Fortsetzung Zur Verrechtlichung des Dopingbegriffs
Die Sonderwelt der Sportverbandsorganisationen begründet somit keinen rechtsfreien Raum, selbst in dem Bereich des Dopingverbots nicht, das vom staatlichen Recht wegen des allgemeinen Freiheits- und Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs.2 Grundgesetz nicht begründbar ist. Jede(r) hat danach das Recht, seine Leistungsfähigkeit durch künstliche Mittel zu steigern, selbst dann, wenn er dadurch seine Gesundheit (sogar lebensbedrohlich) schädigt. Die Anforderungen an das sportverbandliche Dopingrecht steigen dadurch, wie auch an die Voraussetzung der freiwilligen Unterwerfung der Sporttreibenden. Dem staatlichen Recht, das für alle ohne diese Unterwerfung gilt, ist dadurch eine aktive Rolle in dem „Kampf gegen das Doping“ versagt, selbst unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Gesundheit (sofern die Betreffenden die ihnen bekannten Risiken bewusst eingehen [andernfalls – also ohne wirksame Einwilligung – ohnehin das Strafrecht mit seinen Bestimmungen gegen Körperverletzung eingreift]).
Parallel zur Rechtspraxis beim Konsum von Betäubungsmitteln kann das staatliche Recht nur versuchen, eine „Volksgesundheit“ zum Schutzobjekt zu machen, indem die Freiheit des Marktes für Dopingmittel, die Arzneimittel sind und deshalb therapeutisch eingesetzt werden dürfen, strafrechtlich eingeschränkt wird; was zugleich auch bedeutet, dass die sich dopenden Sporttreibenden selbst nicht zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden dürfen. Der „Kampf gegen Doping“ bleibt Aufgabe des Sportverbandsrechts, das wegen der Globalisierung des modernen Sportbetriebs (olympische Spiele [maßgebend: IOC], Europa- und Weltmeisterschaften) auch zu einem Weltsportverbandsrecht wird, das wegen der unterschiedlichen einzelstaatlichen Rechtsgrundsätze in einem schwierigen Prozess und durch völkerrechtlich geltende Abkommen der einzelnen Staaten vereinheitlicht werden muss!
Das heute geltende Ergebnis ist das Regelwerk (Code) der 1999 gegründeten World Anti-Doping Agency (WADA), also der WADC, der in den einzelnen nationalen Sportorganisationen (in Deutschland als NADC) umgesetzt ist. Die WADA bzw. die deutsche NADA wurde ab 2008 in Deutschland in einem Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarates gegen Doping (1989) innerstaatlich anerkannt. 2005 (in Deutschland 2008) trat das Internationale Übereinkommen gegen Doping im Sport in Kraft. Mit seiner Verabschiedung vereinbarten die Regierungen der UNESCO weltweit, das internationale Völkerrecht auf Doping bzw. auf den Bereich Anti-Doping im Sport anzuwenden, mit dem Ziel der „vollständigen Ausmerzung [elimination] des Dopings“ (Art. 1). Die Konvention diente vor allem dazu, die Wirksamkeit des WADC zu gewährleisten, dessen Verbotsliste als Anhang dieses Übereinkommens im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde (erstmals BGBl 2007 II Nr. 9 vom 26. März 2007) und jedes Jahr in neuer Fassung veröffentlicht wird. Da es sich bei diesem Code um ein Dokument der WADA als einer Nichtregierungsorganisation handelt, ist dieser grundsätzlich nur für Mitglieder von Sportorganisationen gültig. Doch bietet dieses internationale Übereinkommen für Regierungen einen Rechtsrahmen, globale Anti-Doping-Regeln und Richtlinien zu formalisieren, um faire Bedingungen für alle Athleten zu schaffen.
Diese Verrechtlichung des sportverbandlichen Dopingverbots führte nun zu einer Veränderung des dabei in Frage stehenden Dopingbegriffs, die kurz zu erläutern ist. Dabei steht – wie in jedem rechtlichen Verfahren – die Beweisbarkeit im Zentrum. Dies führte zur ersten Korrektur. Noch 1963 hatte der Europarat Doping nicht nur als „Verabreichung oder Gebrauch körperfremder Substanzen“ definiert, sondern auch festgehalten: „Außerdem müssen verschiedene psychologische Maßnahmen zur Leistungssteigerung des Sportlers als Doping angesehen werden“. Dieses „psychische“ (oder „geistige“) Doping lässt sich aber nicht überzeugend (und dies heißt zunehmend: durch naturwissenschaftliche Verfahren) beweisen, weshalb es heute nicht mehr erwähnt wird: Doping ist seither nur mehr als körperlich nachweisbares Phänomen relevant. An der Praxis des Blutdopings scheiterte das vom Europarat vorgesehene Kriterium der „Körperfremdheit“ der Dopingstoffe; doch war eine Kennzeichnung als Methode einer „künstlichen“ Leistungssteigerung möglich.
Ferner erwies sich eine zweite Korrektur als erforderlich, da im Einzelfall nicht nachgewiesen werden kann, dass ein bestimmtes Mittel oder eine bestimmte Methode tatsächlich zu einer solchen künstlichen Leistungssteigerung geführt hat; ist doch bereits jedes Training, jede wissenschaftlich aufbereitete Ernährung und ärztliche Betreuung eine in diesem Sinne „künstliche“ Verbesserung der „natürlichen“ Fähigkeiten der Betreffenden. Der Schwerpunkt verlagert sich daher auf die Festlegung der vom Dopingverbot betroffenen Mittel und Methoden im Regelwerk selbst, also auf die Ebene der sportverbandlichen „Regelsetzung“ (vergleichbar der staatlichen Gesetzgebung). So sieht Art. 4.2.1 WADC als Kriterium der Aufnahme in die „Verbotsliste“ auch bloß das „Potenzial der Leistungssteigerung“ vor, also nach Art. 4.3.1.1 WADC den „medizinischen oder sonstigen wissenschaftlichen Beweis, die pharmakalogische Wirkung oder die Erfahrung“, dass der Stoff oder die Methode „das Potenzial besitzt, die sportliche Leistung zu steigern“. (Weiter im Text auf der nächsten Seite)