Psychosoziale Risikofaktoren für Überlastungsverletzungen

Psychosoziale Risikofaktoren für Überlastungsverletzungen
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In der Sportpsychologie ist man sich schon lange einig darüber, dass psychosoziale Parameter bei Verletzungen eine fast ebenso wichtige Rolle spielen wie physische. Während mittlerweile gut untersucht ist, welche psychosozialen Risiken traumatische Sportunfälle begünstigen, wurde ihre Rolle bei Überlastungsverletzungen bisher eher nachrangig behandelt. Ein internationales Forscherteam hat sich nun in einer Übersichtsarbeit explizit mit diesem Thema befasst (1).

Überlastungsbedingte Beschwerden treten häufig bei Sportarten auf, die mit repetitiven Bewegungsabläufen einhergehen; typische Disziplinen sind etwa Tennis, Radfahren, Schwimmen oder Handball. Von akuten Verletzungen unterscheiden sie sich dadurch, dass die Schmerzen allmählich beginnen und auf nur selten auf ein einzelnes traumatisches Ereignis, sondern vielmehr auf wiederholte Mikroschäden an Strukturen des Bewegungsapparats zurückzuführen sind. Wird die Belastung weiterhin aufrechterhalten, greifen die Kompensationsmechanismen des Körpers ab einem bestimmten Punkt nicht mehr und es kommt zu Schmerzen und Funktionsstörungen. Weil eine isolierte klare Ursache meist nicht greifbar ist, wäre eigentlich der Begriff „Überlastungssyndrom“ korrekter.

Im Leistungssport sind wegen der hohen Trainingsbelastung sowohl diese potenziellen Auslöser als auch die Folgen von Überlastungsbeschwerden besonders gravierend: Leistungsverminderung, Schmerzen, lange Trainingsausfälle und manchmal sogar das komplette Karriereende können die Lebensqualität betroffener Athleten massiv beeinträchtigen. Eine umfassende multifaktorielle Betrachtung des Problems ist daher existenziell.

Die Wissenschaftler werteten 14 Studien mit Daten von 1061 betroffenen Athletinnen und Athleten aus verschiedenen Disziplinen und Wettbewerbsniveaus aus (Durchschnittsalter 25,9 Jahre, 56 Prozent Frauen). Insgesamt identifizierten sie dabei 27 psychosoziale Risikofaktoren und teilten sie nach Analyse aller Gemeinsamkeiten und Unterschiede in drei Kategorien ein: Intrapersonal, interpersonal und soziokulturell.

Beispiele für intrapersonale Faktoren:

■ Starke sportliche Identität (Frustration durch Pause überschattet erste Anzeichen von Überlastung)

■ Abnahme der wahrgenommenen individuellen Leistung

■ Trainingsabhängigkeit und Übertraining

■ Perfektionistische Bedenken

■ Hohe Stresswerte durch Sport und Lebensereignisse

■ Hohe Risikobereitschaft (nur bei männlichen Athleten)

■ Mangelnde Bewältigungs- oder Selbstregulationsstrategien

■ Ignorieren von Warnsignalen und Training trotz Schmerz

■ Frühere Verletzungen

Beispiele für interpersonale Faktoren:

■ Schlechtes Verhältnis zum Trainer und Rivalität in der Mannschaft

■ Paradox auch das Gegenteil: hohes Pflichtgefühl gegenüber Trainer und/oder Teamkollegen

■ Schlechte Kommunikation mit Trainer oder Mannschaft (führt zu Fehleinschätzungen)

■ Mangelnde soziale Unterstützung

Soziokulturelle Faktoren:

■ Schmerznormalisierung (Akzeptanz von Schmerz als integralem Bestandteil des Sports)

■ Geringschätzung überlastungsbedingter Beschwerden gegenüber traumatischer Akutbeschwerden/-verletzungen

Athleten, die unter psychosozialem Stress stehen, haben durch den gleichzeitigen physischen Stress ein größeres Risiko für Überlastungsverletzungen. Diesen Zusammenhang erklärt das Biopsychosoziale Modell für Stress, Sportverletzung und Gesundheit (BMSAIH) u. a. damit, dass jegliche Stressfaktoren (egal ob Lebensereignisse oder körperliches Training) das autonome Nervensystem modulieren. Folgt daraus eine Vernachlässigung von Erholungs- und Selbstfürsorgemechanismen, erhöht sich im nächsten Schritt die Gefahr von Überlastungsverletzungen.

Um dem vorzubeugen, könnte etwa mit regelmäßigen selbstberichteten Erhebungen das persönliche Empfinden der Athleten abgefragt werden. Hierfür eignen sich u. a. der Recovery Stress Questionnaire for Athletes (RESTQ-S) oder die Multi-Component Training Distress Scale (MTSD). Ebenfalls denkbar sind achtsamkeitsbasierte Programme, die auf Stressreaktionen abzielen, sowie die Etablierung einer täglichen Kommunikationsroutine zwischen Trainer und Team, die z. B. das individuelle Erholungsniveau thematisiert.

Fazit: Allgemein ähneln die identifizierten psychosozialen Risikofaktoren denjenigen, die auch zu traumatischen Verletzungen führen. Im Zuge möglicher weiterer Studien wäre es nach Auffassung der Autoren wichtig, auch verschiedene Sportarten und Leistungsniveaus separat zu betrachten.

■ Kura L

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Quellen:

  1. Tranaeus U, Martin S, Ivarsson A. Psychosocial Risk Factors for Overuse Injuries in Competitive Athletes: A Mixed-Studies Systematic Review. Sports Med. 2022; 52: 773-788. doi:10.1007/s40279-021-01597-5