Sport – wie eine Impfung für das Immunsystem

Sport – wie eine Impfung für das Immunsystem
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Mit der kalten Jahreszeit rollt regelmäßig auch die erste Erkältungswelle an. Halsschmerzen, Schnupfen und Husten nerven landauf, landab. Wer einige Tage länger als üblich unter den typischen Symptomen leidet, den treibt bald die Frage um, ob und wie das Immunsystem gestärkt werden kann. Bei Erwachsenen sind vier bis fünf Infekte pro Jahr mit komplikationslosem Verlauf unbedenklich. Verschiedene Faktoren beeinflussen, wie häufig man sich kleinere Infekte einfängt. Dabei ist die körperliche und seelische Gesundheit zentral; Rauchen, Schlafmangel und chronischer Stress erhöhen die Infekt­anfälligkeit. Daneben spielt auch die Infektiosität der zirkulierenden Erreger eine wichtige Rolle. Aber was ist eigentlich mit Sport? Wie gut hilft Bewegung, das Immunsystem zu stärken?

Dieser Frage kann man sich von unterschiedlichen Seiten nähern. Seit Langem gibt es die Hypothese, dass bei Eliteausdauerathleten Infekte der oberen Atemwege häufiger auftreten. Genährt wird diese Vermutung dadurch, dass Infekte in Phasen intensiven Trainings, vor oder während Wettkämpfen auftreten. Prof. Dr. Wilhelm Bloch vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln bestätigt: „Bei Ausdauerathleten korrelieren die akuten Infektionsereignisse häufig stark mit Extrembelastungen. Man nennt die ersten Stunden nach einer intensiven Belastung das ›open window‹, weil – häufig durch ein stark gereiztes Schleimhautepithel in den oberen Atemwegen – die natürliche erste Barriere der Immunabwehr geschwächt ist und damit ein Fenster für Erreger geöffnet wird.

Betrachtet man aber die Infektionshäufigkeit über das ganze Jahr, so sind Leistungssportler eher weniger krank als die Durchschnittsbevölkerung.« Auch andere Untersuchungen unterstützen die Theorie des »open window«. Während und nach einer Belastung steigt die Zahl der Lymphozyten proportional zur Intensität und Dauer der Belastung an und fällt während der ersten Stunden der Regeneration auf Werte ab, die unterhalb derer vor dem Training liegen. Innerhalb von 24 Stunden erreichen die Lymphozyten wieder die Ausgangs werte in Ruhe.

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Prof. Dr. Wilhelm Bloch, Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln © Bloch
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Wie lässt sich die Stärke des Immunsystems messen?

Grundsätzlich, so sind sich die Wissenschaftler allerorten einig, hat Sport eine Wirkung auf das Immunsystem. Das lässt sich über die Veränderung der Immunzellpopulationen gut erfassen. Deutlich schwieriger ist es, den Einfluss dieser Veränderung auf die Immunfunktion zu eruieren. Das Immunsystem umfasst eine große Vielzahl unterschiedlicher Zellen, die in unterschiedlichen Geweben gebildet werden oder unterschiedliche Funktionen ausüben. Die Abstimmung und die feine Regulation aller Elemente untereinander sind noch lange nicht verstanden.

Epidemiologische Untersuchungen, die versuchen, sich über die Verteilung der Krankheitsanfälligkeit zu nähern, sind sehr ungenau und tatsächliche Effekte sind schwer zu messen. Bei so genannten Challenge-Experimenten wird Studienteilnehmern eine antigene (immunstimulierende, nicht krankheits­relevante) oder eine pathogene (immunstimulierende, potenziell krankheitsverursachende) Substanz injiziert und die verschiedenen Effekte im Immunsystem gemessen. Solche In-vivo-Ansätze liefern (je nach Auswahl der gemessenen Parameter) ein ganzheitliches Bild der Immunfunktion. Allerdings sind hier ethische Aspekte von großer Bedeutung. Eine Variation dieses Vorgehens liegt darin, den Studienteil­nehmern Impfantigene zu injizieren (z. B. gegen Influenza oder Tetanus). Da die meisten Menschen aber zumindest mit einem Teil der Antigene über frühere Infektionen oder Impfungen bereits Kontakt hatten, ist die Interpretation der Ergebnisse schwierig, da eine Mischung aus primärer, sekundärer und tertiärer Immunantwort gemessen wird.

Prof. Bloch und sein Team untersuchen, ob spezifische Immunzellen durch Sport ihren Aktivitätsstatus verändern. Für eine Untersuchung wurden beispielsweise ehemalige Tumorpatienten auf einen Halbmarathon vorbereitet. Vor und nach dem Training bzw. dem Halbmarathon wurde der Aktivitätszustand der natürlichen Killerzellen (NK) erfasst. »Wir konnten beobachten, dass die natürlichen Killerzellen nach dem Training auf den Halbmarathon eine höhere Abwehrfunktion hatten und dass Oberflächenantigene, die für die Erkennung fremder Zellen zuständig sind, vermehrt präsentiert werden«, erklärt Prof. Bloch.

Balance verschoben

Jede Form von Stress (positiv wie negativ) wirkt sich auf das Immunsystem aus. Mit Sport setzt man einen zeitlich begrenzten Stress, der das Gesamtsystem beansprucht und auch für das Immun­system eine Trainingsphase darstellt. Durch dieses Training optimiert sich das Immunsystem auf die Anforderungen, die der Körper stellt.

Max Weinhold aus dem Team von Prof. Bloch hat mit Kollegen untersucht, auf welche Weise sich das antiinflammatorische System der Immunabwehr durch Sport optimiert. An 245 Leistungssportlern aus 27 olympischen Disziplinen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die übliche Balance aus Zellen, die für die Aktivierung und die Unterdrückung zuständig sind, durch intensive Aktivität stark verschoben werden kann. »Die Ausdauersportler bekommen eigentlich eine stärkere Bremse für die Immunreaktion eingebaut. Je stärker die Sportler durch das Training belastet sind, desto stärker ist der Anstieg bestimmter regulatorischer T-Zellen. Dennoch werden die Athleten nicht häufiger krank als einerseits Sportler mit weniger Ausdauer und andererseits Freizeitsportler. Offenbar stellt sich je nach Beanspruchung ein neues Gleichgewicht der Komponenten des Immunsystems ein«, erklärt Prof. Bloch die Ergebnisse (1, 2, 3). Es wird nun vermutet, dass diese Auslenkung dafür verantwortlich sein könnte, chronische Entzündungsreize, wie sie für die Entstehung von Diabetes, Krebs oder Arteriosklerose (mit)verantwortlich sind, zu unterdrücken.

Einmal Sportler – immer gesund?

Wenn sich das Immunsystem an den Stressreiz, der durch Sport gesetzt wird, anpasst oder optimiert – bleibt dieser Effekt dann auch erhalten, wenn man keinen Sport mehr treibt? Grundsätzlich ist hierbei anzumerken, dass es immer empfehlenswert ist, so lange wie möglich im Leben körperlich aktiv zu sein. Ein spannender Aspekt ist jedoch die Nachhaltigkeit der erzielten Effekte. Profitiert beispielsweise jemand, der in der Jugend Leistungssport betrieben hat, auch noch im Erwachsenenalter davon? Eindeutige Untersuchungen dazu liegen noch nicht vor. Prof. Bloch vermutet, dass Leistungssport in jungem Alter langfristige positive Effekte bis weit ins Erwachsenenalter haben könnte. Doch festlegen, ob der Nutzen vielleicht doch deutlich kürzer anhält, möchte er sich nicht.

Der wirksamste Umfang an sportlicher Aktivität ist schwer zu bestimmen. Es gibt keine für alle Altersgruppen und Lebensumstände einheitliche Empfehlung an körperlicher Aktivität – und kann es auch nicht geben. Nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation sollten möglichst 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche erreicht werden, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und Diabetes zu verringern. Epidemiologische Daten zeigen ein Optimum bei einem Verbrauch von 1.200 bis 2.000 kcal pro Woche. Im Leistungssportbereich wird diese Menge bei Weitem überschritten. Hier kann bei höherer Trainingsintensität oder höheren Trainingsumfängen der Stress zu stark werden und das Immunsystem überlasten. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit für akute Infekte und Entzündungen an. Derzeit fehlt es noch an geeigneten Methoden für eine individuelle sportimmunologische Leistungsdiagnostik. Die bestehenden Methoden sind im Alltag nicht anwendbar. Einfache Assays wären wünschenswert, welche die immunologische Belastung anzeigen.

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Immunsystem: Einflussfaktoren eng verzahnt

Zu den Stressoren des Immunsystems gehören neben Sport auch Schlaf, Ernährung und die Psyche. Kurzzeitige Störungen des Schlafes erhöhen alleine zwar nicht das Risiko einer Infektion, doch beim Sportler ist Schlaf eng mit der Regeneration und so wiederum mit dem Stressreiz durch das Training verknüpft. Auch die Ernährung spielt für das Immunsystem des Sportlers eine wichtige Rolle. Eine ausreichende Zufuhr an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen muss gewährleistet sein, um für die Regeneration und das Immunsystem eine optimale Grundlage zur Verfügung zu stellen. »

Ein ansonsten gesunder Sportler benötigt keine spezifischen Nahrungsergänzungspräparate. Alles Notwendige kann über die Nahrung aufgenommen werden. Zudem zeigt sich immer deutlicher, dass eine Substitution auch negative Folgen haben kann«, erläutert Prof. Bloch. Nicht zuletzt wirkt sich psychischer Stress – in der Schule, im Beruf oder privat, zum Beispiel in Form von Leistungsdruck und Versagensängsten – negativ auf Entzündungsprozesse im Körper und auf das Immunsystem aus. Bei einer Belastung durch gefühlt oder tatsächlich gehäufte Infektionen gibt es also eine Reihe von Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Dennoch sollte im Zweifel abgeklärt werden, ob ein Immundefekt oder andere Ursachen hinter den Symptomen stecken.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Weinhold M, Shimabukuro-Vornhagen A, Franke A, Theurich S, Wahl P, Hallek M, Schmidt A, Schinköthe T, Mester J, von Bergwelt-Baildon M, Bloch W. Physical exercise modulates the homeostasis of human regulatory T cells. J Allergy Clin Immunol. 2016; 137: 1607-1609. doi:10.1016/j.jaci.2015.10.035

  2. Walsh NP, Gleeson M, Shephard RJ, Gleeson M, Woods JA, Bishop NC, Fleshner M, Green C, Pedersen BK, Hoffman-Goetz L, Rogers CJ, Northoff H, Abbasi A, Simon P. Position Statement. Part One: Immune function and exercise. Exerc Immunol Rev. 2011; 17: 6-63.

  3. Walsh NP, Gleeson M, Pyne DB, Nieman DC, Dhabhar FS, Shephard RJ, Oliver SJ, Bermon S, Kajeniene A. Position statement. Part two: Maintaining immune health. Exerc Immunol Rev. 2011; 17: 64-103.