Bewegungsförderung aktuell – Glas halb voll oder halb leer?

Editorial von Prof. Winfried Banzer und Dr. Eszter Füzéki aus der Ausgabe #11/2019 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Die beiden Wissenschaftler diskutieren die Voraussetzungen für routinemäßige Lebensstil- und Bewegungsberatungen, vor allem im Hinblick auf den kürzlich erschienenen Präventionsbericht. Sie stellen exemplarisch aktuelle nationale und internationale Aktivitäten in diesem Feld vor.

Bewegungsförderung aktuell – Glas halb voll oder halb leer?
© Robert Kneschke / Adobe Stock

Kaum ein Tag vergeht ohne, dass eine neue Studie publiziert wird, die das Wissen um die gesundheitlichen Effekte der Bewegung erweitert und bestätigt: Von immer genaueren Dosis-Wirkungs-Zusammenhängen, über Erkenntnissen bei Krankheitsbildern, die bis dato weniger im Fokus standen über neuen Informationen über Wirkungsweisen bis hin zu Effekten von spezifischen Bewegungsformen (8). Dieses Wissen steht nach wie vor in starkem Gegensatz zur immer noch weitverbreiteten Inaktivität hierzulande: Nur ca. jede fünfte Frau und jeder vierte Mann ist nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation körperlich ausreichend aktiv (5). Es bleibt also viel zu tun bei der Bewegungsförderung! Im Folgenden stellen wir exemplarisch einige aktuelle nationale und internationale Aktivitäten in diesem Feld kurz vor.

Das Bundesgesundheitsministerium als Förderer

Mit der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Entwicklung der Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung hat Deutschland 2016 endlich einen längst fälligen Schritt hin zu einer Aufwertung der Thematik getan und eine Lücke geschlossen. Es ist sehr zu begrüßen, dass das Ministerium nun diese Arbeit fortsetzend einen Förderschwerpunkt „Bewegung und Bewegungsförderung“ unterstützt. Die geförderten Vorhaben setzen in unterschiedlichen Settings und bei unterschiedlichen Zielgruppen an, mit dem überragenden Ziel, die Ergebnisse aus der praxisnahen Implementierungsforschung in die Breite tragen zu können (2). Wünschenswert wäre natürlich, die wirksamen Ansätze über die jeweiligen Projektlaufzeiten hinaus zu verstetigen.

Dr. Eszter Füzéki Goethe-Universität Frankfurt, Arbeitsbereich Präventiv- und Sportmedizin
Dr. Eszter Füzéki Goethe-Universität Frankfurt, Arbeitsbereich Präventiv- und Sportmedizin. © Füzéki
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Rezept für Bewegung – Voneinander lernen

Im Rahmen des Dritten Gesundheitsprogrammes der EU (2014-2020) wurde u.a. die Übertragung nachweislich wirksamer Programme in andere Mitgliedstaaten gefördert. In einem ersten Schritt hat die von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene Lenkungsgruppe für Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention und Management von nicht übertragbaren Krankheiten nach einschlägiger Beratung nachahmenswerte und wissenschaftlich evaluierte Verfahren (Best practice) ausgesucht, die in andere Mitgliedstaaten transferiert und weiterentwickelt werden sollten.

Eines der ausgewählten Best Practice Beispiele ist das Schwedische Modell Rezept für Bewegung (FaR oder PAP). Das Modell entwickelte sich aus kardiovaskulären Präventionsansätzen im hausärztlichen Bereich in den 1980 Jahren. Die hier gesammelten Erfahrungen gestärkt durch die internationale wissenschaftliche Evidenz führten schließlich in den darauffolgenden Jahren zu der Entwicklung des Modells (6).

Die fünf Kernelemente des Schwedischen Beratungsansatzes sind: Patientenzentrierung und Individualisierung, evidenzbasierte Beratung, Verankerung in der Kommune, schriftliches „Rezept“ und Verlaufsberatung. Die Wirksamkeit von FaR wurde in zahlreichen wissenschaftlichen Studien belegt. Eine aktuelle systematische Übersicht kommt zum Schluss, dass Ansätze, die die Kernelemente des Schwedischen Modells beinhalten, zu vermehrter körperlicher Aktivität führen (7).

Das Schwedische Rezept für Bewegung weist Elemente vom Bewegungsberatungs- und vom Rezept für Bewegung-Ansatz auf. Patienten können nach einer Beratung sich sowohl in Eigenregie als auch in Rahmen organisierter Angebote körperlich betätigen. Das Modell zeigt Ähnlichkeiten aber auch klare Unterschiede zum deutschen Ansatz. In Schweden dürfen neben den Ärzten auch andere Gesundheitsfachkräfte aktuell inaktive gesunde und chronisch kranke Patienten, angepasst an ihre Möglichkeiten und Vorlieben, zur gesundheitsfördernden Bewegung beraten. Die Verantwortung für die Therapie der Patienten bleibt davon unberührt beim Arzt. Alle „Verschreiber“, unabhängig von ihrem Beruf, müssen entsprechend qualifiziert sein. Die meisten Beratungen in Schweden führen Physiotherapeuten durch.

Prof. Dr. Dr. Winfried Banzer Goethe-Universität Frankfurt, Arbeitsbereich Präventiv- und Sportmedizin
Prof. Dr. Dr. Winfried Banzer Goethe-Universität Frankfurt, Arbeitsbereich Präventiv- und Sportmedizin © Banzer

In Deutschland bekennen sich die meisten (Haus)ärzte explizit zur Lebensstil- und Bewegungsberatung (3, 9), wie auch jüngst vom 122. Deutscher Ärztetag nachdrücklich bekräftigt (1). Die routinemäßige Ausübung dieser Tätigkeit im Praxisalltag wird allerdings durch zahlreiche Barrieren erschwert. Anders als in Schweden, wo die Ärzte ihre Patienten z. B. an Coaches verweisen können, die sich mit den lokalen Angeboten bestens auskennen, und die Patienten über Monate hinweg betreuen können, fehlt in Deutschland so eine koordinierende, unterstützende Instanz. Dies wird immer wieder sowohl seitens der Patienten (10) als auch der Ärzte (3) als Hindernis in der ärztlichen Beratung gesehen. Auch der 122. Deutsche Ärztetag fordert „eine kassenübergreifende Übersicht der regionalen Präventionsangebote“, an die Ärzte ihre Patienten weitervermitteln können (1).

Seit März 2019 bilden nun Partner aus zehn Mitgliedstaaten, darunter der Arbeitsbereich Präventiv- und Sportmedizin der Goethe-Universität, ein Konsortium, mit dem Ziel, die Leitideen des FaR – angepasst an die lokalen, regionalen und nationalen Begebenheiten – in das eigene Land oder Region zu transferieren und weiterzuentwickeln (EUPAP) (4). Das auf 36 Monate angelegte Projekt umfasst drei Phasen: Machbarkeitsstudie, Schulungsmaßnahmen und lokale Umsetzung und adressiert eine Vielzahl an Akteuren in der Politik, im Gesundheitswesen auch in der täglichen Praxis.

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Welche Rolle kann das Präventionsgesetz spielen?

Die explizite Aufnahme von ärztlichen Präventionsempfehlungen in das Präventionsgesetz hat verhaltenen Optimismus ausgelöst. Der im Juni 2019 erschienene Erste Präventionsbericht liefert allerdings noch keine aussagekräftigen Daten zur Nutzung und ersten Erfahrungen. Abzuwarten ist, ob die Ärzteschaft ihre Forderung nach einer Honorierung dieser Tätigkeit und der Aufnahme von Organisationen der ärztlichen Selbstverwaltung in die Nationale Präventionskonferenz erreichen, und damit bessere Voraussetzungen für routinemäßige Lebensstil- und Bewegungsberatung schaffen kann. Der Bedarf ist ohne Zweifel da.

■ Füzéki E, Banzer W

Eszter Füzéki wird durch das EU Project Grants HP-PJ-2018. Topic PJ-04-2018 und durch das vom Bundgesundheitsministerium geförderte „BEwegte Aktive TAfel Netzwerk BEATA“ gefördert. Der Inhalt dieser Veröffentlichung gibt nur die Ansichten der Autoren wieder und liegt in ihrer alleinigen Verantwortung. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er die Ansichten der Europäischen Kommission und / oder der Exekutivagentur für Verbraucher, Gesundheit, Landwirtschaft und Ernährung (CHAFEA) oder einer anderen Einrichtung der Europäischen Union widerspiegelt. Die Europäische Kommission und die Agentur akzeptieren keine Verantwortung für die Verwendung der darin enthaltenen Informationen.

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Quellen:

  1. Bundesärztekammer. Beschlussprotokoll 122. Deutscher Ärztetag. Hg. v. Bundesärztekammer; 2019. https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/122.DAET/122DAETBeschlussprotokoll.pdf [21st October 2019].

  2. Bundesministerium für Gesundheit (o.J.). Bewegung und Bewegungsförderung – Förderschwerpunkt. Bundesministerium für Gesundheit. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/b/bewegung-und-bewegungsfoerderung.html [21st October 2019].

  3. Curbach J, Apfelbacher C, Knoll A, Herrmann S, Szagun B, Loss J. Physicians’ perspectives on implementing the prevention scheme “Physical Activity on Prescription”: Results of a survey in Bavaria. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes. 2018; 131-132: 66-72. doi:10.1016/j.zefq.2018.02.001

  4. EUPAP. EUPAP - An European Physical Activity on Prescription. www.eupap.org [21st October 2019]

  5. Finger JD, Mensink GBM, Lange C, Manz K. Health-enhancing physical activity during leisure time among adults in Germany. Journal of Health Monitoring. 2017; 2: 35-42. doi:10.17886/RKI-GBE-2017-040

  6. Kallings L. Physical activity on prescription : Studies on physical activity level, adherence and cardiovascular risk factors; 2008. http://openarchive.ki.se/xmlui/bitstream/10616/39972/1/thesis.pdf [21st October 2019].

  7. Onerup A, Arvidsson D, Blomqvist Å, Daxberg EL, Jivegård L, Jonsdottir IH, Lundqvist S, Mellén A, Persson J, Sjögren P, Svanberg T, Borjesson. Physical activity on prescription in accordance with the Swedish model increases physical activity: a systematic review. Br J Sports Med. 2019; 53: 383-388. doi:10.1136/bjsports-2018-099598

  8. Piercy KL, Troiano RP, Ballard RM, Carlson SA, Fulton JE, Galuska DA, George SM, Olson RD. The Physical Activity Guidelines for Americans. JAMA. 2018; 320: 2020-2028. doi:10.1001/jama.2018.14854

  9. Regus S, Bockelbrink A, Braun V, Heintze C. Präventive Beratung: Selbsteinschätzungen Brandenburger Hausärzte. In: Gesundheitswesen (Bundesverband der Arzte des Offentlichen Gesundheitsdienstes (Germany)). 2013; 75: 515–520. doi:10.1055/s-0032-1321784

  10. Wangler J, Jansky M. Die Bedeutung des hausärztlichen Settings für die Bewegungs- und Gesundheitsförderung im höheren Lebensalter – Ergebnisse einer Befragung. In: Präv Gesundheitsf. 2019; 69: 401. doi:10.1007/s11553-019-00726-3