Ganzkörper-EMS in der aktiven Regeneration und Rückenschmerztherapie

Ganzkörper-EMS in der aktiven Regeneration und Rückenschmerztherapie
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Die Elektromyostimulation (EMS) zum Muskelaufbau liegt weiter im Trend. Vor allem die Ganzkörper-EMS (englisch: Whole Body EMS oder kurz WB-EMS) gewinnt stetig an Zulauf. Dass die Methode dabei sowohl zur aktiven Regeneration von Sportlern infrage kommt als auch zur Linderung von Rückenschmerz, zeigen zwei neuere Studien (1, 3).

WB-EMS zur aktiven Regeneration bei körperlich sehr fordernden Sportarten

Das Prinzip der EMS ist mehr als 50 Jahre alt. Anfangs stimulierten vor allem Physiotherapeuten mithilfe von Reizstrom einzelne Muskelgruppen, um in der Rehabilitation – zum Beispiel nach Unfällen oder Operationen – den Muskelschwund zu verhindern. Denn bei EMS werden Muskeln nicht durch vom Patienten willentlich ausgeführte Bewegungen, sondern durch elektrische Impulse von außen zum Wachstum angeregt. Um bei Sportlern den gesamten Körper zu kräftigen und die Leistungsfähigkeit zu steigern, werden daher häufig Trainings mit der WB-EMS kombiniert. Welche Effekte eine derartige Intervention hat, hinterfragte nun ein Team von Wissenschaftlern aus Spanien (1).

Die Forscher teilten 35 Teilnehmer im Alter von 18 bis 27 Jahren in zwei Gruppen auf und zogen allen einen WB-EMS-Anzug an. Wie üblich, kamen die Elektroden leicht angefeuchtet auf die Haut, um die Muskeln der Oberschenkel sowie am Gesäß, unteren und oberen Rücken (einschließlich Latissimus dorsi), Bauch, Brust und Oberarmen zu erreichen. Für die Probanden war es die erste Erfahrung mit WB-EMS. Alle hatten vor dem Training acht Stunden lang auf feste Nahrung sowie 12 Stunden auf Koffein und Alkohol verzichtet; das letzte Training lag mindestens 24 Stunden hinter ihnen. Alle absolvierten dieselbe zehnminütige aktive Regeneration auf dem Laufband. Währenddessen erhielt aber nur die Interventionsgruppe elektrische Impulse, die andere Gruppe nicht. Das eigentliche Training, das der aktiven Regeneration voausging, fand ebenfalls auf dem Laufband statt. Hierbei wurde die Anfangsgeschwindigkeit solange graduell gesteigert, bis ein Läufer Erschöpfung signalisierte. Daraufhin ermittelten die Wissenschaftler seine maximale aerobe Geschwindigkeit.

Zur Endauswertung bestand die Interventionsgruppe noch aus 18, die Kontrollgruppe aus 15 Teilnehmern. Ihre aktive Regeneration bestand aus 10 Minuten auf dem Laufband bei 40% der gerade berechneten maximalen aeroben Geschwindigkeit. Vor und nach dem Training sowie 30 und 60 Minuten nach Abschluss überprüften die Wissenschaftler unter anderem die Blutflussgeschwindigkeit (mithilfe der Sonografie), die Blutlaktatkonzentration (mit etwas Blut aus dem Ohrläppchen) sowie Missempfindungen bzw. Schmerzen der Teilnehmer (in einer Befragung mithilfe der Visuellen Analogskala).

Direkt nach der aktiven Regeneration mit WB-EMS berichteten die Interventionsgruppen-Teilnehmer etwas öfter von Missempfindungen als die Teilnehmer der Kontrollgruppe. Nach einer Stunde war das Verhältnis jedoch umgekehrt: Die Werte auf der Visuellen Analogskala für Schmerz lagen in der Kontrollgruppe deutlich über der der Interventionsgruppe (Effektstärke 0,66; Konfidenzlimit 90%: -0,12 – 1,45). Eine Stunde nach aktiver Regeneration mit WB-EMS lag der Schmerz also deutlich niedriger als nach aktiver Regeneration ohne Reizstrom. Auch beschleunigte die Intervention zumindest temporär den Blutfluss: Die maximale Blutflussgeschwindigkeit lag in der Kontrollgruppe deutlich hinter der der Interventionsgruppe (Effektstärke – 0,27; Konfidenzlimit 90%: -0,68 – 0,14). Beim Blutlaktatlevel gab es hingegen keine signifikanten Unterschiede. Die Autoren schlussfolgerten daraus, dass WB-EMS sich zur Intensivierung der aktiven Regeneration für Teamsportarten mit einer Halbzeit oder für Sportarten, die mehrere Runden lang vollen Einsatz erfordern, besonders eignet.

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Chronisch lumbaler Rückenschmerz: Ganzkörper-EMS als zeitsparende therapeutische Alternative

Die Evidenz, dass WB-EMS auch Ältere und weniger Trainierte voranbringt, wächst ebenfalls. Ein Team aus Deutschland, das schon lange intensiv zu EMS und Rückenschmerzen forscht, rekrutierte zwischen April 2017 und August 2018 110 Männer und Frauen im Alter von 40 bis 70 Jahren, die an unspezifischen, chronischen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule litten (3). Die Patienten wurden in zwei Trainingsgruppen aufgeteilt: Eine (n = 55) trainierte fortan einmal pro Woche 45 Minuten ohne WB-EMS-Anzug, eine zweite (n= 55) genausooft 20 Minuten mit WB-EMS. Die Intervention dauerte 12 Wochen.

Beide Gruppen absolvierten Übungen zur Kräftigung der Rücken- und Bauchmuskulatur. Die Übungen der Kontrollgruppe hatten schon in Studien ihre Effektivität unter Beweis gestellt, die Übungen für das Ganzkörper-EMS waren speziell gegen lumbale Rückenschmerzen entwickelt worden. Das Training der Kontrollgruppe bestand aus 15 Minuten Aufwärmen im aeroben Bereich, darauf folgte ein Zirkeltraining mit 10 Stationen. Die WB-EMS-Gruppe hingegen trainierte initial 12 Minuten, dann wöchentlich immer länger bis hin zu 20 Minuten pro Einheit. Jede WB-EMS-Trainingsrunde beinhaltete 6 Übungen.

Primärer Studienendpunkt war die durchschnittliche Schmerzintensität im Bereich der Lendenwirbelsäule. Sekundäre Studienendpunkte waren die isometrische Maximalkraft des Rückenstreckers, des Rückenbeugers sowie der Bauchmuskulatur. Wie erwartet nahm die mittlere Schmerzintensität in beiden Gruppen signifikant ab (mit WB-EMS: -22,3 ± 20,9 % versus Kontrollgruppe: -30,2 ± 43,9 %). Der Unterschied zwischen den Gruppen erreichte keine Signifikanz. Bei der maximalen isometrischen Kraft der Rumpf- und Bauchmuskulatur gab es ähnliche Ergebnisse: Rumpfstrecker, Rumpfbeuger sowie Bauchmuskulatur wurden signifikant gekräftigt, doch die Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppe erreichten keine Signifikanz.

Somit erwiesen sich die konventionellen Trainings und die WB-EMS-Trainings als gleichwertig hinsichtlich der Therapie chronischer, unspezifisch lumbaler Rückenschmerzen. Das Training mit WB-EMS kann daher als zeitsparende, innovative Alternative zum ansonsten bewährten, aber mehr als doppelt so lang dauernden Rücken- und Bauchmuskel-Training betrachtet werden.

Risiken und Kontraindikationen

Die mehrere Muskelgruppen gleichzeitig ansteuernde, intensive Stimulation birgt allerdings auch Risiken, die aktuell noch erforscht werden. Vor allem bei vorher Untrainierten oder nach einem Übertraining kann es zur extremen Ausschüttung des Enzyms Creatin-Kinase (CK) kommen. Es zeigt Muskelschädigungen an, die beim Gesunden schnell repariert werden, aber auch in einer Rhabdomyolyse (auch Muskelzerfall genannt) und Nierenversagen münden können. Eine österreichische Übersichtsarbeit brachte 2019 die Ergebnisse aus 11 randomisiert-kontrollierten Studien, 3 Kohortenstudien und 7 Fallberichten aus den Jahren 2000 bis 2019 in einen Zusammenhang (2). Vor allem zu Beginn des Trainings ist demnach das Risiko für eine Rhabdomyolyse erhöht. Welche Konsequenzen die erhöhten CK-Werte für die Nieren und andere Organe haben, ist bisher ungeklärt. Die Autoren fordern nun die weitergehende Erforschung organischer und muskulärer Veränderungen nach WB-EMS-Trainings. Die Autoren empfehlen, Patienten mit Rhabdomyolyse in der Anamnese nicht zur WB-EMS zuzulassen.

Als absolute Kontraindikationen zur Nutzung des WB-EMS gelten derzeit

  • Fieber
  • entzündliche Erkrankungen
  • Blutungsneigung/Hämophilie
  • unbe­handelter Blut­hoch­druck
  • Herz­rhythmus­störungen
  • Arterio­sklerose
  • Neuronale Erkrankungen wie Epilepsie
  • Krebs
  • Herz­schritt­macher und andere Implantate
  • Schwangerschaften

Auch bei Diabetes mellitus, mit offenen Wunden sowie kurz nach einer Operation sollte in Absprache mit dem Arzt abgewogen werden, ob Ganzkörper-EMS infrage kommt oder ein zu großes Risiko bedeutet.

Insgesamt spricht alles dafür, dass es auf die Qualifikation der Trainer, eine intensive Anamnese und Betreuung der Trainierenden und die richtige Dosis ankommt. Wenn qualifizierte Trainer dafür geeignete Personen zum WB-EMS anleiten, und wenn Anfänger lediglich einmal pro Woche 20 Minuten trainieren, ist von einer hohen Sicherheit auszugehen.

■ Plaum P

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Quellen:

  1. Sañudo B, Bartolomé D, Tejero S, Ponce-González JG, Loza JP, Figueroa A: Impact of Active Recovery and Whole-Body Electromyostimulation on Blood-Flow and Blood Lactate Removal in Healthy People. Front Physiol. 2020; 11: 310. doi: 10.3389/fphys.2020.00310

  2. Stöllberger C, Finsterer J: Side effects of and contraindications for whole-body electro-myo-stimulation: a viewpoint. BMJ Open Sport Exerc Med. 2019; 5: e000619. doi: 10.1136/bmjsem-2019-000619

  3. Weissenfels A, Wirtz N, Dörmann U, Kleinöder H, Donath L, Kohl M, Fröhlich M, Von Stengel S, Kemmler W. Comparison of Whole-Body Electromyostimulation versus Recognized Back-Strengthening Exercise Training on Chronic Nonspecific Low Back Pain: A Randomized Controlled Study. Biomed Res Int. 2019; 5745409. doi: 10.1155/2019/5745409.