Sporttherapie bei chronischen Nierenerkrankungen

Sporttherapie bei chronischen Nierenerkrankungen
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Chronische Nierenerkrankungen können verschiedene Ursachen haben, beispielsweise Glomerulopathien, interstitielle Nephritis oder Autoimmunerkrankungen. Schätzungsweise acht Millionen Deutsche leiden an eingeschränkter Nierenfunktion, 85.000 bis 90.000 von ihnen erhalten Dialyse und 13.000 jährlich erleiden ein terminales Nierenversagen. Besonders die Anzahl an Dialysepatienten im Alter von mehr als 60 Jahren ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Ein individuelles Sportprogramm kann die Therapie unterstützen.

Den Teufelskreis der Inaktivität durchbrechen

Die Niere fristet, entgegen ihrer Bedeutung für den Organismus, eher ein Schattendasein. Man merkt nicht, dass sie da ist und was sie leistet; mit Schmerzen meldet sie sich in aller Regel auch erst spät. Zu hohe Blutzuckerwerte oder zu hoher Blutdruck sind die Hauptursachen für Arteriosklerose. Die Veränderungen der Gefäße machen auch vor den kleinen und empfindlichen Gefäßen der Niere nicht Halt. Das Ziel der Therapie bei chronischen Nierenerkrankungen besteht daher vor allem darin, die vorhandene Restfunktion möglichst lange zu erhalten und die Schädigung der Gefäße zu stoppen.

Zum einen wird dazu die Grunderkrankung behandelt, zum anderen wird mit spezieller protein- und salzarmer Diät sowie entwässernden Medikamenten die Niere entlastet. Viele Jahrzehnte lang wurde chronisch Nierenkranken empfohlen, sich zu schonen, um die Belastungen für das Organ möglichst gering zu halten. Inzwischen weiß man, dass das der falsche Weg zur Erhaltung von Nierenfunktion ist – auch unter Dialyse. Die körperliche Leistungsfähigkeit leidet unter der fortschreitenden Erkrankung stark, während Kraft, Ausdauer und Durchblutung immer weiter abnehmen und den Stoffwechsel zusätzlich belasten. Unter dem körperlichen Abbau leidet auch die Seele, so dass psychische Folgeerkrankungen oder Depressionen keine Seltenheit sind.

Aus zahlreichen Untersuchungen ergab sich in den letzten Jahren das deutliche Bild, dass individuell dosierter Sport nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit erhalten oder wiederherstellen kann, sondern auch positive Wirkungen auf Wohlbefinden, Psyche und krankheitsbedingte Komplikationen hat. Doch wie immer stellt sich die berechtigte Frage, wie man den Patienten zum Sport bzw. den Sport zum Patienten bringt.

Patienten zum Sport bringen

Mit der Umstellung von Lebensgewohnheiten ist das so eine Sache. Meist hält der Elan – sofern dieser überhaupt vorhanden war – nur kurzzeitig an. Es ist jedoch auch gut untersucht, dass eine Arteriosklerose, wie sie bei über 60 Prozent der Betroffenen vorhanden ist, durch körperliche Aktivität und Ausdauersport aufgehalten werden kann.

Besser als ein lapidares »Sie sollten mehr Sport treiben« ist das »Rezept für Bewegung«. Die European Federation of Sports Medicine Associations (EFSMA) hat die »EPH« (Exercise Prescription for Health) inzwischen europaweit implementiert. Auch die globale Gesundheits­initiative Exercise is Medicine (EIM), die von der DGSP und weiteren Fachgesellschaften und Verbänden unterstützt wird, blasen ins gleiche Horn. Das Rezept empfiehlt dem Patienten die Teilnahme an qualitätsgesicherten bewegungsfördernden Trainings- oder Übungsgruppen entsprechend der vom Arzt festgestellten Indikation.

Bild Kirsten Anding-Rost
Dr. Kirsten Anding-Rost, ärztliche Leiterin des KfH-Nierenzentrums, Bischofswerda © Anding-Rost

Sport zum Patienten bringen

Doch auch ein Rezept bringt viele Patienten nicht zur Bewegung. »Es ist schon schwer genug, Leute dazu zu bewegen, ihre Medikamente zu nehmen. Mit Sport ist das, vor allem bei alten Menschen, noch viel schwieriger«, sagt Dr. Kirsten Anding-Rost, ärztliche Leiterin des KfH-Nierenzentrums in Bischofswerda und zweite Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft Rehabilitationssport für chronisch Nierenkranke e. V. (ReNi).

Darum hat sie zusammen mit Kollegen vor einigen Jahren ein Dialyse-Sportprogramm entwickelt, das seine gute Wirksamkeit in einer Studie bewiesen hat (1). Das liegt unter anderem daran, dass der Sport zum Patienten kommt. Die Patienten machen während ihrer Dialyse zwei- bis dreimal pro Woche je eine halbe Stunde Ausdauertraining mit einem Bett-Ergometer sowie eine halbe Stunde Krafttraining für acht verschiedene Muskel­gruppen. In diesem Setting zeigte sich eine hohe Adhärenz zu dem regelmäßigen Training – und das, obwohl die Patienten immerhin 63,2 ± 16,3 Jahre alt waren. Die körperliche Leistungsfähigkeit, Kraft und Lebensqualität verbesserte sich signifikant.

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Virtuelle Verlängerung der Dialyse

Ein weiterer positiver Effekt der Sporttherapie während der Dialyse ist, dass im gleichen Zeitraum mehr Toxine eliminiert werden als bei Patienten in Ruhe. Der Effekt ist noch nicht umfassend wissenschaftlich untersucht, aber es scheint vor allem an der vermehrten Durchblutung aller Gewebe und der Muskulatur zu liegen. Die durch die Dialyse herauszufilternden Toxine befinden sich zu einem Prozent im Blut und zu 99 Prozent in Gewebe und Muskulatur. Durch die Aktivität während der Dialyse steigen die Durchblutung in der Muskulatur und die Ausschwemmung der Toxine ins Blut um ein Vielfaches an. »Der Effekt ist wie eine virtuelle Verlängerung der Dialyse um 20 bis 30 Minuten. Darauf deuten die ersten Untersuchungen hin«, erklärt Dr. Anding-Rost.

Ärzte zur Sporttherapie bringen

Nicht nur die Patienten müssen davon überzeugt werden, dass Bewegung – am besten von Kindesbeinen an – in vielen Fällen die wirksamste Medizin ist; auch die Ärzte müssen das verinnerlichen und überzeugend an ihre Patienten bringen. Selbst wenn chronisch nierenkranke Patienten bisher nicht beim Sportmediziner vorstellig wurden, so wären sie dort gut aufgehoben. Denn die Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit und die Betreuung solcher Patienten ist für Sportmediziner daily business.

Die eindrucksvollen Ergebnisse der letzten 30 Jahre zu Auswirkungen des Trainings während der Dialyse haben dazu geführt, dass das Dialysetraining in Form einer strukturierten regelmäßigen Sporttherapie als begleitende Maßnahme (»Sporttherapie während Hämodialyse«) in Deutschland anerkannt und von einer Krankenkasse (AOK Plus in Sachsen und Thüringen) bezuschusst wird. Derzeit trainieren in den beiden Bundesländern etwa 400 Patienten in sieben Zentren. Das Interesse vieler Nephrologen an dem Konzept ist groß, doch an der Umsetzung scheitert es noch. Ein wichtiger Ansprechpartner und Koordinator ist die »Deutsche Gesellschaft Rehabilitationssport für chronisch Nierenkranke e. V.« (ReNi).

Bild Gudrun Manuwald-Seemüller
Gudrun Manuwald-Seemüller, 1. Vorsitzende des Vereins TransDia Sport Deutschland e. V. © Manuwald-Seemüller

Aktiv(er) nach Transplantation

Nach im Durchschnitt acht Jahren Wartezeit erfüllt sich für niereninsuffiziente Patienten der Traum von der Transplantation. Die Lebensqualität steigt dadurch in aller Regel stark an. »Doch«, so erklärt Gudrun Manuwald-Seemüller, »die Transplantierten wissen, dass das häufig auch nur eine Lösung auf Zeit ist. Spenderorgane halten selten für das restliche Leben. Betroffene passen daher meist sehr gut auf ihr Organ auf und tun alles dafür, es möglichst lange funktionsfähig zu halten.«

Manuwald-Seemüller weiß einerseits als selbst Lebertransplantierte und Sportlerin, wovon sie spricht, andererseits ist sie als 1. Vorsitzende des Vereins TransDia Sport Deutschland e. V. sowie in der europäischen und weltweiten Vereinigung der Transplantierten und Dialysepatienten aktiv. Dabei geht es nicht nur um Spitzensport, der nach einer Transplantation durchaus möglich ist, sondern auch darum, Transplantierte an den Sport heranzuführen, der so viele positive Effekte hat. Die Betroffenen berichten, dass der Sport ihnen dabei hilft, viele mit der Krankheit in Zusammenhang stehende körperliche und seelische Schwierigkeiten zu bewältigen.

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Kinder und Jugendliche zum Sport bringen

Damit Sport ganz selbstverständlich zum Leben dazugehört, sollte er möglichst von Kindheit an in den Alltag integriert werden. In den KfH-Nierenzentren wird daher Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Nierenerkrankungen oder Fehlbildungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Auch das Thema Sport wird hier schon früh in den (Krankheits-)Alltag integriert. Mit dem Programm »Endlich erwachsen«, das sich an Jugendliche richtet, wird der eigenständige und selbstbestimmte Umgang mit der Krankheit geschult. Der TransDia Sport Deutschland e. V. veranstaltet 2017 erstmals ein Junior Sportscamp, bei dem Kinder die Freude an Bewegung erfahren und verschiedene Sportarten ausprobieren können. »Kinder, die bereits früh im Leben transplantiert werden, wachsen oft sehr behütet auf. Sport ist aber für ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden sehr wichtig. Daher möchten wir solchen Kindern zeigen, was alles möglich ist«, betont Manuwald-Seemüller.

Sporttherapie muss Kassenleistung werden

Dr. Anding-Rost fordert mehr Finanzierung von Therapiesport durch die Krankenkassen. Die Sporttherapie während der Dialyse ist ein erster Schritt in die richtige Richtung; die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie hat sie bereits in den »Dialyse-Standard 2015« (3) aufgenommen. »Sporttherapie ist viel wirksamer als Rehasport. Der ist sicher als Einstieg nicht schlecht, aber eine Beeinflussung des Endothels und der Arteriosklerose wird dadurch nicht erreicht«, gibt Dr. Anding-Rost zu bedenken.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Daul AE, Krause R, Völker K. Sport- und Bewegungstherapie für chronisch Nieren­kranke – Lehrbuch für Sportlehrer, Übungs­leiter, Krankengymnasten und Ärzte. Dustri-Verlag, München. 1997.

  2. Anding K, Bär T, Trjniak-Hennig J, Kuchinke S, Krause R, Rost JM, Halle M. A structured exercise programme during haemodialysis for patients with chronic kidney disease: clinical benefit and long-term adherence. BMJ Open. 2015; 5: e008709. doi:10.1136/bmjopen-2015-008709

  3. Deutsche Gesellschaft für Nephrologie. Dialyse Standard 2015. https://www.dgfn.eu/dialyse-standard.html[01.12.2016]