Therapeutisches Vorgehen nach einer Gehirnerschütterung

Therapeutisches Vorgehen nach einer Gehirnerschütterung
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Weltweit erleiden jedes Jahr 42 Millionen Menschen eine Gehirnerschütterung. Ein großer Teil von ihnen sind junge Patienten, die sich ihre Verletzung bei sportlichen Aktivitäten zuziehen. Im Gegensatz zu dem früheren therapeutischen Vorgehen, das in erster Linie aus strikter körperlicher Ruhe und mentaler Schonung – dem sogenannten „Cocooning“ – bestand, setzt man heute in Anbetracht neuerer Forschungserkenntnisse zunehmend auf eine rasche, schrittweise Rückkehr zu alltäglichen Aktivitäten. Ein praktischer Ratgeber, der kürzlich im New England Journal of Medicine erschien, fasst nun die zielführendsten Vorgehensweisen bei Gehirnerschütterung nach Sportunfällen zusammen (1).

Die Gehirnerschütterung wird im klinischen Gebrauch als leichte, traumatisch bedingte Verletzung des Gehirns definiert, wobei sich das „leicht“ keineswegs etwa auf die Trivialität bezieht, sondern vielmehr auf die Abwesenheit pathologischer intrakranieller Befunde in CT- oder MRT-Scans (2). Die Symptome können dennoch schwerwiegend sein und zeigen eine weite Bandbreite von kognitiven Beeinträchtigungen wie Brain Fog und allgemeiner Verwirrtheit, somatischen wie Übelkeit, Schmerzen und Lichtempfindlichkeit oder sogar begleitenden psychosozialen Symptomen wie Schlafstörungen oder Auffälligkeiten der Gefühlsregulation. Darüber hinaus wird die Gehirnerschütterung nicht selten von Verletzungen zervikaler Strukturen begleitet, die wiederum eine bestehende Symptomatik aggravieren können.

Während sich die meisten Patienten binnen weniger Tage erholen, können bei etwa einem Drittel der Betroffenen einzelne Symptome bis zu vier Wochen persistieren. Als hilfreiches klinisches Werkzeug, um die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, mit der persistierende Symptome auftreten, kann laut Autoren der 5P Risk Score for Persisting Symptoms after Concussion in Children and Adolescents (kurz: 5P risk score) dienen (3). Hierbei erhalten die jungen Patienten entsprechend ihrem Profil und der klinischen Präsentation einen Score zwischen 0 und 12 Punkten. Je höher dieser Score, der sich u. a. aus akut auftretenden Gleichgewichtsstörungen oder leichter Ermüdbarkeit sowie Geschlecht und Alter errechnet, desto höher die Wahrscheinlichkeit, länger an den Folgen der Gehirnerschütterung zu leiden.

Umso wichtiger ist das konsequente und zielgerichtete therapeutische Vorgehen, um mittelfristigen Einschränkungen möglichst effektiv vorzubeugen. So zeigte sich in früheren Studien bei Patienten, die bereits zwei bis zehn Tage nach ihrer Gehirnerschütterung wieder mit leichter sportlicher Betätigung im aeroben Bereich begonnen hatten, lediglich eine Persistenz der Symptomatik von 21 Prozent (4). Die Persistenz der Kontrollgruppe, die mit sportlicher Betätigung länger als zehn Tage wartete, betrug hingegen 32 Prozent. Da aber eine direkte Wiederaufnahme voller sportlicher Belastung ein hohes Wiederverletzungsrisiko mit sich bringen und so die Gefahr längerer Heilungsverläufe erhöhen könnte, bietet sich hier ein schrittweiser Wiedereinstieg an: von einfachen Alltagsaktivitäten wie Spaziergängen über moderate Ausdauereinheiten bis hin zur finalen Ausbelastung auf dem Niveau vor der Verletzung. Allerdings sind nach wie vor Patienten, die unmittelbar nach dem Unfall bestimmte Red Flags wie Bewusstseinsverlust, Krampfanfälle oder andere schwerwiegende neurologische Ausfälle zeigen, von derartigen Rehabilitationsstrategien ausgenommen und erfordern neben weiterer bildgebender Diagnostik auch ein schonenderes Vorgehen.

Noch größeren Einfluss auf eine schnelle Remission als die Rückkehr zum Sport hatten jedoch laut Autoren ein möglichst kurzes Fernbleiben vom Schulunterricht und eine schnelle Wiederaufnahme kognitiver Betätigung. Hier wird ebenfalls ein stufenweises Vorgehen empfohlen, das sich zunächst auf kurze, tägliche Leseübungen beschränkt und dann über eine teilweise Rückkehr zum Unterricht bis hin zur kompletten Reintegration in den Schulalltag reicht. Diese konnten 93 Prozent der Patienten spätestens zehn Tage nach der Gehirnerschütterung erreichen. Bei all dem ist eine regelmäßige Kontrolle des Heilungsverlaufs durch den behandelnden Arzt unbedingt angezeigt.

■ Taylan Y, Hutterer C

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Quellen:

  1. Leddy JJ. Sport-Related Concussion. N Engl J Med. 2025; 392: 483-493. doi:10.1056/NEJMcp2400691

  2. Silverberg ND, Iverson GL, et al. The American Congress of Rehabilitation Medicine diagnostic criteria for mild traumatic brain injury. Arch Phys Med Rehabil. 2023; 104: 1343-55. doi:10.1016/j.apmr.2023.03.036

  3. Zemek R, Barrowman N, Freedman SB, et al. Clinical Risk Score for Persistent Postconcussion Symptoms Among Children With Acute Concussion in the ED. JAMA. 2016; 315: 1014–1025. doi:10.1001/jama.2016.1203

  4. Leddy JJ, Master CL, Mannix R, Wiebe DJ, Grady MF et al. Early targeted heart rate aerobic exercise versus placebo stretching for sport-related concussion in adolescents: a randomised controlled trial. Lancet Child Adolesc Health. 2021; 5: 792-799. doi: 10.1016/S2352-4642(21)00267-4