

Sitzende Tätigkeit: 1 MET

Leichte Aktivität: < 3 MET

Moderate Aktivität: 3-6 MET

Intensive Aktivität: > 6 MET

Einen Überblick darüber, bei welchen konkreten körperlichen Aktivitäten wie viele MET verbraucht werden, finden Sie hier: https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/blutkrebsrisiko-durch-bewegung-senken/

■ Herling S

Ähnliche Beiträge zum Thema finden Sie weiter unten!

Quellen:

  1. Blodgett JM, Mitchell JJ, Stamatakis E, Chastin S, Hamer M. Associations between the composition of daily time spent in physical activity, sedentary behaviour and sleep and risk of depression: Compositional data analyses of the 1970 British cohort Study. J. Affect Disord. 2023; 320: 616-620. doi:10.1016/j.jad.2022.09.110

  2. University of London, Institute of Education, Centre for Longitudinal Studies. 1970 British Cohort Study: Age 46, Sweep 10, 2016-2018 [data collection]. 2022; UK Data Service. SN: 8547. doi:10.5255/UKDA-SN-8547-1