DZSM-MITTEILUNG

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19.01.2020

Zur Verrechtlichung des Dopingbegriffs

Prof. Wolfgang Schild ist Rechtshistoriker und schreibt in seinem Editorial für die Jubiläumsausgabe 12/2019 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) über den Prozess, den ehtisch-moralischen Begriff des Dopings zum Gegenstand des Rechts zu machen.

Zur Verrechtlichung des Dopingbegriffs
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Im Sprachverständnis bedeutet „Doping“ meist die Erhöhung der natürlichen, optimal trainierten Leistungsfähigkeit durch künstliche Mittel. Im Alltag (aber auch z. B. im Militärbereich) werden solche Praktiken (als „Enhancement“) durchaus anerkannt, ja sogar gefordert; man denke z. B. an Kaffee, Drogen oder Viagra als Aufputschmittel oder an Beruhigungs- und Konzentrationsmittel. Von daher zeigt das Dopingverbot im Wettkampfsport dessen Sonderweltqualität.

In dieser Gegenwelt zur bürgerlichen Gesellschaft kann als sportliche Leistung nur eine nicht-gedopte, also „natürlich“ erbrachte, „authentische“ (dem Sporttreibenden selbst zuzuschreibende) Handlung anerkannt werden, weshalb eine durch Doping erbrachte Leistung notwendig annulliert bzw. eine Sperre für die Dauer des gedopten Zustandes ausgesprochen werden muss (und dies unabhängig, ob dieser Zustand schuldhaft herbeiführt wurde). Der Charakter als Eigenwelt kommt in der Voraussetzung der freiwilligen Teilnahme am sportlichen Wettkampf und in der darin liegenden Unterwerfung unter dieses fundamentale Prinzip sportlichen Handelns, das als Grundregel niedergeschrieben wird und werden muss, zum Ausdruck.

Dadurch wird das Doping im Rahmen der Sporteigenwelt (auch) zu einem Regelverstoß, der bei wissentlichem (schuldhaften) Handeln zu einer Sportstrafe (die meist ebenfalls als „Sperre“ bezeichnet wird, die aber von der oben genannten Nichtzulassung zum sportlichen Wettbewerb wegen des gedopten Zustandes unterschieden werden muss) führen kann und aus präventiven Gründen der Abschreckung und/oder Erziehung auch führen soll. Durch die Rückbindung an das Fairnessprinzip („fairplay“) erhält das Dopingverbot zusätzlich die Qualität einer sportethischen Forderung; die betreffenden Regelbrecher werden moralisch beurteilt, als schlimme unehrliche Betrüger verurteilt, beschämt, man spricht sogar von „Dopingsumpf“ und dessen „Austrocknung“ im Dopingkampf. Manche Theologen sehen darin sogar eine schwere Sünde.

Die Konsequenz für die Sonderwelt des Wettkampfsports liegt in einer strukturellen Angleichung an die Rechtswelt der bürgerlichen Gesellschaft, vor allem an deren Strafrechtspraxis. Sportliche Regeln werden wie die staatlichen Rechtsvorschriften als „Normen“ bezeichnet, die von den „Sportsgerichten“ ausgesprochenen Sanktionen (die Sperren, die oben angesprochen sind) als „Sportstrafen“; es kommt zum Auf- und Ausbau einer rechtlichen Organisation (eben dieser „Sportgerichte“ im Rahmen eines umfassenden „Verbandsrecht“) und zu einem Verfahrensrecht. Die staatliche Rechtsordnung – die einerseits die Autonomie dieses Sportverbandsrechts (im Rahmen des Art. 9 Grundgesetz) anerkennt und anerkennen soll – verlangt andererseits die Beachtung der fundamentalen, rechtsstaatlichen Prinzipien (Anerkennung der SportlerInnen als Rechts- und Prozesssubjekte, Vorhersehbarkeit der Sanktionen durch sprachlich genaue Formulierung der Regeln [auch des Dopingverbotes], Schuldstrafen und Übermaßverbot, Verbot der Doppelbestrafung, Unschuldsvermutung, Anerkennung der arbeitsrechtlichen Vorschriften); wirken doch die Entscheidungen im Sportbereich in die bürgerliche Rechtssphäre, in Einkommens- und Arbeitsverhältnisse, in die Grundrechte der Betroffenen hinein. Es kommt zur Ausbildung einer eigenen rechtswissenschaftlichen Disziplin, des „Sportrechts“, das heute sogar von eigens ausgebildeten „Fachanwälten“ betreut wird. (Weiter im Text auf der nächsten Seite)

Rechtshistoriker Prof. Dr. Wolfgang Schild
Prof. Dr. Wolfgang Schild, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsgeschichte und Rechtsphilosophie, Universität Bielefeld © Schild