Innovatives Polymer kann Gelenksverletzungen verhindern
Rupturen des Außenbandapparates sind mit einer Inzidenz von 5,3 – 7/1000 Personenjahren in Europa die häufigsten Verletzungen im Sport. Sie sind nicht nur für 14 Prozent aller Notfallbehandlungen bei Sportlern verantwortlich, sondern auch für Ausfallzeiten, hohe Kosten und ein erhöhtes Risiko, sich erneut am Sprunggelenk zu verletzen. Wie die S1-Leitlinie zur frischen Außenbandruptur am oberen Sprunggelenk aufzeigt, führen Begleitverletzungen häufig zu persistierenden Beschwerden (z. B. Kapselverletzungen, osteochondrale Frakturen, Avulsions- und okkulte Frakturen, Knorpelschäden usw.) (2). Am häufigsten betroffen sind Athleten im Volleyball, Basketball, Fußball, Klettern und Geländesport. Orthesen und Schienen sind für den Einsatz im Sport wenig bis nicht geeignet, weil sie die Bewegungsfreiheit zu sehr einschränken.
Polymer fungiert als »Sicherheitsgurt«
Ein Start-up aus Berlin hat ein System entwickelt, das es möglich machen könnte, die Inzidenz von Sprunggelenks- und anderen Gelenkverletzungen deutlich zu reduzieren. Die Entwickler setzen dabei auf scherverdickende Polymere. Das verwendete Fluid ändert bei heftigen Bewegungen in einem Sekundenbruchteil seine Viskosität und wird fest. Die Reaktion erfolgt mit bis zu 20 ms schneller als ein Muskel, der etwa 80 bis 100 ms bis zu einer Reaktion braucht. Bereits eine Kraft von 500 N führt zur Ruptur – im festen Zustand schützt das Polymer bis zu 2000 N. Bei einer kritischen oder zu schnellen Bewegung, die mit dem Risiko eines Bänderrisses assoziiert ist, ändert sich die Viskosität und stabilisiert das Gelenk, ohne jedoch die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Wie bei einem Sicherheitsgurt im Auto ist die Reaktion sofort reversibel, so dass der Sportler einfach weiterrennen kann. Das System hält nach Angaben des Herstellers für mehrere Millionen solcher Zyklen, was bei täglicher sportlicher Betätigung einer Lebensdauer von etwa zwei Jahren entspricht.
Kein Umknicken bei voller Bewegungsfreiheit
In einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie an 16 Teilnehmern mit Instabilität des Fußgelenks wurde gezeigt, dass das Polymer-System im Gegensatz zu einem Placebo-System oder ungeschützter Situation bei einer Umknickbewegung die Winkel im Gelenk signifikant verringert, ohne die sagittalen Bewegungsmöglichkeiten des Knie- und Sprunggelenks einzuschränken (1). Handballer der »Berliner Füchse« mit einer Vorgeschichte von Sprunggelenksverletzungen haben das »Betterguards«-System getestet und berichten seitdem über weniger Verletzungen.
Derzeit werden in Zusammenarbeit mit Unternehmen Schuhe mit diesem integrierten System entwickelt. Bereits im November 2019 wird eine Bandage mit der Technologie erhältlich sein.
Neben Sportlern kommt das System auch für Berufsgruppen in Betracht, die häufiger von Sprunggelenksverletzungen betroffen sind, wie beispielsweise Menschen in Bauberufen, Lieferantentätigkeit und andere, die viel und schnell zu Fuß unterwegs sind. Das System kann grundsätzlich auch an allen anderen Gelenken angewendet und in Schutzkleidung wie Handschuhe, Knieorthesen oder Protektoren eingesetzt werden.
■ Hutterer C
Quellen:
Agres AN, Chrysanthou M, Raffalt PC. The Effect of Ankle Bracing on Kinematics in Simulated Sprain and Drop Landings: A Double-Blind, Placebo-Controlled Study. Am J Sports Med. 2019; 47: 1480-1487. doi:10.1177/0363546519837695
Rammelt S, Richter M, Walther M. Leitlinie Unfallchirurgie, AWMF-Nr. 012-022. Frische Außenbandruptur am Oberen Sprunggelenk. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/012-022l_S1_Aussenbandruptur_oberes_Sprunggelenk_2017-08.pdf [aufgerufen am 23.10.2019]