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Rehabilitation bei indirekt struktureller Muskelverletzung

Rehabilitation bei indirekt struktureller Muskelverletzung
© Greanlnw studio / Adobe Stock

Vor allem in Team-, aber auch in Individualsportarten ist eine Muskelverletzung einer unteren Extremität sehr häufig. Indirekte (also nicht durch äußere Einflüsse, sondern Überdehnung entstandene) strukturelle Traumata machen den Löwenanteil der Fälle aus. Da beinahe alle sportlichen Disziplinen auch Beinarbeit mit sich bringen, schwebt die Gruppe der Waden-, Oberschenkel-, Hamstring- und Adduktorenmuskeln bei Leistungs- wie Hobbyathleten in besonderer Gefahr. Bezüglich der verschiedenen konservativen Rehabilitationsoptionen eröffnet sich ein weites Feld; allgemeingültige Richtlinien basierend auf guter Evidenz existieren bislang nicht. Ein aktueller Review italienischer Forscher (1) hat nun die Effektivität und Sicherheit bestehender Rehabilitationsprogramme zur Behandlung einer indirekt strukturellen Muskelverletzung analysiert und sich dabei an den Ergebnissen einer nationalen Konsensus-Konferenz orientiert (2). Das Ergebnis ist ein Vorschlag für einen evidenzbasierten dreiphasigen Rehabilitationsplan, welcher die individuelle Patientensituation optimal berücksichtigt. Eine Zusammenfassung der nachweislich besten, zeitlich gestaffelten Übungsregimes für die jeweilige Muskelgruppe ergänzt das erarbeitete Protokoll.

Viele Faktoren, ein Ziel: Heilung

Um Muskelverletzungen überhaupt sinnvoll kategorisieren zu können, eignen sich laut den Autoren die Parameter Schweregrad, Lokalisation, betroffenes Gewebe und die Frage, ob es sich um das erste Trauma an dieser Stelle handelt oder ein wiederholtes. So ist etwa die Heilungsprognose für distale Waden- sowie proximale Hamstring- und Quadrizepsläsionen ungünstiger als für andere Lokalisationen, was sich in längeren Genesungszeiten und komplexerer Individualisierung der Therapie niederschlägt. Um hier initial zu einer Diagnose zu kommen und den Heilungsverlauf realistisch verfolgen zu können, sollten klinische und funktionale Untersuchungen Hand in Hand mit bildgebenden Verfahren gehen. Das gewählte Behandlungsregime muss diese Faktoren möglichst optimal mit dem sportlichen Leistungslevel, der individuellen Schmerztoleranz und dem Mitwirkungswillen des betroffenen Athleten in Einklang bringen.

Das 3-Phasen-Rehabilitationsprotokoll bei Muskelverletzung

Die drei (eigentlich: vier) Phasen des Protokolls ergeben sich aus dem biologisch determinierten Reparaturprozess von verletztem Muskelgewebe. Entsprechend der jeweiligen Heilungstendenzen sollte mit passenden Maßnahmen interveniert werden, um das in der gerade aktuellen Phase vorhandene Potenzial optimal auszuschöpfen – ohne dabei Schaden durch frühzeitige Überlastung anzurichten.

Sofortmaßnahmen (0–72 h nach der Muskelverletzung)

■ Nach 36–48 h: Ultraschall des betroffenen Muskels (weil Einblutungen nach ca. 24 h auf dem Höhepunkt sind und nach 48 h abnehmen) zur exakten Diagnose

■ Nach 24–72 h: Anwendung der PRICE-Regel (Kompression, ergänzt durch wiederholte 15-minütige Eis-Applikation an der hochgelagerten Extremität), um Hämatombildung und myofibrilläre Nekrosen zu limitieren

■ Möglichst kurzzeitige Immobilisierung (3–5 Tage), z. B. mittels Taping, um die Bildung von gesundem Bindegewebe zu ermöglichen. Krücken nur im Notfall!

■ Für 72 h: Vermeidung jeglicher gewebeerwärmender physiotherapeutischer Interventionen

■ Spätestens nach 24h: Manuelle Lymphdrainage; anschließend elastische Bandagierung

■ Keine Evidenz für gepulste Ultaschalltherapie und Low-level-Lasertherapie

1. Reparaturphase – Fokus auf isometrische Belastung

Ab Tag 2 nach der Muskelverletzung entfernen Makrophagen nekrotisierte Muskelfasern, während Fibroblasten das Bindegewebe am Ort des Traumas vorläufig vernarben lassen. Dieses noch junge Gewebe ist extrem anfällig für Wiederverletzung oder eine Verschlimmerung der Läsion, deshalb ist Training nur unter aufmerksamer Beobachtung eines Arztes oder Physiotherapeuten angesagt.

■ Gewünschte funktionelle Outcomes: Behandlung prädisponierender Faktoren und antagonistischer Muskeln, Schmerzfreiheit bei Alltagstätigkeiten, Kräftigung des verletzten Muskels, Wiederherstellung von mindestens 50 Prozent der maximalen Belastung und 90 Prozent der ursprünglichen muskulären Dehnungsfähigkeit

■ Red flags: Schmerz bei Krafttraining oder Gehen auf dem Laufband

■ Ultraschallkontrolle am 2. sowie 4./5. Tag nach der Verletzung

■ Ideale Trainingsform: isometrische Übungen mit 30–50 Wiederholungen und je 10–20 Sekunden Halten innerhalb der momentan möglichen ROM (range of movement) sowie funktionale Dehnung, jeweils unterhalb der Schmerzschwelle. Baldmöglichst Start von aerobem Training unter Nutzung nicht betroffener Muskeln.

■ Nach jeder Trainingseinheit 15- bis 20-minütige Eismassagen

■ Vermeidung von tiefen Massagen der betroffenen Region

■ Elastische Bandagierung fortführen

■ Bei extremer Hämatombildung echogesteuerte Aspiration

■ TENS- oder NMES-Behandlung ab dem ersten Tag nach Muskelverletzung zur Inhibierung von Schmerzsignalen und schnellerer Bildung gesunder Muskelzellen

■ therapeutische Ultraschalltherapie (kontinuierlich 2 W/cm2 bei 1 MHz), um die Bildung von Wachstumsfaktoren anzuregen

■ Lasertherapie zur Reduktion entzündlicher Prozesse, schnelleren Geweberegeneration, Optimierung des oxidativen Stoffwechsels und der Zellproliferation

■ Anwendung von Hyperthermie zur Anregung der Gewebeheilung, Schmerzlinderung, Gewebeerweichung und Reduktion von Gelenksteifigkeit

■ Analgesie mit Paracetamol (nicht mit NSAR!)

■ Die Wirksamkeit von Muskelrelaxanzien, MSCs und PRP ist nicht ausreichend belegt.