Sportsucht: Korrelationen mit Gewissenhaftigkeit und Essstörung

Sportsucht: Korrelationen mit Gewissenhaftigkeit und Essstörung
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Von Sportsucht – international Exercise Addiction – sprechen Wissenschaftler, wenn Menschen ihrem Sport alles andere unterordnen. Betroffene vernachlässigen Familie und Freunde, ignorieren Schmerzen und leiden, wann immer kein Training möglich ist. International wird erforscht, wie Gefährdete und Betroffene frühzeitig identifiziert und somit vor gravierenden Folgen geschützt werden können. Jetzt gibt es neue Umfrageergebnisse aus Deutschland und Dänemark: Beide Forscherteams fanden einen Zusammenhang zwischen Sportsucht und auffälligem Essverhalten. Unter den dänischen Studienteilnehmern, lauter Top-Athleten, hatten die Teenager im Alter ab 15 Jahren besonders häufig ein hohes Risiko für eine Sportsucht (2). In Deutschland zeigte sich bei tendenziell sportsüchtigen Freizeitsportlern eine Korrelation mit dem Persönlichkeitsfaktor „Gewissenhaftigkeit“ (5).

Zusammenhang von Sportsucht und Orthorexie niedriger als vermutet

Den deutschen Forschern aus Gießen ging es unter anderem darum, zur Debatte um Orthorexie, d.h. den Zwang, sich gesund zu ernähren, und Sportsucht beizutragen. Zudem wollten sie herausarbeiten, zu welchem Grad beide Phänomene gemeinsam auftreten und welche Persönlichkeitsmerkmale bei den Betroffenen identisch sind. Nach einer ausführlichen Online-Umfrage in der Allgemeinbevölkerung erwiesen sich 608 Antworten als auswertbar, davon 76,5% von Frauen. Das durchschnittliche Teilnehmeralter lag bei 27 Jahren. Das Risiko für eine Sportsucht ermittelten die Wissenschaftler mithilfe des Fragebogens Exercise Addiction Inventory (EAI) (6). Die Zwanghaftigkeit im Essverhalten wurde auf der Düsseldorfer Orthorexie-Skala (DOS) abgefragt (1). Nach Persönlichkeitsfaktoren fahndeten die Wissenschaftler mit dem Big Five Inventory 10 (4).

Wie erwartet, fand sich eine Korrelation zwischen hohen Werten auf der Düsseldorfer Orthorexie-Skala und dem Exercise Addiction Inventory, doch diese lag mit 0,43 bei Frauen und 0,62 bei Männern niedriger, als die Autoren vermutet hatten. „Gewissenhaftigkeit“ erwies sich als derjenige Big-Five-Persönlichkeitsfaktor, der unter beiden Geschlechtern mit einem erhöhten Risiko für Sportsucht assoziiert war. Bei den Männern zeigte sich zudem eine Korrelation zwischen hohen EAI-Werten und dem Big-Five-Persönlichkeitsfaktor „Extraversion“. Frauen mit hohen EAI-Werten hingegen hatten eher hohe Werte beim Persönlichkeitsfaktor „Neurotizismus“. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Genese der Sportsucht (wie auch jene der Orthorexie) für Männer und Frauen unterschiedlich sein könnte.

Essstörungen: Je jünger und fitter, desto gefährdeter

Das dänische Team befragte, ebenfalls online, 417 Spitzensportler auf Nationalmannschafts-Niveau aus 15 Sportarten. Auch die Nachwuchskader wurden miteinbezogen. Die Teilnehmer waren im Alter zwischen 15 und 47 Jahren, 51% davon weiblich. Auch die dänischen Wissenschaftler nutzten den EAI-Fragebogen. Hinweise auf Essstörungen gab der Fragebogen SCOFF (Sick, Control, One Stone, Fat, Food), entwickelt für die Diagnostik von Anorexie und Bulimie (3). Das Wissenschaftlerteam ermittelte zusätzlich unter anderem auch das wöchentliche Trainingspensum sowie die Bereitschaft der Teilnehmer, trotz Verletzungen und Schmerzen weiter zu trainieren.

7,6 % der Top-Athleten hatten laut EAI-Werten ein hohes Risiko für eine Sportsucht, weibliche und männliche Studienteilnehmer waren gleichermaßen betroffen. Nach Altersgruppen gestaffelt, lag die Prävalenz in der jüngsten Gruppe (15-19 Jahre) am höchsten, bei 8,8%. Wie erwartet, korrelierten hohe EAI-Werte mit Auffälligkeiten im Essverhalten, gemessen mithilfe der SCOFF-Skala. Zusätzlich ging ein erhöhtes Sportsucht-Risiko mit einer großen Bereitschaft einher, trotz Schmerzen und Verletzungen zu trainieren. Das Trainingspensum verriet hingegen nichts darüber, wie hoch das Risiko für eine Sportsucht war.

Wer Nachwuchssportler von Anfang an vor der Entwicklung einer Sportsucht schützen will, muss dem heutigen Stand der Forschung zufolge also nicht das Trainingspensum hinterfragen, sondern eher die Haltung zum Leben allgemein, sowie zum Sport im Besonderen und zur Ernährung. Wie speziell Jugendliche optimal geschützt und therapiert werden können und ob Männer und Frauen unterschiedliche Strategien gegen die Sportsucht benötigen, bleibt zu erforschen.

■ Plaum P

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Quellen:

  1. Barthels F, Meyer F, Pietrowsky R. Die Düsseldorfer Orthorexie Skala – Konstruktion und Evaluation eines Fragebogens zur Erfassung orthorektischen Ernährungsverhaltens. Z Klin Psychol Psychother. 2015; 44: 97-105. doi:10.1026/1616-3443/a000310

  2. Lichtenstein MB, Melin AK, Szabo A, Holm L. The Prevalence of Exercise Addiction Symptoms in a Sample of National Level Elite Athletes. Front Sports Act Living 2021; 3: 635418. doi:10.3389/fspor.2021.635418

  3. Morgan JF, Reid F, Lacey JH. The SCOFF questionnaire: assessment of a new screening tool for eating disorders. BMJ. 1999; 319: 1467-1468. doi:10.1136/bmj.319.7223.1467

  4. Rammstedt B, John OP: Measuring personality in one minute or less: A 10-item short version of the Big Five Inventory in English and German. J Res Pers. 2007; 41: 203-212. doi:10.1016/j.jrp.2006.02.001

  5. Strahler J, Wachten H, Stark R, Walter B. Alike and different: Associations between orthorexic eating behaviors and exercise addiction. Int J Eat Disord. 2021 May 6. doi: 10.1002/eat.23525

  6. Terry A, Szabo A, & Griffiths M. The Exercise Addiction Inventory: A new brief screening tool. Addict Res Theory 2004; 12: 489–499. doi:10.1080/16066350310001637363