Mentale Stärke im Leistungssport: Den Kopf und mit Köpfchen trainieren

Mentale Stärke im Leistungssport: Den Kopf und mit Köpfchen trainieren
© Viacheslav Iakobchuk / fotolia

Im Training lief es so gut, aber im Rennen kann er die Leistung einfach nicht abrufen«, hört man Trainer immer wieder mal sagen. Vielen Spitzenathleten geht es (zeitweise) so. Wenn die mentale Stabilität fehlt, können Sportpsychologen, Meditation oder eine Umstellung des Trainings neue Impulse setzen.

Über das Gebaren der jungen US-Skifahrerin Mikaela Shiffrin vor ihrem Slalom-Finallauf bei der Ski-WM 2015 wurde viel gesprochen: Wo die Kameras andere Skirennläuferinnen beim Dehnen oder Scherzen beobachten oder gebannt die Läufe der anderen Fahrerinnen auf dem Bildschirm im Startbereich verfolgt werden, entzog sich Mikalea Shiffrin fast eine halbe Stunde lang dem Trubel und lag regungslos im Schnee. Offenbar war es gut, was sie da tat, denn sie gewann Gold.

Auch wenn in diesem Fall nur vermutet werden kann, dass sie sich mental auf den Finallauf vorbereitete, so ist die Betreuung von Athleten und Athletinnen durch Psychologen inzwischen die Regel. Offenbar gibt es Situationen in einer Sportlerkarriere, in der ein »Vorankommen« mehr von der Psyche als von der Physis abhängt. Dr. Thomas Ritthaler, Diplompsychologe und Sportwissenschaftler, betreut Sportler in München: »In der Regel kommen die Sportler, wenn irgendetwas nicht mehr so gut klappt. Die häufigsten Ziele, die mit einer sportpsychologischen Begleitung verfolgt werden, sind die Leistung im Wettkampf zu verbessern, Wettkampf-Angst oder Aufregung vor Wettkämpfen in den Griff zu bekommen oder besondere anstehende Herausforderungen zu meistern.« Auch die Betreuung von Sportlern nach Verletzungen gehört zum typischen Beratungsfeld für Sportpsychologen.

Dr. Thomas Ritthaler, Diplompsychologe und Sportwissenschaftler
Dr. Thomas Ritthaler, Diplompsychologe und Sportwissenschaftler © Rittahler

Motivation – die Frage nach dem Warum?

Eine zentrale Frage im gesamten Leistungssport ist die nach der Motivation. Ist sie intrinsisch begründet – also aus Liebe und Begeisterung für den Sport –, halten Athleten Druck nachgewiesenermaßen besser aus. Wird der Sport jedoch (nur) ausgeübt, um bestimmte Ziele zu erreichen, fehlt die Grundlage, um Rückschläge und Durststrecken wegzustecken. Um einem Athleten seine Einstellung bewusst zu machen und ihn den gewünschten Zielen näher zu bringen, bedienen sich Sportpsychologen verschiedenster Techniken und Methoden aus verschiedenen psychotherapeutischen Richtungen wie der Verhaltenstherapie oder der systemischen Therapie. Fragen der Persönlichkeitsentwicklung können ebenso eine Rolle spielen wie das Erlernen von hilfreichen Fertigkeiten. Ein wichtiger Aspekt, so Dr. Ritthaler, ist der innere Dialog eines Athleten mit sich selbst.

»Das Selbstgespräch verändert sich, bevor die Leistung nachlässt. Die Sportler sind sich darüber aber in aller Regel nicht bewusst. Durch das gezielte Lenken der Aufmerksamkeit auf den Umgang mit sich selbst in unterschiedlichen Situationen (z.B. Training, Wettkampf, bei Erfolg und Misserfolg) erkennen sie zum ersten Mal, dass es hilfreiche und weniger hilfreiche Kommunikation gibt.« Sportler sind normalerweise sehr gut darin, ihre Aufmerksamkeit zu lenken und aufrecht zu erhalten, Aktivierung zu regulieren und Emotionen zu kontrollieren. Doch wenn das System aus dem Gleichgewicht gerät, sei es durch Verletzungen, verringertes Selbstwertgefühl, Erwartungen oder Druck von außen, kann die Leistungsfähigkeit darunter leiden. »Es ist ja dennoch nicht so, dass große Defizite vorhanden wären, sondern dass ein Sportler in ganz außergewöhnlichen Situationen noch besser werden möchte«, erklärt Dr. Ritthaler. Je nachdem, in welche Richtung sich der Athlet weiterentwickeln möchte, werden dann Strategien zur Zielarbeit, zur Verstärkung von Entscheidungsverhalten oder zur Bewertung von Situationen trainiert oder Entspannungs- und Visualisierungstechniken erlernt. Nach Ritthalers Erfahrung können sich die meisten Sportler dadurch deutlich verbessern.

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Leere im Kopf

Auch Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Mainz hat das bei seiner Arbeit mit Athleten in den letzten 20 Jahren beobachtet. Allerdings beruht der Erfolg der von ihm betreuten Athleten auf einem etwas anderen Prinzip. Er konnte mittels EEG-Untersuchungen zeigen, dass beispielsweise ein Shaolin-Mönch, der seit dem Alter von etwa sechs Jahren das Meditieren praktiziert, in Sekundenbruchteilen in einen Entspannungszustand (Aktivität der Alpha- und Theta-Frequenzen, 14–4 Hz) gelangt. »Man könnte sagen, dass in diesem Zustand Begrenzungen aufgehoben werden, die im normalen Wachzustand durch unsere Hirnaktivität gegeben sind. Dadurch ist es möglich, sportliche Höchstleistungen abzurufen«, erklärt Prof. Schöllhorn. Zudem fällt in diesem Zustand das Lernen leichter. Das Gehirn von Kleinkindern in den ersten fünf Lebensjahren arbeitet sehr viel im Bereich der Alpha- und Theta-Frequenzen. In dieser Zeit lernen Kinder so schnell und viel wie nie mehr danach.

Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn, Institut für Sportwissenschaft der Universität Mainz
Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn, Institut für Sportwissenschaft der Universität Mainz © Schöllhorn

Meditation verändert das Gehirn

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich das Gehirn durch Meditation umstrukturiert. Beispielsweise nimmt bei Menschen, die regelmäßig meditieren, die Dichte der Grauen Substanz in der Amygdala parallel zur Stressreduk­tion ab, wie Dr. Britta Hölzel vom Bender Institute of Neuro­imaging der Universität Gießen nachweisen konnte. Für Sportler können sich solche neuronalen Umstrukturierungen im Gehirn, die bei täglichem Meditieren bereits nach wenigen Monaten geschehen, in verbesserten Leistungen niederschlagen. Denn durch die für Meditation typische Achtsamkeit, also ein Sein und Agieren ausschließlich im Hier und Jetzt, wird der Sportler offen für die Signale, die ihm sein Körper sendet. Im Unterschied zu den Übungen der Fokussierung oder Visualisierung auf ein Ereignis oder einen Bewegungsablauf ist das Ziel der Meditation, den Kopf leer zu bekommen und sich seiner Wahrnehmung zu öffnen.

Vom Gleichschritt zur Individualität

Meditation alleine ist dennoch möglicherweise noch nicht ausreichend, um die Leistung merklich zu steigern. Doch in Kombination mit dem geeigneten Training zeigt es Effekte. Differenzielles Lernen setzt darauf, dass es keine gleichförmigen Wiederholungen gibt und keine Korrektur notwendig ist, sondern stetig neue Variationen erfolgen. Es setzt mehr darauf, die unbewussten Reaktions- und Lernmechanismen wirksam werden zu lassen und nicht durch das Bewusstsein und eine konkrete Vorgabe von Richtig und Falsch zu limitieren. Das Bewegungssystem organisiert sich in der Folge selbst und der Athlet entwickelt aus der Rückmeldung, die ihm sein Körper gibt, den optimalen Bewegungsablauf. Wissenschaftlich gezeigt wurde das in Untersuchungen aus den 1990er- und 2000er-Jahren. Selbst hochspezialisierte Sportler führen eine komplexe Bewegung niemals genau gleich aus. Daher setzt differenzielles Lernen auf unzählig viel Variation.

Eine Folge davon ist, dass das Training sehr viel individueller sein muss, als es heutzutage üblicherweise praktiziert wird. Doch letztendlich verbessern sich alle Athleten, während vom klassischen Wiederholungstraining zwar einige profitieren, viele aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr. »Die Trainingslehre stammt ursprünglich aus dem militärischen Bereich, wo alle zum Gleichschritt gebracht werden sollten. Das funktioniert für einen Teil der Truppe, aber für kleinere oder größere Soldaten passt das nicht. Durch eine Individualisierung des Trainings und der Bewegungsabläufe findet jeder Sportler zu seinen individuellen Stärken«, erklärt Prof. Schöllhorn. Der Kreis schließt sich, da differenzielles Lernen zu meditationsähnlichen Gehirn-Zuständen im Alpha-/Theta-Bereich führt, wie Dr. Diana Henz, ebenfalls vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Mainz, zeigen konnte.

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Variabilität bringt Sicherheit

Doch wie soll dieses Training im Wettkampf helfen? Durch die ständige Variation und Alternativen bekommt der Sportler die Chance, Bewegungsmuster bzw. Bruchstücke einer Bewegung zu vergleichen und zu selektieren. Dadurch lernt er, wie er auf was angemessen reagieren muss. Wurden unterschiedlichste und für das Ausüben der Sportart untypische bzw. für einen Wettkampf unwahrscheinliche Erfahrungen gemacht, so verfügt er im »Ernstfall« über ein Handlungsrepertoire, das Sicherheit gibt.

Sowohl die klassischen Methoden der Sportpsychologie als auch die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Meditationsforschung können Sportlern helfen, psychische Stabilität und damit konstante körperliche Leistungsfähigkeit zu erlangen. Individuelle Vorlieben sind bei der Auswahl der Methoden ebenso zu berücksichtigen wie die Umsetzbarkeit im Trainingsalltag. Seit etwa Mitte der 1970er-Jahre hat das psychologische Training im Leistungssport an Bedeutung gewonnen; seit einigen Jahren verbreitet sich langsam auch das differenzielle Lernen.

Differenzielles Lernen – ein Beispiel

Zentrale Bestandteile:
• Lernen an Differenzen, es gibt kein Richtig oder Falsch

Beispiele für systematische Anhaltspunkte zur Vorgehensweise beim differenziellen Lernen
(nach Schöllhorn, 1999):
• Variieren von Anfangs- und Endbedingungen einer Bewegung (z.B. gebeugte/gestreckte Knie beim Gehen)
• Ändern der Merkmals­umfänge (z.B. längere/kürzere, schnelle/lang­same Schritte)
• Wechseln der Bewegungsverläufe in Dauer und Rhythmus (z.B. federndes oder schleichendes Gehen)

Diese drei Änderungsmöglichkeiten können praktisch für jedes große Gelenk und dort jeweils in folgenden Merkmalen angewendet werden:
• Gelenkwinkel
• Gelenkwinkel­geschwindigkeit
• Gelenkbeschleunigung

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Hatze H., Motion Variability – its Definition, Quantification and Origin. Journal of Motor Behavior, 18 (1986), 5-16 Schöllhorn, 1998

  2. Bauer H., Schöllhorn W., Self-organizing maps for the analysis of complex movement patterns. Neural Processing Letters, 1997, 8(193-198)1998

  3. Hölzel B.K., Stress reduction correlates with structural changes in the amygdala. SCAN(2010) 5,11-17, doi:10.1093/scan/nsp034

  4. Mempel, Wegner, M. & Strang, Implicit vs. Explicit Motives and Aspects of Athletes‘ Practice. Journal of Sport & Exercise Psychology, 2010, 32(200-201)

  5. Henz, D., Leinberger, O. & Schöllhorn, W.I. (2014). EEG brain activation patterns in differential and mental differential soccer shooting training. In A. De Haan, C.J. De Ruiter & E. Tsolakidis (Eds.) Book of Abstract of the 19th Annual Congress of the European College of Sport Science – 2nd – 5th July 2014, Amsterdam. Utrecht: Digital Printing Partners.