Bewegung mindert, Sitzen erhöht das Risiko für Magen-Darm-Erkrankungen
In der Vergangenheit gab es nur wenige Studien, die sich mit dem kausalen Zusammenhang zwischen bewegungsarmer Lebensweise und Magen-Darm-Erkrankungen beschäftigten. Beobachtungsstudien konnten zwar eine gewisse Relation feststellen, dennoch war die Beweislage nicht ausreichend, um daraus auf eine Kausalität zu schließen. In einer neuen genomweiten Assoziationsstudie aus China wurden nun Personen, die entweder einen sitzenden Lebensstil pflegten oder sich regelmäßig bewegten hinsichtlich ihres Erkrankungsrisikos miteinander verglichen (1). Verwendet wurde der epidemiologische Ansatz der Mendelschen Randomisierung (MR). Dabei werden genetische Varianten als Variablen verwendet, um kausale Schlussfolgerungen zu erhalten. In der vorliegenden Analyse wurden also Varianten für mittlere bis erhöhte körperliche Aktivität (Moderate to vigorous physical activity, MVPA) auf der einen, sowie solche für sitzende Freizeitbeschäftigung (Leisure screen time, LST) auf der anderen Seite aus Genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) von 51 europäischen Populationen extrahiert.
Es zeigte sich, dass regelmäßige MVPA das Risiko für eine große Zahl von Erkrankungen des oberen und unteren Verdauungssystems wie gastroösophagealen Reflux, Magengeschwüre, chronische Gastritis, Reizdarmsyndrom, Cholezystitis, Cholelithiasis, akute und chronische Pankreatitis verringerte. Währenddessen erhöhte LST das Risiko für alle genannten sowie Zwölffingerdarmgeschwür, Divertikelkrankheit, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, nichtalkoholische Fettlebererkrankung, alkoholische Lebererkrankung, Cholangitis und akute Blinddarmentzündung.
Allerdings zeigte sich gleichzeitig, dass zwei pleiotrope Effekte einen zusätzlichen Einfluss auf die festgestellte Erhöhung des Krankheitsrisikos hatten: Rauchen und Alkoholkonsum waren ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für die meisten der gastrointestinalen Erkrankungen verbunden. Doch auch nach Berücksichtigung des genetisch veranlagten Nikotin- und Alkoholkonsums blieben die Effekte von LST und MVPA signifikant für die Entstehung der untersuchten Erkrankungen. Ähnlich verhielt es sich mit den Faktoren BMI, Waist-to-hip-ratio, Typ-II-Diabetes und Insulinspiegel, die alle bekanntermaßen durch das körperliche Aktivitätsverhalten beeinflusst werden und wiederum einen statistischen Einfluss von bis zu 67 Prozent auf das Vorkommen einzelner gastrointestinaler Erkrankungen hatten. Diese Faktoren wurden damit als mögliche Mediatoren identifiziert und könnten zukünftig als Angriffspunkte für gezielte Interventionsansätze dienen.
Als mögliche Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen einem sitzenden Lebensstil und Magen-Darm-Erkrankungen über die oben genannten Mediatoren hinaus erklären könnten, werden u. a. vermehrte chronische Inflammationsprozesse, gestörter Fettstoffwechsel durch erniedrigte Lipoproteinlipase und eine gestörte Darmflora genannt. Zukünftige Untersuchungen könnten hier möglicherweise in die Tiefe gehen oder weitere Patho-Mechanismen identifizieren. Die Stärke der vorliegenden Studie liegt in dem verwendeten Ansatz der Mendelschen Randomisierung, der eine äußerst unvoreingenommene Untersuchung von vermuteten Kausalbeziehungen bei Berücksichtigung möglicher pleiotroper Effekte und Mediatoren ermöglicht.
Es zeigte sich, dass eine sitzende Lebensweise, wie sie weltweit über ein Viertel der Weltbevölkerung und inzwischen sogar 42 Prozent der Menschen in Industrienationen führen, eine kausale Rolle bei der Entstehung vieler Magen-Darm-Erkrankungen spielen kann. Diese neuen Ergebnisse weisen auf die teils gravierenden gesundheitlichen Folgen dieses Trends hin. Gleichzeitig macht die Studie aber auch Hoffnung. Die Autoren heben frühere Ergebnisse hervor, die zeigten, dass bereits kleine Bewegungseinheiten und jede Verringerung der sitzend verbrachten Zeit Risiken für diese Personen wirksam mindern. Schon niedrigschwellige Lifestyle-Veränderungen können Belastungen des Gesundheitssystems und der Gesellschaft vorbeugen.
■ Taylan Y, Hutterer C
Quellen:
Chen J, Ruan X, Fu T, Lu S, Gill D, He Z, Burgess S, Giovannucci EL, Larsson SC, Deng M, Yuan S, Li X. Sedentary lifestyle, physical activity, and gastrointestinal diseases: evidence from mendelian randomization analysis. E Bio Medicine. 2024; 103. doi:10.1016/j.ebiom.2024.105110.