Akupunktur im Leistungssport: Indikationen, Evidenz und Entwicklung

Akupunktur im Leistungssport: Indikationen, Evidenz und Entwicklung
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Wer auf Leistungs- und Wettkampfniveau trainiert, muss verletzungsbedingte Ausfälle so gering wie möglich halten. Als Säule multimodaler Behandlungs- und Trainingsregimes wird zunehmend auch Akupunktur eingesetzt. Einer von vielen Vorteilen ist der Wegfall jeglicher Doping-Problematik: Akupunktur gegen Schmerzen, bei Sportverletzungen oder zur Muskelentspannung ist definitiv unauffällig. Es spricht also viel dafür, mindestens im Leistungssport diese Methode als Standardverfahren zu etablieren. Umso mehr erstaunt es, wie wenig wissenschaft­liche Forschung auf diesem Gebiet nach wie vor betrieben wird.

Viel Erfahrung, ausbaufähige Evidenz

Prof. Dr. Florian Pfab ist Facharzt für Dermatologie mit Zusatzbezeichnung Sportmedizin, Akupunktur, manuelle Medizin/Chirotherapie und Ernährung sowie Leiter Medizin beim Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt. Er bestätigt, dass Akupunktur als begleitende Maßnahme bei Sportverletzungen und Überlastungsschäden wegen sehr guter Erfahrungen längst einen festen Platz hat: »Die Rezeption von Akupunktur im Leistungssport ist weitgehend positiv. Gerade Techniken wie Dry Needling zur Modulation myofaszialer Triggerpunkte werden immer populärer. Spannend sind experimentelle Daten, die Hinweise auf eine Verbesserung von Beweglichkeit und Muskeltonus liefern. Interessante Untersuchungen laufen derzeit zu neuromodulatorischen Effekten von Akupunktur, die mittels bildgebender Techniken dargestellt werden können (5). Insgesamt gibt es aber aus wissenschaftlicher Sicht gerade im Hochleistungssport noch deutlichen Forschungsbedarf.«

Sein Kollege, Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Fleckenstein, Akademischer Oberrat und Facharzt für Anästhesiologie an der Goe­the-Universität Frankfurt, bestätigt diese Beobachtungen (1) vor allem aus schmerzmedizinischer Sicht: »2019 habe ich gemeinsam mit einem Kollegen in einer narrativen Übersichtsarbeit einige Studien und Fallberichte zu Akupunktur bei funktionellen und myofaszialen Schmerzen beleuchtet. Zwar waren die Fallzahlen eher klein, doch konzentrierten wir uns im Gegensatz zu den meisten Akupunkturstudien konsequent auf sportbedingte Schmerzen. Für uns wenig überraschend erwies sich Akupunktur neben anderen konservativen Methoden als signifikant wirkungsvoll und teilweise überlegen. Was trotz dieser vielen Einzelbeobachtungen noch fehlt, ist eine wissenschaftliche Betrachtung des großen Ganzen.«

Den Grund dafür, dass sich vor allem im akademischen Bereich trotz kaum wegzudiskutierender positiver Erfahrungen immer wieder Wirksamkeitskritik erhebt, sieht Dr. Fleckenstein in der Natur des wissenschaftlichen Anspruchs: »Hands-on-Methoden wie Akupunktur sind viel subjektiver als etwa in der Medikamenforschung, bei der in vitro eine pharmakologische Interaktion zwischen Substanz und Rezeptor gemessen werden kann. Es spielen so viele nicht objektivierbare Aspekte eine Rolle – die Erfahrung der Behandelnden, die Genauigkeit der Diagnose, die Schwere der Verletzung, die individuelle Schmerz­empfindlichkeit sowie die Fähigkeit der Patientin oder des Patienten, hilfreiches Feedback zu geben. Und wie wollen Sie so eine Studie realistisch verblinden? Unter solchen Bedingungen sind die strengen Anforderungen an jederzeit reproduzierbare, messbare Ergebnisse kaum zu erfüllen.« Zukünftige Hoffnungen setzt Prof. Pfab deshalb z. B. auf die Erforschung messbarer Aktivierung von schmerzlindernden Prozessen.

Das trotz allem insgesamt positive Bild wird durch die Ergebnisse einer großen, hochwertigen Analyse aus dem Jahr 2017 untermauert. Sie nahm zwar nicht ausdrücklich Bezug auf Sportschäden, zeigt aber die gute klinische Wirksamkeit von Akupunktur bei allgemeinen chronischen Schmerzen des Muskel-Skelettapparats (10). Erst in jüngster Vergangenheit hat zudem ein aktueller systematischer Review 22 klinische Fallberichte und Fallserien analysiert, die sich mit dem Einsatz von Akupunktur bei typischen Sportverletzungen befassten – ausdrücklich als Grundlage für künftige Studien mittels klinischer Evidenzforschung (3). Der Review fand moderate bis signifikante Hinweise auf die Wirksamkeit z. B. bei Schulterschmerzen, Ellbogen- und proximaler Hamstring-Tendinopathie, lateralen Meniskusläsionen, Wadenzerrungen, Tennis­ellenbogen und trainingsbedingtem DOMS (Delayed Onset Muscle Soreness). Sogar psychische Verhaltens- und Befindlichkeitsstörungen wie Golfer-Yips und postkonkussive Symptome sprachen in den untersuchten Arbeiten überwiegend gut auf Akupunktur an. Auch mit Blick auf die (wenn auch relativ schmale) Evidenzbasis anhand früherer randomisierter Studien sprechen die Autoren eine klare Empfehlung für die Integration von Akupunktur in die moderne Sportmedizin aus.

Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Fleckenstein, Akademischer Oberrat und Facharzt für Anästhesiologie an der Goethe-Universität Frankfurt.
Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Fleckenstein, Akademischer Oberrat und Facharzt für Anästhesiologie an der Goethe-Universität Frankfurt. © Fleckenstein
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Akupunktur bei Sportverletzungen

Ziel der Behandlung bei Leistungssportlern ist immer ein möglichst schnelles, sicheres Return-to-Play unter Geringhaltung der Rezidivgefahr. Dabei müssen im Leistungsbereich deutlich mehr Faktoren in die Therapieplanung mit einfließen als bei Hobbysportlern, die vorrangig zu ihrer normalen täglichen Aktivität zurückkehren wollen. Das behandelnde Team aus Sportmedizin, Physiotherapie und Trainerstab agiert im Optimalfall in enger gegenseitiger Absprache. Neben rein medizinischen Aspekten stehen höchst individuelle Entscheidungen zur Debatte, die jedoch sportart- und niveauspezifisch immer wieder angepasst werden sollten.

Prof. Pfab sieht Akupunktur unbedingt als wertvolle Option: »Ich kann jeder Kollegin und jedem Kollegen aus dem sportmedizinischen Bereich empfehlen, Akupunktur professionell zu erlernen und anzubieten. Sie erweitert das therapeutische Spektrum um eine nur minimal invasive Methode, die andere Maßnahmen ohne schädliche Wechselwirkungen oft sehr gut ergänzt.«

Indikationen

In der sportmedizinischen Praxis werden verschiedene Akupunkturformen regelmäßig in folgenden Fällen eingesetzt (3, 4, 6, 8):
• akute Läsionen der Bänder, Sehnen, Muskeln (zur Abschwellung und Förderung der Gewebeproliferation)
• Gelenkdistorsionen
• akute und chronische Bursitiden
• akute Frakturen (zur Abschwellung und Förderung der Knochenneubildung)
• akute und chronische Kniebeschwerden (z. B. Meniskusruptur, Arthrose)
• chronische Überlastungsschäden (z. B. Golfer-/Tennisellenbogen, Tendinitis, Bursitis, Patellaspitzensyndrom)
• Sofortanalgesie und Schmerzmanagement
• Schmerztherapie (Referred pain syndrome)
• Förderung der Regeneration
• verzögert einsetzender Muskelkater/DOMS (Delayed Onset Muscle Soreness)
• postoperative Schmerzen
• myofasziale Nacken- und Rückenschmerzen
• Frozen Shoulder
• belastende Befindlichkeitsstörungen (z. B. Heuschnupfen, Migräne)
• Ganglionzysten
• Sporthernien

Dr. Fleckenstein sieht außerdem interessantes Potenzial für Akupunktur als diagnostisches Werkzeug: »Spricht eine verletzte oder schmerzende Region unmittelbar auf die Nadelung eines zugehörigen Akupunkturpunkts an, kann man mit etwas Erfahrung durchaus diagnostische Rückschlüsse ziehen.«

Verschiedene Akupunktur-Techniken

Im Leistungssport werden, so Prof. Pfab, der selbst dazu forscht (6), verschiedene Techniken verwendet:

• Bei der Körperakupunktur wird an mehreren über den ganzen Körper verteilten Akupunkturpunkten »genadelt«. Selten kommt dazu Laser zum Einsatz. Eine Sonderform ist die Elektroakupunktur, bei der eingestochene Nadeln mit Leitdrähten verbunden und per TENS-Gerät angesteuert werden. Durch die Nerven-Muskel-Interaktion kann dann der Muskeltonus moduliert werden, wodurch meist sofort ein subjektives (!) Gefühl von Lockerung entsteht.

• Mikrosystemakupunktur wie Ohr- und Handakupunktur, Schädelakupunktur nach Yamamoto oder Mundakupunktur nach Gleditsch bilden den ganzen Körper in einem Mikrosystem ab. Jeder Punkt des Körpers kann von dort aus angesteuert werden. Am Ohr verbleiben manchmal kurze Dauernadeln für mehrere Tage am gewählten Punkt.

• Dry Needling aktiviert keine vordefinierten Akupunktur-, sondern individuell je nach Beschwerdebild drucksensible myofasziale Triggerpunkte. Die Nadel wird nur kurz eingestochen und sofort wieder leicht zurückgezogen, sobald am Muskel eine kurze Zuckungsreaktion (»twitch response«) zu spüren ist. Durch den Nadelstich lösen sich Verspannungen schnell und nachhaltig, Sauerstoffversorgung und Durchblutung am Muskel verbessern sich und Entzündungsreaktionen können schneller abklingen.

• Moxibustion ist eine aus dem Ayurveda stammende Methode. Dabei werden glühende kleine Kegel aus gepressten Beifußblättern auf die Akupunkturpunkte gesetzt bzw. geklebt, was diese durch Hitze statt durch Nadelstich reizt. Mittels Moxa-Kegeln können auch gestochene Akupunkturnadeln in der Tiefe erhitzt werden, um den Effekt zu intensivieren.

• Schröpfen mit vorher erhitzten Schröpfgläsern, die sich auf der Haut festsaugen, gehört nicht zu den dezidierten Akupunkturtechniken. Vor allem in der TCM wird es aber oft adjuvant angewendet, etwa zum Lösen myofaszialer Verspannungen, zur Bindegewebsmassage oder zur Ableitung von Blut-Überfülle aus gestauten Bereichen.

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Akupunktur zur Leistungssteigerung und Prävention?

Wenngleich im Profisportbereich laut Prof. Pfab durchaus Potenziale für Leistungssteigerung und Verletzungsprävention durch Akupunktur liegen, ist die Evidenz hier noch ganz am Anfang. Eine kleinere randomisierte Pilotstudie befasste sich etwa mit der Beeinflussung der Schulter-Muskelkraft bei Athletinnen nach klassischer Nadelakupunktur. Das Studienteam fand Belege dafür, dass die Muskelkraft bei der Verumgruppe durch die Behandlung signifikant stieg, weil durch die Nadelung der gewählten proximalen Akupunkturpunkte eine Postaktivierungspotenzierung (PAP) in den motorischen Einheiten des Körpers induziert wurde (7). Dry Needling erwies sich in einer weiteren Studie an Nachwuchsfußballern als einer Placebo-Laserbehandlung signifikant überlegen bezüglich Verbesserung der Kraftausdauer in den Knieflexoren und -extensoren. Gleichzeitig erhöhte sich die Hüftbeweglichkeit (2).

Wer darf akupunktieren?

Wer in Deutschland akupunktieren möchte, braucht dazu zwingend eine ärztliche Approbation oder den Heilpraktikerschein (das gilt auch für Fachkräfte aus den Bereichen Physiotherapie, Osteopathie und TCM). Akupunkturgesellschaften bieten entsprechende Weiterbildungsprogramme an. Ärzte können frühestens 24 Monate nach Abschluss dieser Weiterbildung bei den Landesärztekammern die Zusatzbezeichnung Akupunktur erwerben. Diese ist Voraussetzung für eine Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen. In jedem Fall sollte eine Akupunkturbehandlung in ein strukturiertes medizinisches Diagnose- und Behandlungskonzept eingebunden sein.

Wann zahlen Krankenkassen Akupunktur?

Nicht immer ist Akupunktur eine reine IGeL-Leistung. Seit 2007 erstatten die gesetzlichen Krankenkassen eine begrenzte Anzahl an Akupunktur-Sitzungen bei lumbalen Rückenschmerzen sowie Kniegelenksarthrose, wenn die Schmerzen seit mindestens sechs Monaten bestehen. Viele Kassen übernehmen die Kosten auf Anfrage auch bei anderen Beschwerden. Private Kassen sind weit großzügiger, vor allem bei schmerzassoziierten Indikationen. Mit zunehmend positiver Studienlage ist zu erwarten, dass weitere Indikationen in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen werden.

■ Kura L

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Quellen:

  1. Fleckenstein J, Banzer W. A review of hands-on based conservative treatments on pain in recreational and elite athletes. Science & Sports. 2019; 34: e77-e100. doi:10.1016/j.scispo.2018.08.004

  2. Haser C, Stöggl T, Kriner M, Mikoleit J, Wolfahrt B, Scherr J, Halle M, Pfab F. Effect of Dry Needling on Thigh Muscle Strength and Hip Flexion in Elite Soccer Players. Med Sci Sports Exerc. 2017; 49: 378-383. doi:10.1249/MSS.0000000000001111

  3. Huang C, Wang Z, Xu X, Hu S, Zhu R, Chen X. Does Acupuncture Benefit Delayed-Onset Muscle Soreness After Strenuous Exercise? A Systematic Review and Meta-Analysis. Front Physiol. 2020; 11: 666. doi:10.3389/fphys.2020.00666

  4. Lee JW, Lee JH, Kim SY. Use of Acupuncture for the Treatment of Sports-Related Injuries in Athletes: A Systematic Review of Case Reports. Int J Environ Res Public Health. 2020; 17: 8226. doi:10.3390/ijerph17218226

  5. Maeda Y, Kim H, Kettner N, Kim J, Cina S, Malatesta C, Gerber J, McManus C, Ong-Sutherland R, Mezzacappa P, Libby A, Mawla I, Morse LR, Kaptchuk TJ, Audette J, Napadow V. Rewiring the primary somatosensory cortex in carpal tunnel syndrome with acupuncture. Brain. 2017; 140: 914-927. doi:10.1093/brain/awx015

  6. Pfab F, Sommer B, Haser C. Akupunkturtechniken im Profifußball. Unfallchirurg. 2018; 121: 450-454. doi:10.1007/s00113-018-0500-0

  7. Pieters L, Lewis J, Kuppens K, Jochems J, Bruijstens T, Joossens L, Struyf F. An Update of Systematic Reviews Examining the Effectiveness of Conservative Physical Therapy Interventions for Subacromial Shoulder Pain. J Orthop Sports Phys Ther. 2020; 50: 131-141. doi:10.2519/jospt.2020.8498

  8. Wang IL, Chen YM, Hu R, Wang J, Li ZB. Effect of Acupuncture on Muscle Endurance in the Female Shoulder Joint: A Pilot Study. Evid Based Complement Alternat Med. 2020; 9786367. doi:10.1155/2020/9786367

  9. Weisser S. Akupunktur bei Sportverletzungen. Zkm. 2014; 05: 24-28. doi:10.1055/s-0034-1390669

  10. Vickers AJ, Vertosick EA, Lewith G, MacPherson H, Foster NE, Sherman KJ, Irnich D, Witt CM, Linde K; Acupuncture Trialists' Collabo­ration. Acupuncture for Chronic Pain: Update of an Individual Patient Data Meta-Analysis. J Pain. 2018; 19: 455-474. doi:10.1016/j.jpain.2017.11.005