Entzündungshemmer können Chronifizierung von Rückenschmerzen begünstigen
Schlagen konservative Behandlungsoptionen wie z. B. Physiotherapie bei lumbalen Rückenschmerzen (LBP) nicht an, erhalten Betroffene relativ häufig steroidale oder nichtsteroidale Analgetika (NSAID, non-steroidal anti-inflammatory drug). Tatsächlich können diese Medikamente schnell Erleichterung bringen – doch wie sieht es mit Langfrist-Effekten aus? Und begünstigen antiinflammatorische Substanzen vielleicht sogar die Chronifizierung von Schmerz? Ein internationales Studienteam hat den Einfluss solcher Entzündungshemmer auf das Heilungsgeschehen bei Rückenschmerzen untersucht (1).
Es wurden 98 Patientinnen und Patienten mit schweren akuten (≤ 6 Wochen bestehenden) lumbalen Rückenschmerzen rekrutiert. Die selbst berichtete Schmerzintensität betrug bei der Erstvorstellung durchschnittlich 6,8 Punkte (SD = 1,8) auf der 10 Punkte umfassenden numerischen Bewertungsskala. Der niedrigste angegebene Wert lag bei 4, der höchste bei 10. Eine transkriptomweite Analyse der peripheren Immunzellen aller Probanden half dabei, Entzündungsgene, die von der Aktivierung neutrophiler Granulozyten im Blut (Neutrophile) abhängig sind, zu bewerten. Gleichzeitig erhoben die Forscher entsprechende Veränderungen der Schmerzintensität: Wer war nach der zwölfwöchigen Follow-up-Zeit vollständig schmerzfrei („resolved pain“, R-Gruppe; n=49) und wessen Beschwerden persistierten („persistent pain“, P-Gruppe; n=49)?
Bei der Erstuntersuchung war zwischen Gruppe R und Gruppe P auf Genomebene kein signifikanter Unterschied hinsichtlich exprimierter Gene aufgefallen. 12 Wochen später waren über 1700 Entzündungsgene hochreguliert, jedoch nur bei genesenen Patienten! Die Studienautoren erklären sich dieses Ergebnis mit einer wichtigen Teilaufgabe von durch Degranulation aktivierten Neutrophilen: Sie sind dafür bekannt, dass sie an Stellen verletzter oder entzündeter Gewebe durch die Expression von Entzündungsmediatoren wie z. B. Zytokinen, Lipiden oder Proteasen gezielte inflammatorische Reize setzen, um Heilungsprozesse anzustoßen. Außerdem regulieren sie Schmerzen sowohl durch die Einwirkung auf periphere sensorische oder zentrale Neuronen zweiter Ordnung als auch indirekt auf Immunzellen – ähnlich wie Mikroglia und Astrozyten im Zentralnervensystem. In den letzten Jahren sind vermehrt Hinweise darauf aufgetaucht, dass diese Mechanismen mit darüber entscheiden, ob ein Schmerzgeschehen chronisch wird. Weitere beim Ersttermin hochregulierte Leukozytenformen in der Gruppe der Genesenen waren Makrophagen und Mastzellen, wobei die Aktivierung hier etwas geringer ausfiel. Insgesamt war die Intensität der Reaktion auf die Transkriptionsveränderung in der R-Gruppe um etwa 75 Prozent stärker als in der P-Gruppe.
Nach Analyse aller beteiligten pathophysiologischen Parameter war klar, dass jede Unterbrechung der heilsamen Reaktionskette einer Chronifizierung Vorschub leisten muss. In einer zweiten Testkohorte von Patienten mit temporomandibulärer Dysfunktion (TMD) konnten diese Ergebnisse vollständig reproduziert werden. Auch im parallel durchgeführten Mausmodell verlängerten Entzündungshemmer die Schmerzdauer; die periphere Injektion von Neutrophilen oder deren freigesetzten Proteinen am ursprünglichen Schmerzort machte den Effekt rückgängig. All diese Erkenntnisse deckten sich mit entsprechenden Analysen einer großen Humanstudie des UK-Biobank-Projekts: Hier lag das Chronifizierungsrisiko für Patienten, deren Rückenschmerzen mit NSAID behandelt wurden, um den Faktor 1,76 höher als bei solchen, die keine Entzündungshemmer eingenommen hatten.
Fazit: Die gut replizierbaren und auf andere Schmerzzustände anwendbaren Ergebnisse der Studie zeigen, wie eine hochregulierte Entzündungsreaktion im akuten Stadium muskuloskelettaler Schmerzen vor der Entwicklung chronischer Schmerzen schützt. Hemmt man diese natürliche Immunantwort zu früh, etwa durch medikamentöse Blockierung der Neutrophilen mittels Steroiden oder NSAID, nimmt man dem Körper eine essenzielle und hochwirksame Möglichkeit der Selbstheilung.
■ Kura L
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Quellen:
Parisien M, Lima LV, Dagostino C, El-Hachem N, Drury GL, Grant AV, Huising J, Verma V, Meloto CB, Silva JR, Dutra GGS, Markova T, Dang H, Tessier PA, Slade GD, Nackley AG, Ghasemlou N, Mogil JS, Allegri M, Diatchenko L. Acute inflammatory response via neutrophil activation protects against the development of chronic pain. Sci Transl Med. 2022; 14: eabj9954. doi:10.1126/scitranslmed.abj9954