Wie belastbar ist der Bewegungsapparat?

Editorial von Prof. Dr. Holger Schmitt aus der Ausgabe 7-8/2019 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Der Beitrag erörtert die Frage, wie belastbar der Bewegungsapparat eines Sportlers ist und wie universitäre Einrichtungen in dieser Fragestellung ihre sportorthopädischen Abteilungen und ihren wissenschaftlichen Projekte unterstützen können.

Wie belastbar ist der Bewegungsapparat?
© adimas / fotolia

Betrachtet man die Leistungsentwicklung in zahlreichen Disziplinen, so ist es schon faszinierend, wozu der menschliche Bewegungsapparat in der Lage ist. Einen Iron Man-Triathlon in unter acht Stunden zu absolvieren, 100 m in deutlich unter zehn Sekunden zu laufen, einen Speer fast 100 m weit zu werfen oder im Gewichtheben beim Reißen Lasten von deutlich über 200 kg zu stemmen, sind Leistungen, die für die meisten Menschen unvorstellbar sind und natürlich auch nur von wenigen Athleten erreicht werden. Aber auch in vielen Ballsportarten führt eine zunehmende Anzahl von Wettbewerben zu einer Situation, in der der Körper permanent intensiv belastet wird und dem nicht jeder Athlet gewachsen ist. Nach Studien der europäischen Profifußballmannschaften ist in einer Saison durchschnittlich mit zwei Verletzungen pro Spieler zu rechnen, bei der bei jeder fünften Verletzung ein Trainingsausfall von mindestens vier Wochen zu verzeichnen ist.

Aber auch der Breitensportler, der seinen Sport ambitioniert betreibt, kann den Bewegungsapparat in den Grenzbereich belasten. Für den betreuenden Sportorthopäden stellt sich daher in der Beratung häufig die Frage, wie belastbar der Bewegungsapparat des Athleten individuell betrachtet tatsächlich ist.

Orthopädische Bewertung der Sporttauglichkeit

Von besonderer Bedeutung ist in der Bewertung die ausgeübte Sportart, da die Beanspruchung an den Bewegungsapparat selbstverständlich ausgesprochen unterschiedlich ausfallen kann. Der leichtathletisch aktive Zehnkämpfer hat mit anderen Anforderungen zu tun als der freizeitsportlich aktive Jogger. Das heißt, der betreuende Sportmediziner muss in der Lage sein, die Beanspruchung in den unterschiedlichen Sportarten und Disziplinen beurteilen zu können, auch wenn er selber diese Sportarten nicht ausgeübt hat. Die Fortbildungsinhalte der Zusatzausbildung Sportmedizin tragen dieser Forderung Rechnung und nach Absolvieren der angebotenen Kurse oder nach Hospitation und Mitarbeit in den sportmedizinischen Untersuchungszentren sollten diese Kenntnisse vorhanden sein.

Weit schwieriger ist es dann, den vor sich stehenden Athleten individuell zu beraten. Die Aufgabe der Sportmediziner ist es, den Athleten möglichst verletzungsarm und mit möglichst geringem Risiko eines Spätschadens zu begleiten und ihm den Spaß und Erfolg im Sport zu ermöglichen. Defizite müssen aufgedeckt werden und Maßnahmen empfohlen werden, damit das Risiko eines Schadens reduziert werden kann.

Relativ einfach ist das bei der klinischen Untersuchung in der Leistungsfähigkeit der Gelenke. Beweglichkeit, Stabilität und Funktion der Gelenke und des Rumpfes können auch anhand von Testverfahren beurteilt und entsprechende Maßnahmen empfohlen werden. Die immer besser den Bewegungsapparat darstellenden bildgebenden Verfahren dienen dazu, anatomische Normvarianten von pathologischen Befunden abzugrenzen, Überlastungen und Verletzungen darzustellen und sie können damit einen wertvollen Hinweis zur Bewertung der Belastbarkeit liefern. So ist in Studien belegt, dass bei Vorhandensein z. B. einer Hüftdysplasie oder einer Beinachsfehlstellung über 5 Grad mit einem erhöhten Risiko zu rechnen ist. Bei intensiver sportlicher Belastung kann somit eine frühzeitige Arthrose auftreten. Bei der Untersuchung von jungen Kaderathleten spielen diese Inhalte eine wesentliche Rolle in der Beurteilung der Sporttauglichkeit.

Prof. Dr. med. Holger Schmitt, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Prof. Dr. Holger Schmitt, ATOS Klinik Heidelberg  © Schmitt
Nächste Seite: Wie belastbar ist der Knorpel?

Wie belastbar ist der Knorpel?

Was wir trotz der besser werdenden bildgebenden Darstellung der Gelenke immer noch nicht befriedigend bewerten können, ist die Qualität des Gelenkknorpels. Hier scheint es eine individuell unterschiedliche Toleranz der Belastungsfähigkeit zu geben, d. h. gleiche Belastungen auf den Knorpel können unterschiedliche Auswirkungen haben. Es scheint einen individuellen Belastungsgrenzwert zu geben, ab dem der Gelenkknorpel einen Schaden nimmt und sich nicht der Belastung anpasst, ohne einen Schaden zu hinterlassen. Dass der Gelenkknorpel auf Belastungen reagiert und sich regenerieren kann, konnte an Marathonläufern gezeigt werden, die während der Belastung eine kernspintomographische Untersuchung der Kniegelenke durchführen ließen.

Optimal für die Bewertung der Sporttauglichkeit wäre die Möglichkeit, anhand der Bildgebung nicht nur die Qualität des Gelenkknorpels zu bestimmen, sondern tatsächlich die individuelle Belastbarkeit feststellen zu können, um in den je nach Sportart mehr belasteten Gelenken abschätzen zu können, welche Auswirkungen ein jahrelanges Leistungstraining auch ohne akute Verletzung nur durch chronische Beanspruchung haben wird. Sind derartige Informationen zu gewinnen, wird die Beurteilung zur Sporttauglichkeit einen noch deutlich höheren Stellenwert gewinnen verbunden mit der Hoffnung, unsere jungen Sportler und Sportlerinnen mit bestem Gewissen auch leistungssportlichen Belastungen auszusetzen. Daneben würden auch operativ durchgeführte reparative Knorpelmaßnahmen bezüglich ihrer Belastbarkeit deutlich besser bewertet werden können. Hier sind die universitären Einrichtungen gefordert, sportorthopädische Abteilungen und ihre wissenschaftlichen Projekte zu unterstützen.

■ Schmitt H