Olympischer und paralympischer Spitzensport in Zeiten der Corona-Pandemie – aktuelle Herausforderungen und zukünftige Chancen

Editorial der Ausgabe 4/2021 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) von Prof. Anja Hirschmüller und Prof. Bernd Wolfarth. Die Autoren sind Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates der DZSM und leitende Ärzte für die Paralympischen und Olympischen Spiele. In ihrem Beitrag beschäftigen sie sich mit den Olympischen und Paralympischen Spielen in Tokio und den damit verbundenen Herausforderungen unter Corona-Bedingungen.

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Olympischer und paralympischer Spitzensport in Zeiten der Corona-Pandemie – aktuelle Herausforderungen und zukünftige Chancen
© Grispb / Adobe Stock

Die Corona-Pandemie hat in den vergangenen Monaten die nationale und internationale Sportwelt, wie viele andere Bereiche des öffentlichen Lebens, massiv verändert. Seit dem Auftreten der ersten Fälle in Deutschland Ende Januar 2020 haben sich die Rahmenbedingungen für Athletinnen und Athleten aller Sportarten, aller Leistungsklassen und auch aller Altersgruppen massiv verschlechtert. Daraus resultieren unterschiedlichste Herausforderungen für die Sportmedizin mit allen ihren Teildisziplinen. Dies betrifft unter anderem die körperliche Aktivität im Kinder- und Jugendbereich genauso wie den organisierten Sport in den Vereinen, den Rehabilitationssport und die Sporttherapie unserer Patientinnen und Patienten.

Einschränkungen im Leistungssport

Im Bereich des Leistungssports ergaben sich ebenfalls zahlreiche Einschränkungen, wobei dem Hochleistungssport mit seinen Kaderathleten und dem Profisport diverse Ausnahmeregelungen auf der Basis von zum Teil sehr ausgeklügelten und aufwändigen Hygienekonzepten ermöglicht wurden. Aktuell steht nun die Vorbereitung auf die Paralympischen und Olympischen Spiele im Jahr 2021 an. Bereits aus der Verschiebung der Spiele um ein Jahr resultierten einige Problemstellungen, die große Herausforderungen für alle Beteiligten darstellten. Angefangen von der Neuperiodisierung, über Einschränkungen bei den Trainingsmöglichkeiten, bis hin zu schwierigen Rahmenbedingungen für die nationalen und internationalen Qualifikationsvoraussetzungen müssen viele Aspekte betrachtet werden, die direkt oder indirekt Einfluss auf die sportmedizinische Betreuung nehmen.

Große Herausforderungen

Die fortwährende Abwägung eines unzureichend zu kalkulierenden Infektionsrisikos mit dem verständlichen Wunsch der Athletinnen und Athleten nach optimalen Trainingsbedingungen sowie Wettkampfteilnahmen im In- und Ausland stellten – und stellen weiterhin – hohe Anforderungen an die betreuenden Mannschaftsärzte. Auch wenn schwere Verläufe einer Coronaerkrankung unter Sportlern zum Glück sehr selten geblieben sind, so kann eine Infektion die Athleten dennoch leicht um ihre maximale Leistungsfähigkeit bringen. So schwebt das Damoklesschwert einer Infektion mit Folgeschäden stets auch über den körperlich leistungsfähigsten Personen unseres Landes. Der paralympische Spitzensport war, vor dem Hintergrund häufiger vorliegender Risikokonstellationen, von noch mehr Vorsicht und Zurückhaltung geprägt. Die Athleten gaben häufiger an, Sorge um ihre Gesundheit zu haben, und auch der Bundesverband agierte mit der notwendigen Sorgfalt und Verantwortung für seine Athleten.

Prof. Dr. med. Anja Hirschmüller
Prof. Dr. med. Anja Hirschmüller, ALTIUS Swiss Sportmed Center Rheinfelden & Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. © Hirschmüller
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Veränderte Trainingsmethoden

In der orthopädischen Betreuung standen zu Beginn der Pandemie die Häufung von Überlastungsbeschwerden durch veränderte Trainingsmethoden und -umgebungen im Vordergrund. Mit der teils sehr abrupten Wiederaufnahme des Spielbetriebs in den Ligen der Mannschaftssportarten unter eingeschränkter Verfügbarkeit von Spielern stiegen die Verletzungszahlen an. Vor dem Hintergrund einer weiteren Verdichtung der Maßnahmen darf auch weiterhin mit einem Anstieg der Verletzungszahlen gerechnet werden. Trainer und Betreuerstab sollten sensibilisiert werden, Überlastungssituationen frühzeitig zu erkennen, um die Athleten vor Verletzungen im ermüdetem Zustand zu schützen. Eine engmaschige Begleitung der Athleten über sogenannte Injury and Illness Surveillance Systeme erscheint in diesem Kontext absolut empfehlenswert. Dieses Thema wird daher im Rahmen dieses Heftes noch mehrfach beleuchtet. Welchen Einfluss die Restriktionen auf die psychische Gesundheit der Athleten haben, ist noch wenig untersucht. Erste systematische Datenerhebungen signalisieren aber eine deutlich erhöhte Belastungssituation, der es in der Betreuung der Athleten Rechnung zu tragen gilt.

Positive Auswirkungen der Restriktionen

Bei allen Restriktionen, Unwägbarkeiten und Unsicherheiten hatte das Pandemiejahr gleichwohl auch sehr positive Seiten in Bezug auf die Gesundheit. So zeigte sich unter anderem die hohe Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen – in diesem Fall die Wirksamkeit einfacher Hygienemaßnahmen. Jedem betreuenden Sportmediziner dürfte der erfreuliche Rückgang banaler Atemwegsinfektionen in den Wintermonaten aufgefallen sein. Die iterative Repetition wirksamer Hygienemaßnahmen hat hier eine hohe Wirksamkeit gezeigt. Durch eine positive Verstärkung bei Athleten und Trainern können diese Effekte idealerweise über das Ende der Corona-Pandemie erhalten bleiben. Viele Spitzensportler sind trotz des derzeit reduzierten Wettkampfgeschehens ein wichtiges Vorbild für die Menschen in unserem Land. Der zumeist höchst professionelle Umgang der Athleten mit der schwierigen Situation – stets bemüht um die Optimierung der eigenen Leistungsfähigkeit auch unter schwierigsten Bedingungen – darf mit Fug und Recht als beispielhaft gelten.

Erhalt der Vorbildfunktion

Es bleibt zu hoffen, dass diese Vorbildfunktion auch in Bezug auf die Wiederaufnahme des gesamten organisierten Sportes in Deutschland Anwendung findet. Wir Sportmediziner sehen die Entwicklungen in unserem Land mit Sorge, nicht nur vor dem Hintergrund der wachsenden Bewegungsarmut, sondern auch im Hinblick auf die Leistungsentwicklung im Spitzensport. Die Nachwuchsathleten von heute sind die Spitzensportler der nächsten Spiele und den meisten von ihnen ist bereits seit Monaten der Zugang zu Trainingshallen und Sportstätten verwehrt. Die Spiele in Tokio – unter welchen Bedingungen auch immer sie dann final stattfinden werden – sowie die Vorbilder aus den Reihen der Paralympioniken und Olmypioniken werden hier hoffentlich ihren Beitrag dazu leisten können, unseren Kindern und Nachwuchsathleten sowie der gesamten Bevölkerung die Attraktivität des Sports aufzuzeigen, die Wichtigkeit von Bewegung zu vermitteln und Motivation zu schaffen, selbst körperlich aktiv zu sein.

Die Paralympischen und Olympischen Spiele in Tokio im Jahr 2021 werden sicherlich eine Herausforderung der besonderen Art darstellen und auch die sportmedizinische Betreuung in unterschiedlichster Art und Weise beeinflussen, völlig unabhängig davon, ob die betreuenden Ärzte einen eher internistischen oder orthopädisch-traumatologischen Schwerpunkt haben. Zusätzlich zur Betreuung vor Ort soll diese Ausgabe der DZSM auch den Bereich Prävention im paralympischen und olympischen Leistungssport in den Fokus nehmen, da die Pandemie deren Bedeutung erneut massiv verdeutlicht und in allen Bereichen der Medizin unterstrichen hat und zwar unabhängig von Sportarten, Leistungsklassen und Altersgruppen.

Bild Bernd Wolfarth
Univ.-Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth, Abt. Sportmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin. © Wolfarth

■ Hirschmüller A, Wolfarth B

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