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Akupunktur im Leistungssport: Indikationen, Evidenz und Entwicklung

Akupunktur im Leistungssport: Indikationen, Evidenz und Entwicklung
© New Africa / Adobe Stock

Wer auf Leistungs- und Wettkampfniveau trainiert, muss verletzungsbedingte Ausfälle so gering wie möglich halten. Als Säule multimodaler Behandlungs- und Trainingsregimes wird zunehmend auch Akupunktur eingesetzt. Einer von vielen Vorteilen ist der Wegfall jeglicher Doping-Problematik: Akupunktur gegen Schmerzen, bei Sportverletzungen oder zur Muskelentspannung ist definitiv unauffällig. Es spricht also viel dafür, mindestens im Leistungssport diese Methode als Standardverfahren zu etablieren. Umso mehr erstaunt es, wie wenig wissenschaft­liche Forschung auf diesem Gebiet nach wie vor betrieben wird.

Viel Erfahrung, ausbaufähige Evidenz

Prof. Dr. Florian Pfab ist Facharzt für Dermatologie mit Zusatzbezeichnung Sportmedizin, Akupunktur, manuelle Medizin/Chirotherapie und Ernährung sowie Leiter Medizin beim Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt. Er bestätigt, dass Akupunktur als begleitende Maßnahme bei Sportverletzungen und Überlastungsschäden wegen sehr guter Erfahrungen längst einen festen Platz hat: »Die Rezeption von Akupunktur im Leistungssport ist weitgehend positiv. Gerade Techniken wie Dry Needling zur Modulation myofaszialer Triggerpunkte werden immer populärer. Spannend sind experimentelle Daten, die Hinweise auf eine Verbesserung von Beweglichkeit und Muskeltonus liefern. Interessante Untersuchungen laufen derzeit zu neuromodulatorischen Effekten von Akupunktur, die mittels bildgebender Techniken dargestellt werden können (5). Insgesamt gibt es aber aus wissenschaftlicher Sicht gerade im Hochleistungssport noch deutlichen Forschungsbedarf.«

Sein Kollege, Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Fleckenstein, Akademischer Oberrat und Facharzt für Anästhesiologie an der Goe­the-Universität Frankfurt, bestätigt diese Beobachtungen (1) vor allem aus schmerzmedizinischer Sicht: »2019 habe ich gemeinsam mit einem Kollegen in einer narrativen Übersichtsarbeit einige Studien und Fallberichte zu Akupunktur bei funktionellen und myofaszialen Schmerzen beleuchtet. Zwar waren die Fallzahlen eher klein, doch konzentrierten wir uns im Gegensatz zu den meisten Akupunkturstudien konsequent auf sportbedingte Schmerzen. Für uns wenig überraschend erwies sich Akupunktur neben anderen konservativen Methoden als signifikant wirkungsvoll und teilweise überlegen. Was trotz dieser vielen Einzelbeobachtungen noch fehlt, ist eine wissenschaftliche Betrachtung des großen Ganzen.«

Den Grund dafür, dass sich vor allem im akademischen Bereich trotz kaum wegzudiskutierender positiver Erfahrungen immer wieder Wirksamkeitskritik erhebt, sieht Dr. Fleckenstein in der Natur des wissenschaftlichen Anspruchs: »Hands-on-Methoden wie Akupunktur sind viel subjektiver als etwa in der Medikamenforschung, bei der in vitro eine pharmakologische Interaktion zwischen Substanz und Rezeptor gemessen werden kann. Es spielen so viele nicht objektivierbare Aspekte eine Rolle – die Erfahrung der Behandelnden, die Genauigkeit der Diagnose, die Schwere der Verletzung, die individuelle Schmerz­empfindlichkeit sowie die Fähigkeit der Patientin oder des Patienten, hilfreiches Feedback zu geben. Und wie wollen Sie so eine Studie realistisch verblinden? Unter solchen Bedingungen sind die strengen Anforderungen an jederzeit reproduzierbare, messbare Ergebnisse kaum zu erfüllen.« Zukünftige Hoffnungen setzt Prof. Pfab deshalb z. B. auf die Erforschung messbarer Aktivierung von schmerzlindernden Prozessen.

Das trotz allem insgesamt positive Bild wird durch die Ergebnisse einer großen, hochwertigen Analyse aus dem Jahr 2017 untermauert. Sie nahm zwar nicht ausdrücklich Bezug auf Sportschäden, zeigt aber die gute klinische Wirksamkeit von Akupunktur bei allgemeinen chronischen Schmerzen des Muskel-Skelettapparats (10). Erst in jüngster Vergangenheit hat zudem ein aktueller systematischer Review 22 klinische Fallberichte und Fallserien analysiert, die sich mit dem Einsatz von Akupunktur bei typischen Sportverletzungen befassten – ausdrücklich als Grundlage für künftige Studien mittels klinischer Evidenzforschung (3). Der Review fand moderate bis signifikante Hinweise auf die Wirksamkeit z. B. bei Schulterschmerzen, Ellbogen- und proximaler Hamstring-Tendinopathie, lateralen Meniskusläsionen, Wadenzerrungen, Tennis­ellenbogen und trainingsbedingtem DOMS (Delayed Onset Muscle Soreness). Sogar psychische Verhaltens- und Befindlichkeitsstörungen wie Golfer-Yips und postkonkussive Symptome sprachen in den untersuchten Arbeiten überwiegend gut auf Akupunktur an. Auch mit Blick auf die (wenn auch relativ schmale) Evidenzbasis anhand früherer randomisierter Studien sprechen die Autoren eine klare Empfehlung für die Integration von Akupunktur in die moderne Sportmedizin aus.

Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Fleckenstein, Akademischer Oberrat und Facharzt für Anästhesiologie an der Goethe-Universität Frankfurt.
Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Fleckenstein, Akademischer Oberrat und Facharzt für Anästhesiologie an der Goethe-Universität Frankfurt. © Fleckenstein
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