Transgender-Athletinnen im Leistungssport: Wann ist ein Mann eine Frau?
Seien wir ehrlich: Sport ist immer unfair. Denn die Voraussetzungen der Athletinnen und Athleten sind nie ganz gleich und individuelle Unterschiede im Körperbau können den entscheidenden Vorteil bringen. Der ehemalige Schwimmer Michael Phelps etwa war – neben außergewöhnlichem Talent – auch mit Füßen in Schuhgröße 48,5 und einer enormen Spannweite gesegnet. 28 olympische Medaillen, davon 23 goldene, erkämpfte er sich mit diesem aus einer Laune der Natur vorteilhaft geformten Körper. Dennoch fordert niemand, dass es gesonderte Kategorien für beispielsweise extrem große Schwimmer oder solche mit einem Affenindex (Verhältnis von Spannweite zu Körpergröße) über dem »Normalwert« 1 geben sollte. Physische Merkmale wurden und werden als natürliche Varianz selbstverständlich akzeptiert. Anders sieht die Situation bei Transgender-Athletinnen aus, die in Frauenwettbewerben starten möchten, jedoch als Mann geboren wurden (mit einem XY-Chromosomenpaar). Glücklicherweise ist heute eine Geschlechtsanpassung entsprechend dem eigenen Empfinden für transidentitäre Personen möglich. Doch was im Alltag verhältnismäßig problemlos läuft, wird im Leistungssport zu einer Herausforderung – denn Sportlerinnen und Sportler möchten mitunter auch nach ihrer Geschlechtsänderung Wettkämpfe bestreiten. Wie die Integration insbesondere von Transgender-Athletinnen erfolgen kann, wenn gleichzeitig faire Bedingungen gegenüber biologischen Frauen (sogenannten Cis-Frauen) herrschen sollen, wird intensiv diskutiert.
Denn – das ist weithin bekannt und gut untersucht – es gibt durchaus körperliche, funktionelle und Leistungsunterschiede zwischen Männern und Frauen (8):
Körperliche Unterschiede (Auswahl):
■ Körpergröße+ 9 Prozent
■ Schulterbreite+ 14 Prozent
■ Körperfett- 30 Prozent
■ Muskelmagermasse+ 45 Prozent
■ Muskelmasse Oberkörper+ 40 Prozent
Funktionale Unterschiede (Auswahl):
■ Gesamtkraft Oberkörper+ 90 Prozent
■ Vertikaler Sprung+ 33 Prozent
■ Absolute / relative VO2max+ 50 / + 26 Prozent
Leistungsunterschiede (Auswahl):
■ Schwimmen / Rudern+ 11 Prozent
■ Bahnlauf+ 12 Prozent
■ Sprungwettbewerbe+ 19 Prozent
■ Gewichtheben+ 31 Prozent
Dieser Artikel zeigt beispielhaft die unterschiedlichen Dimensionen der Problematik am aktuellen Beispiel einer US-amerikanischen Trans-Schwimmerin. Der ebenfalls umstrittene Umgang mit Sportlerinnen, die von einer Störung der Geschlechtsentwicklung betroffen sind (DSD – Differences in Sex Development) und daher natürlicherweise erhöhte Testosteronwerte haben, wird in diesem Artikel aus Platzgründen nicht thematisiert.
Testosteron und die männliche Pubertät
Die physischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen entstehen vor allem während der männlichen Pubertät. Untersuchungen im Schwimmsport zeigten, dass bis zu einem Alter von ungefähr 10 Jahren Mädchen und Jungen etwa gleich schnell schwimmen. Danach werden Jungen bis zu ihrem 18. Lebensjahr zunehmend schneller als Mädchen (7). Die Leistungsunterschiede der Geschlechter im Alter zwischen 10 und 29 Jahren sind in Tab. 1 aufgeführt. Nach der männlichen Pubertät sind Jungen im Durchschnitt etwa 12 cm größer, haben längere Arme, größere Hände und Füße, längere Beine und ein schmaleres Becken. Zudem haben Männer rund 40 Prozent mehr Muskelmasse und dichtere Muskeln mit mehr Muskelfasern, 40 Prozent weniger Körperfett, festeres Bindegewebe, eine höhere Knochendichte, ein größeres Herz, größere Lungen, mehr Ausdauer und einen höheren Hämatokritwert. Diese eklatanten Unterschiede sind vor allem durch etwa 10- bis 20-fach höhere Testosteronwerte begründet.
Doch wie wirkt sich nun eine Geschlechtsumwandlung auf die Unterschiede aus? Unzweifelhaft ist, dass bestimmte Merkmale wie Körpergröße, Spannweite oder Hand- und Fußgröße auch nach einer geschlechtsangleichenden Behandlung bestehen. Zu anderen leistungsrelevanten Faktoren gibt es teilweise noch uneinheitliche Daten.