Psyche und Sport in Zeiten von COVID-19

Editorial der Ausgabe #05-06/2020 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Die Autoren beleuchten in ihrem Artikel die Bedeutung der psychischen Gesundheit in Zeiten der COVID-19-Pandemie, legen aber vor allem dar, welchen positiven Beitrag Bewegung, Training und Sport hierfür leisten können.

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Psyche und Sport in Zeiten von COVID-19
© baranq / AdobeStock

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont in ihren Empfehlungen „Coping with stress during the 2019-nCoV outbreak“ die Bedeutung von Bewegung und der Beibehaltung eines gesunden Lebensstiels (10). Diese Empfehlungen gehören zu Informationsmaterial, das die WHO während der COVID-19-Pandemie zu verschiedenen Aspekten der psychischen Gesundheit herausgegeben hat (11). Empfehlungen zum Umgang mit unserer psychischen Gesundheit und für unser Wohlbefinden während des COVID-19 Ausbruchs wurden in der Zeitschrift Nature ebenso publiziert (4), und auch das New England Journal of Medicine nahm das Thema psychische Gesundheit und Covid-19-Pandemie bereits auf (8). Im vorliegenden Editorial möchten wir auch auf die Bedeutung der psychischen Gesundheit in Zeiten der COVID-19-Pandemie eingehen, aber vor allem darlegen, welchen positiven Beitrag Bewegung, Training und Sport hierzu zu leisten vermögen.

Waren es am Anfang der Pandemie vermehrte Ängste und Sorgen, müssen in weiterer Folge zunehmend andere Belastungen und Aspekte, die die psychische Gesundheit betreffen, berücksichtigt werden (4, 8, 11). Dazu zählen die Auswirkungen der Quarantäne auf die gewöhnlichen Aktivitäten und Routinen, auf Einsamkeit und Depressionen sowie auf schädlichen Alkohol- und Substanzgebrauch, Selbstschädigung, suizidales Verhalten und häusliche Gewalt (8, 11). Mit Dauer der Pandemie werden vermutlich die psychischen Aspekte mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, und momentan kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Pandemie in wenigen Wochen ihr Ende finden wird.

Präventive Massnahmen zum Erhalt der psychischen Gesundheit in der Bevölkerung müssen jetzt getroffen werden. Bewegung, Training und Sport kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Bewegungstherapeutische Ansätze können in der Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen mittlerweile eine beachtliche Evidenz aufweisen, zum Beispiel in den Behandlungskonzepten von Angsterkrankungen, Depression, Schizophrenie und Substanzstörungen (6, 7). In unserer von Bewegungsmangel geprägten Gesellschaft kommt dabei der gesundheitlich relevanten „Erhaltungsdosis an Bewegung“ unter präventiven Gesichtspunkten genauso auch für die psychische Gesundheit eine zunehmende Bedeutung zu. In Zeiten, in denen die Menschen angehalten werden zu Hause zu bleiben, gilt dies mehr denn je. Die Massnahmen zur physischen Distanzwahrung erlauben es weiterhin draussen oder in der häuslichen Quarantäne körperlich aktiv zu bleiben und individuell Sport zu treiben.

Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen und Konsequenzen für die psychische Gesundheit

Sport und körperliche Aktivität sind wichtig, nicht nur für die Stärkung und Erhaltung der körperlichen Gesundheit, sondern auch für das Wohlbefinden und für die psychische Gesundheit (6, 7). Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 könnten etwa 12% der Depressionen vermieden werden, wenn mindestens eine Stunde moderater Sport wöchentlich betrieben wird (5). Menschen mit depressiven Störungen sterben sieben bis elf Jahre früher als gesunde Vergleichsgruppen, bei schizophrenen Störungen sind es sogar zehn bis zwanzig Jahre, und dies nicht primär aufgrund der Suizidgefährdung, sondern wegen der chronischen körperlichen Erkrankungen, die sich auch infolge des Bewegungsmangels im Laufe der Jahre einstellen (2).

Die jetzigen Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren schränken die sozialen Beziehungen der Menschen stark ein, so dass mit weiterem Andauern der Pandemie das Risiko einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit steigen wird. Wie in der Langzeitstudie der Harvard University eindrucksvoll belegt wurde, hängt die Lebenszufriedenheit und Lebensqualität, wie die körperliche und psychische Gesundheit wesentlich von der Qualität der sozialen Bindungen ab (9). Gerade für ältere und alleinstehende Menschen bedeuten die Kontakteinschränkungen eine Herausforderung und Gefahr, der man durch tägliche Eigeninitiative entgegentreten muss.

 

Prof. Dr. med. Johannes Scherr (li.), Dr. med. Malte C. Claussen (re.)
Prof. Dr. med. Johannes Scherr (li.) und Dr. med. Malte C. Claussen © Scherr, Claussen
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Menschen, die regelmäßig sportlich aktiv sind, erleben die wohltuende Wirkung des Sports auf die Stimmung, den Spannungszustand und die psychische Verfassung sehr unmittelbar. Diese Wirkung ist das Resultat von unspezifischen Wirkfaktoren der Bewegung und von sportspezifischen neurobiologischen und neuro-endokrinologischen Veränderungen (6). Als unspezifische Wirkfaktoren gelten unter anderem die Verbesserung der körperlichen Gesundheit und das daraus resultierende psychische Wohlbefinden. Die durch eigene Aktivität erlebte Selbstwirksamkeit vermittelt in der Regel ein besseres Selbstbewusstsein. Abhängig von der Sportart ist man oft gezwungen seine Bewältigungsstrategien und sozialen Kompetenzen zu trainieren und zu verbessern. Und schliesslich erlebt man die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten und der Spannungsbewältigung als gewinnbringend und angenehm.

Seit einigen Jahrzehnten wissen wir, dass regelmässige körperliche Aktivitäten auch spezifische neurobiologische und neuro-endokrinologische Veränderungen zur Folge haben (6). Diese unmittelbaren Wirkungen auf die psychische Gesundheit haben wesentlich dazu beigetragen die Bedeutung der somato-psychischen Veränderungen immer besser zu verstehen. So hat ein moderates körperliches Training einen Einfluss auf die Sekretion von Glucocorticoiden wie das Cortisol, das zum Beispiel bei Stress und Depressionen erhöht ist. Dies wird in der Regel von vielen Menschen positiv erlebt und zum Stressabbau genutzt. Die Entdeckung der Neuroplastizität in bestimmten Hirnregionen konnte ein besseres Verständnis für psychische und neurodegenerative Erkrankungen liefern. Zudem konnten die möglichen Auswirkungen der körperlichen Aktivität auf Neurotransmitter wie Serotonin oder Noradrenalin bereits als zusätzliche Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten bei depressiven Menschen genutzt werden. Sport- und Bewegungstherapie wird bereits jetzt schon in der S3 Leitlinie Unipolare Depression der DGPPN mit dem Empfehlungsgrad B als zusätzliche Behandlungsmethode geführt (3).

Schwierige Motivation und Eigeninitiative in Zeiten der Pandemie

Viele Menschen sind durch die Schliessung der Sportanlage ihrer gewohnten Bewegungsprogramme und sozialen Kontakte beraubt worden. Jetzt ist nicht nur Motivation, sondern auch Ausdauer des Willens in der Umsetzung gefragt. Das sind beides Fähigkeiten, die bei vielen Menschen in dieser überraschend aufgetretenen Notlage erst entwickelt werden müssen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Ziele so gewählt werden, dass sie individuell passend, positiv besetzt und realistisch erreichbar sind. Es sollten Aktivitäten gewählt werden, mit denen man vertraut ist, deren Wirkung bekannt ist oder die gut beherrschbar sind. Die Ziele sollten vor allem in einem bestimmten Zeitraum erreichbar sein. Dabei ist es oft hilfreich sich kurz- und langfristige Ziele zu setzen und sich das Erreichen mit positiven Bildern vorzustellen.

Gut bewährt hat sich das Eintragen des täglichen Trainingsprogramms in den Kalender, was sowohl der Motivation als auch der Überprüfung dienen kann. Sehr wichtig ist, die erreichten Ziele täglich mit guten und positiven Gefühlen der Selbstzufriedenheit zu feiern. Positive Gefühle bestärken die eigenen Aktivitäten und nicht umsonst steckt im Wort Emotion auch lat. movere, was so viel heißt wie bewegen. Emotionen bewegen die Menschen. Aber wie kann man sich in Zeiten der COVID-19-Pandemie und gesetzlichen Ausgangssperren überhaupt für ein ausreichendes Mass an körperlicher Aktivität motivieren? Man unterscheidet gewöhnlich zwischen einer intrinsischen und eine extrinsischen Motivation (6). Je höher der eigene Antrieb und die Begeisterung für bestimmte Ziele sind, umso mehr kann man mit der Durchführung und dem Erreichen der Ziele rechnen.

Zusätzlich dazu hilft uns die extrinsische Motivation (z. B. Anerkennung und Belohnung durch Andere). Deshalb empfiehlt es sich mit Freunden und Bekannten über die Aktivitäten auszutauschen und sich für gemeinsame Aktivitäten zu verabreden. Auch wenn wir in der aktuellen Situation die Möglichkeit zu gemeinsamen Aktivitäten nur eingeschränkt (z. B. mit ausreichend Abstand zur sozialen Distanzwahrung) oder in manchen Ländern gar nicht haben, so bieten sich doch auch durch bestimmte Apps oder Internet-Programme die Möglichkeit, sich mit seinen Freunden oder Bekannten zu messen.

Wahl der Sportarten und Bewegung

Durch die geltenden Ausgangsbeschränkungen ist die Auswahl der noch möglichen Sportarten stark begrenzt worden. Es bieten sich insbesondere Walking, Jogging, Radfahren und Wandern als Aussenaktivitäten an. In der Wohnung können Gymnastik, Stretching und Training mit leichten Gewichten ausgeübt werden. Es gibt im Internet oder in Form von Apps immer mehr Anleitungen zum Training mit dem eigenen Körpergewicht (sogenanntes Eigengewichtstraining). Wichtig für die Motivation und die Ausdauer ist die Wahl einer Sportart, mit der man schon vertraut war.

Die Empfehlungen zum körperlichen Training und Sport in Zeiten von Corona von Bloch, Halle und Steinacker sind natürlich für den Erhalt der psychischen Gesundheit genauso anwendbar (1). In ihrem Editorial stellten die Autoren die Wichtigkeit von Bewegung, Training und Sport als Beitrag zur körperlichen Leistungs- und Funktionsfähigkeit in Zeiten der COVID-19-Pandemie heraus, und betonten, dass körperliches Training eine Grundvoraussetzung für die körperliche Leistungsfähigkeit ist und trotz aller Einschränkungen beibehalten werden sollte. Diesem können wir uns auch was die psychische Gesundheit betrifft nur anschließen!

■ Claussen MC, Fröhlich S, Spörri J, Seifritz E, Markser VZ, Scherr J

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Quellen:

  1. BLOCH W, HALLE M, STEINACKER JM. Sport in Zeiten von Corona. Dtsch Z Sportmed. 2020; 71: 83-84. doi:10.5960/dzsm.2020.432

  2. CHESNEY E, GOODWIN GM, FAZEL S. Risks of all-cause and suicide mortality in mental disorders: a meta-review. World Psychiatry. 2014; 13: 153-160. doi:10.1002/wps.20128

  3. DGPPN. BÄK, KBV, AWMF. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. Springer Verlag, Berlin. 2. Aufl. 2015.

  4. DICKERSON D. Seven tips to manage your mental health and well-being during the COVID-19 outbreak. Nature. 2020 [Epub ahead of print]. doi:10.1038/d41586-020-00933-5

  5. HARVEY SB, OVERLAND S, HATCH SL, WESSELY S, MYKLETUN A, HOTOPF M.Exercise and the Prevention of Depression: Results of the HUNT Cohort Study. Am J Psychiatry. 2018; 175: 28-36. doi:10.1176/appi.ajp.2017.16111223

  6. MARKSER VZ, BÄR K-J. Sport- und Bewegungstherapie bei seelischen Erkrankungen. Forschungsstand und Praxisempfehlungen. Schattauer Verlag, Stuttgart. 1. Aufl. 2015.

  7. NGAMSRI T, CLAUSSEN MC, IMBODEN C, HEMMETER UM. Sport als Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen. Ars Med. 2020; 110: 224-228.

  8. PFEFFERBAUM B, NORTH CS. Mental Health and the Covid-19 Pandemic. N Engl J Med. 2020 [Epub ahead of print]. doi:10.1056/NEJMp2008017

  9. VAILLANT GE, MUK AMAL K. Successful aging. Am J Psychiatry. 2001; 158: 839-847. doi:10.1176/appi.ajp.158.6.839

  10. WORLD HEALTH ORGANIZATION. Coping with stress during the 2019-nCoV outbreak; 2020. https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/coping-with-stress.pdf?sfvrsn=9845bc3a_2 [4thMay 2020].

  11. WORLD HEALTH ORGANIZATION. Mental health and COVID-19; 2020. https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/mental-health-considerations.pdf [4th May 2020]