Topathleten: Welchen Anteil an der Leistung hat der Körperbau?

Topathleten: Welchen Anteil an der Leistung hat der Körperbau?
© Sebastian Kaulitzki / Adobe Stock

In vielen Sportarten ist es offensichtlich: In der Weltspitze ähnelt sich die körperliche Konstitution der Athletinnen und Athleten sehr – seltene Ausnahmen, wie normalgroße Spieler beim Basketball, bestätigen die Regel. Zweifel­los gibt es einen Zusammenhang zwischen Körperbau und Leistung. Besonders auffällig ist das in der Leichtathletik. Athletinnen und Athleten der Wurfdisziplinen unterscheiden sich deutlich von Läufern, darunter wieder Sprinter von Langstreckenläufern und diese wiederum von Hoch- und Weitspringern. Die Beobachtungen sind nicht neu. Schon die alten Inder unterschieden zwischen »Gazellen«, »Hirschkühen« und »Elefantenkühen«, was mitunter nicht schmeichelhafte, wissenschaftlich aber recht treffende Bezeichnungen sind. Ab dem 18. Jahrhundert versuchten zahlreiche Autoren eine konstitutionsbasierte Einteilung.

Einige dieser Bestrebungen orientierten sich an rassentheoretischen oder selektionsgetriebenen Gedanken. Die gesuchten Assoziationen stellten sich als unhaltbar heraus. Im letzten Jahrhundert haben sich von den zahlreichen Kategorisierungsansätzen zwei als recht praktikabel erwiesen und werden bis heute verwendet. Die eine ist die Somatotypisierung nach Heath und Carter, die auf Vorarbeiten von Sheldon basiert. Die andere ist die Systematik von Conrad, der die Einteilung seines Lehrers Kretschmer weiterentwickelt hat (zusammengefasst in (1)).

Systematische Analyse des Körperbaus

Heath und Carter gehen von drei Grundtypen aus: endo-, meso- und ektomorph. Endomorphie ist gekennzeichnet durch einen erhöhten Gehalt an Körperfett. Mesomorphie ist durch die starke Entwicklung der Muskulatur und des Skeletts geprägt, und Ektomorphie beschreibt Menschen mit geringem Breiten-, aber ausgeprägtem Höhenwachstum. Die drei Endpunkte werden drei Ecken eines Somatogramms zugeordnet (Abb. 1). Anhand der detaillierten Vermessung des Körpers wird für jeden Typus eine Zahl ermittelt, so dass der Körperbau einer Person durch eine Dreizahl charakterisiert wird.

Körperbau-Typendreieck von Sheldon
Abb. 1: Typendreieck von Sheldon (1954) (1)

Conrad hingegen löst sich in seinem Modell (Abb. 3) von der Dreizahl und versteht die Körperbauvarianten als Schnittpunkte zweier Variationsreihen. Einander gegenüber stehen sich auf der X-Achse die hypoplastische (asthenische) und hyperplastische (athletische) Ausprägung, auf der Y-Achse das leptomorphe (hoch-schlankwüchsig) und das pyknomorphe (niedrig-breitwüchsig) Erscheinungsbild (Conrad-Koordinatensystem). Auf Basis dieser Systematiken wurden bis etwa zu den Olympischen Spielen im Jahr 1976 in Montreal Athletinnen und Athleten vermessen und analysiert, welcher Körperbau für welche Sportart typisch, vielleicht sogar entscheidend ist.

Ein Beispiel für die Darstellung in den beiden unterschiedlichen Systematiken für 5000-, 10 000- und 3000-Meter-Hindernisläufer zeigt die Abbildung 4. Betrachtet man die Mittelwerte der Sportler aus unterschiedlichen Disziplinen, so erkennt man deutliche Unterschiede. Wer ins Detail geht, findet weitere Assoziationen, z. B. bei den biomechanischen Zusammenhängen, wie eine positive Korrelation von Armlänge und Geschwindigkeit bei Schwimmern oder geringer Körpergröße und geringem Gewicht in Kombination mit großer Armspannweite bei Boulderern.

Verteilung der Körperbautypen von 5000- und 10 000-Meter-Läufern sowie 3000-Meter-Hindernisläufern im Somatogramm nach Sheldon, Heath & Carter
Abb. 2: Verteilung der Körperbautypen von 5000- bzw. 10 000-Meter-Läufern (oben links) bzw. 3000-Meter- Hindernisläufern (oben rechts) im Somatogramm nach Sheldon/Heath & Carter (7).

 

Körperbautypen nach Conrad
Abb. 3: Die Verteilung der Körperbautypen von 5000- bzw. 10 000-Meter-Läufern bzw. 3000-Meter- Hindernisläufern nach Conrad. Die Ziffern stehen für 5000- und 10 000-Meter-Läufer, die Punkte für 3000-Meter-Hindernisläufer. (7)

 

Somatograph für Durchschnittswerte des Körperbaus für unterschiedliche Sportarten
Abb. 4: Somatograph für Durchschnittswerte des Körperbaus für unterschiedliche Sportarten (4).
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Körperfett – keine günstige Funktion beim Sportler

Körperliche Merkmale für die Suche nach Talenten heranzuziehen, ist ein effektiver Weg. Wie effektiv, konnte in der ehemaligen DDR beobachtet werden. »Das Sichtungssystem in der DDR in Kombination mit Wuchsprognosen war, neben dem systematischen Doping, der wichtigste Erfolgsgarant«, erklärt Prof. Christoph Raschka vom Institut für Sportwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. »Für manche Disziplinen ist der passende Körperbautyp Grundvoraussetzung, um ein hohes Niveau erreichen zu können.«

Man könnte nun meinen, dass die ausführlichen Untersuchungen und Vermessungen von Athletinnen und Athleten verschiedenster Disziplinen aus dem letzten Jahrhundert ausreichen würden, um davon auf alle Zeit hin abzuleiten, wer die optimalen Läufer-, Werfer- oder Rudermaße hat. Doch dem ist nicht so. Nicht nur die Trainingsgestaltung und verwendetes Material haben sich in den letzten Jahrzehnten stark geändert, auch die Athleten selbst haben heutzutage andere Maße.

Lag die durchschnittliche Körpergröße zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Männern bei 167,2 cm und bei Frauen bei 156 cm, so waren Männer und Frauen zum Ende des Jahrhunderts um durchschnittlich 12,7 cm (179,9 cm) bzw. 9,9 cm (165,9 cm) größer. Zudem sind viele Sportler heute deutlich muskulöser und athletischer als zu früheren Zeiten, wenngleich die grundlegende Körperbautypologie noch dieselbe ist. »Heute legt man mehr Wert auf die Verringerung des Körperfettanteils als früher. Außer bei Kanalschwimmern und Sumoringern hat Körperfett im Sport keine günstigen Effekte«, sagt Prof. Raschka. Publikationen stützen diese Aussage: Männliche Ironman-Triathleten konnten ihre Rennzeiten um durchschnittlich 28 Minuten verbessern, wenn die Endomorphie um eine Standardabweichung reduziert wurde (5), und schlanke Läufer haben einen ökonomischeren Laufstil (2).

Die so genannte Akzeleration, die sich nicht nur in der Körpergröße, sondern insgesamt in schnelleren Entwicklungsprozessen bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten zeigt, führt dazu, dass häufig schon in jüngerem Alter allgemein günstigere Voraussetzungen für sportliche Leistungs- und Belastungsanforderungen gegeben sind. Aktuelle Daten von Sportlern wären daher sehr interessant. Flächendeckende Untersuchungen werden aber heutzutage nicht mehr durchgeführt.

Prof. Christoph Raschka, Institut für Sportwissenschaft, Julius- Maximilians-Universität Würzburg
Prof. Christoph Raschka, Institut für Sportwissenschaft, Julius-Maximilians-Universität Würzburg © Raschka

Talent ist mehr als der optimale Körperbau

Doch allein ein günstiger Körperbau reicht nicht aus für die Weltspitze. »Talent« und sportliche Leistungsfähigkeit werden noch durch eine Reihe weiterer Faktoren bestimmt. So spielt etwa genetische Konstellation eine wichtige Rolle. Sie entscheidet natürlich grundsätzlich über den Körperbau, doch im Speziellen auch über viele weitere essenzielle Details. Die Gene legen beispielsweise nicht nur fest, ob leicht oder schwer Muskulatur aufgebaut werden kann, sondern auch, in welchem Verhältnis Schnellkraft- und Ausdauerfasern vorliegen, wie gut die Muskulatur innerviert und durchblutet ist und wie effektiv sie mit Energie versorgt wird.

»Die sportliche Leistungsfähigkeit ist die Summe einer unglaublichen Vielfalt von Kombinationen unterschiedlicher Aspekte. Neben genetischen sind das auch physiologische, biomechanische, soziologische und psychologische Komponenten. Wenn alle Faktoren im optimalen Zusammenspiel vorliegen, ergibt sich ein Mensch, der überdurchschnittlich leistungsfähig ist«, erklärt Prof. Patrick Diel von der Abteilung für molekulare und zelluläre Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln. »Jeder gesunde Mensch, der das wirklich will, kann einen Marathon laufen. Doch wer zu den wenigen gehört, die ihn unter 2:20 Stunden laufen können, hängt zu einem wichtigen Teil von den genetischen Voraussetzungen ab.«

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Gen-Poker: Myostatin & Co.

Der ethnische Hintergrund spielt ebenfalls eine Rolle. In den Laufdisziplinen der Männer dominieren dunkelhäutige Athleten, im Sprint vor allem Westafrikaner oder deren Nachfahren, in den Ausdauerdisziplinen vor allem Ostafrikaner. »Es gibt Hinweise auf genetische Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Dabei handelt es sich eher um eine genetische Konstellation. Ein besonderes Gen, wie eine Mutation im Myostatin-Gen, macht aus einem Durchschnittsmenschen noch keinen Topathleten«, erläutert Prof. Diel. Myostatin, bzw. eine Mutation in dem Gen, die die natürliche Bremse des Muskelwachstums außer Kraft setzt, macht die betroffenen Individuen extrem muskulös.

Viele Muskeln zu haben, klingt nach einem großen Vorteil im Sport. »So einfach ist es aber nicht. Welchen Anteil die Mutation im Myostatin-Gen an der Leistungsfähigkeit hat, ist schwer zu beantworten. Viel hilft bekanntlich nicht immer viel. Bisher gibt es auch keine Reihenuntersuchung, mit der die Häufigkeit der Mutation in der Bevölkerung oder unter Sportlern bestimmt worden wäre«, legt Prof. Diel die Lage dar.

Prof. Patrick Diel, Abteilung für molekulare und zelluläre Sportmedizin, Deutsche Sporthochschule Köln
Prof. Patrick Diel, Abteilung für molekulare und zelluläre Sportmedizin, Deutsche Sporthochschule Köln © Diehl

Anders könnte es sich bei Mutationen im oder Manipulationen am Erythropoietin-Gen verhalten. Der leistungssteigernde Effekt liegt laut Prof. Diel in einer Größenordnung von bis zu
20 Prozent. Der in den 60er- und 70er-Jahren erfolgreiche finnische Skilangläufer Eerto Mäntyranta etwa trägt eine solche Mutation im Erythro­poetin-Gen. 2018 wurde eine weitere Frameshift-Mutation publiziert, die zu einer deutlichen Steigerung der Erythrozyten-Produktion führt (7). Auch das »Sherpa-Gen«, eine Variante des ACE-Gens, das die Ausdauerfähigkeit erhöht, findet sich offenbar unter Ausdauerathleten häufiger.

Kommen zu den »guten Genen« auch noch eine stabile Psyche, die sich im Sport auch als mentale Stärke niederschlägt, ein förderndes Umfeld sowie gute Regenerationsfähigkeit, stehen die Chancen auf eine sportliche Karriere nicht schlecht. Aktuell vielleicht besser denn je, denn die Menschen sind im letzten Jahrhundert deutlich größer, kräftiger und leistungsfähiger geworden, die Sportgeräte wurden an diese Entwicklung aber nicht angepasst.

Beispiel Torwart-Vorteil: Fielen während der Fußball-WM 1934 im Schnitt 4,1 Tore, waren es 2018 nur 2,8. Die Forderung nach einer Vergrößerung der Tore taucht daher in regelmäßigen Abständen – und aus gutem Grund – auf. Auch über die Höhe der Basketballkörbe könnte man diskutieren. Als das Spiel erfunden wurde, war der in 3,05 m Höhe hängende Korb für die deutlich kleineren Spieler wahrscheinlich außer Reichweite. »Ob der Slam Dunk im Sinne des Erfinders war, wage ich zu bezweifeln«, gibt Prof. Raschka zu bedenken.

■ Hutterer C

Quellen:

  1. Bernhard W, Jung K. Sportanthropologie. Gustav Fischer, Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm. 1998

  2. Black MI, Allen SJ, Forrester SE, Folland JP. The Anthropometry of Economical Running. Med Sci Sports Exerc. 2019. doi:10.1249/MSS.0000000000002158

  3. Jokl E. Physical Structure of Olympic Athletes, Part I: The Montreal Olympic Games Antrhopological Project. Karger, Basel. 1982

  4. Jokl E, Hebbelinck M. Physical Structures of Olympic Athletes, Part II: Kinanthropometry of Olympic Athletes. Karger, Basel. 1984

  5. Kandel M, Baeyens JP, Clarys P. Somatotype, training and performance in Ironman athletes. Eur J Sport Sci. 2014; 14: 301-308. doi:10.1080/17461391.2013.813971

  6. Tittel K, Wutscherk H. Sportanthropometrie. Sportmedizinische Schriftenreihe, Band 6. Johann Ambrosius Barth, Leipzig. 1972

  7. Zmajkovic J, Lundberg P, Nienhold R, Torgersen ML, Sundan A, Waage A, Skoda RC. A Gain-of-Function Mutation in EPO in Familial Erythrocytosis. N Engl J Med. 2018; 378: 924-930. doi:10.1056/NEJMoa1709064