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ESC Leitlinie 2020 für Sportkardiologie und körperliche Bewegung bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Editorial der #1/2021 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) von Univ. Prof. Dr. Dr. Josef Niebauer, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin und Leiter des Instituts für präventive und rehabilitative Sportmedizin der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Mit der neuen ESC-Leitlinie, die unter seiner Mitwirkung verfasst wurde, wird verdeutlicht, dass körperliche Aktivität wesentlicher Bestandteil der Prävention und Rehabilitation nahezu aller chronischen Erkrankungen ist, und kein Sport somit keine Option ist.

ESC Leitlinie 2020 für Sportkardiologie und körperliche Bewegung bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen
© appledesign / Adpbe Stock

Diese ESC (European Society of Cardiology)-Leitlinie wurde unter Mitwirkung von Martin Halle, Präsident der European Association of Preventive Cardiology (EAPC), und mir, Vorsitzender der Sektion für Sportkardiologie der EAPC, verfasst und erscheint inmitten einer seit Jahrzehnten andauernden und sich ungebremst ausbreitenden Pandemie der körperlichen Inaktivität.

Die Erkenntnis, dass mangelnde körperliche Leistungsfähigkeit der stärkste Prädiktor für kardiovaskuläre aber auch Gesamt-Morbidität und Mortalität ist und körperliche Aktivität und Sport mit einer Reduktion derer einhergeht, haben zu einer Trendwende weg von restriktiven Empfehlungen oder gar Sportverboten hin zu verantwortungsvollen, aber dennoch eher großzügigen, individuellen Trainingsempfehlungen geführt. Körperliche Aktivität bis hin zu Sport sind wesentliche Bestandteile der Prävention und Rehabilitation nahezu aller chronischen Erkrankungen. Merke: KEIN Sport ist KEINE Option.

Neu ist auch, dass der Autonomie des Patienten bei der jeweiligen Entscheidung ein größerer Stellenwert gegeben wird. Nach gründlicher und individueller Risikoabschätzung gemeinsam durch Arzt und Patient wird eine Entscheidung über Art, Umfang und Intensität des Sports getroffen und in der Akte vermerkt (“shared decision making“). Aufgrund der zahlreichen positiven Effekte von Training und der geringen Wahrscheinlichkeit für einen plötzlichen Herztod beim Sport sollen Kollateralschäden, die durch ein Sportverbot entstehen, vermieden werden. Wie bei gesunden Erwachsenen jeden Alters sollen auch Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE) an 3-7 Tagen der Woche, insgesamt mindestens 150-300 Minuten pro Woche mit moderater oder 75-150 Minuten mit hoher Intensität Sport treiben. Krafttraining sollte zusätzlich mindestens dreimal pro Woche ausgeübt werden.

Hervorgehoben seien folgende Aspekte

Plötzlicher Herztod (Sudden Cardiac Death SCD)

Während bei Sportlern <35 Jahren meist angeborene Herzerkrankungen aber auch Myokarditiden ursächlich sind, zeigt sich bei Sportlern> 35 Jahre meist eine erworbene HKE, v.a. die koronare Herzkrankheit (KHK). Die Sporttauglichkeitsuntersuchung vor einer Teilnahme an Freizeit- oder Leistungssport zielt daher auf die Erkennung von Krankheiten im Zusammenhang mit SCD ab und beinhaltet neben dem Ruhe-EKG auch ein Belastungs-EKG (wenn möglich Spiroergometrie) und je nach Sportart sowie Trainingsumfang und -intensität eine Echokardiographie. Bei entsprechendem Alter und Risikofaktoren kann es zielführend sein, den Kalziumscore der Koronararterien mittels Koronar-CT zu bestimmen. Sofern die Befunde ein geringes Risiko für ein sportassoziiertes kardiales Ereignis ergeben, kann der Sportler/Patient für Freizeit- aber auch Leistungssport freigegeben werden. Bei Personen mit KHK und einem hohen Risiko für ein sportassoziiertes Ereignis sowie auch bei myokardialer Ischämie (auch aufgrund einer Koronaranomalie) wird Leistungssport nicht empfohlen. Nach einem akuten Koronarsyndrom aber auch bei chronischer KHK werden eine Rehabilitation sowie regelmäßige Kontrolluntersuchungen empfohlen.

Chronische Herzinsuffizienz

Trainingsprogramme für Patienten mit Herzinsuffizienz verbessern die Belastungstoleranz und Lebensqualität, sollten jedoch erst eingeleitet werden, nachdem die medizinische Therapie optimiert wurde. Eine maximale Ergometrie (möglichst Ergospirometrie) ist Voraussetzung für die Beurteilung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit, der hämodynamischen Funktion und der Induzierbarkeit von Arrhythmien unter Belastung. Auch sind die Ergebnisse der Ergometrie die Basis für die individuelle Dosierung der Trainingstherapie.

Herzklappenerkrankung

Asymptomatische Patienten mit leichtgradigen Herzklappenerkrankungen können im Allgemeinen am Leistungssport teilnehmen. Asymptomatische Patienten mit mittelschwerer Klappenerkrankung, guter myokardialer und hämodynamischer Funktion und ohne Anzeichen einer Myokardischämie oder komplexen Arrhythmien während einer maximalen Ergometrie, können nach gemeinsamer Entscheidungsfindung durchaus am Leistungssport teilnehmen.

Aortopathie

Personen mit einer Aortenwurzeldurchmesser <40 mm haben das geringste Risiko für eine Dissektion. Eine Risikostratifizierung durch Ergometrie und Bildgebung (Computertomographie / kardiale Magnetresonanztomographie) wird vor Beginn des Trainings empfohlen. Sportliche Teilnahme verringert das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen und Mortalität. Regelmäßige Kontrollen sind Grundvoraussetzung.

Kardiomyopathien, Myokarditis und Perikarditis

Bei Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie sollte eine individuelle Empfehlung für die Teilnahme am Sport gegeben werden. Pateinten mit akuter Myokarditis oder Perikarditis dürfen nicht am Sport teilnehmen. Nach Ausheilung einer Myokarditis (meist 3-6 Monate nach Diagnosestellung) oder Perikarditis (je nach Verlauf eher als bei Myokarditis) erfolgt eine umfassende Diagnostik einschließlich einer maximalen Ergometrie (möglichst Ergospirometrie), um das Risiko von belastungsinduzierten Arrhythmien zu beurteilen. Bei nachgewiesener arrhythmogener Kardiomyopathie ist Leistungssport kontraindiziert, da dieser nachweislich zu einem akzellerierten Krankheitsverlauf mit frühzeitigem Tod führen kann.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Dr. Josef Niebauer, MBA Vorsitzender der Sektion Sportkardiologie der European Association of Preventive Cardiology (EAPC), ESC Leitlinien 2020
Prim. Univ.-Prof. Dr. Dr. Josef Niebauer, MBA Vorsitzender der Sektion Sportkardiologie der European Association of Preventive Cardiology (EAPC) © Niebauer
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