Die Effekte von Sport als therapeutisches Mittel bei Substanzabhängigkeit
Jedes Jahr sterben weltweit über eine halbe Million Menschen an den Folgen ihrer Substanzabhängigkeit (Substance Use Disorder/SUD); unzählige andere leiden lebenslang an den gesundheitlichen Auswirkungen. Fast alle Behandlungsansätze für Suchtkranke haben schlechte Adhärenzraten und daraus folgend hohe Rückfallquoten bis zu 50 Prozent. Weil SUDs immer weiter zunehmen, wird an der Verbesserung zur Verfügung stehender Therapien fieberhaft geforscht. Eine Idee ist die Einbindung sportlicher Aktivität in das Behandlungsschema. Kanadische Forscher haben sich die Effekte angeleiteter Bewegungsinterventionen als Ergänzung der Standardtherapie im Rahmen eines systematischen Reviews angesehen (1).
Die Analyse umfasst 43 Studien (81 Prozent randomisiert kontrollierte Studien, 14 Prozent Prä-Post-Studien, 5 Prozent Kohortenstudien) mit insgesamt 3135 Teilnehmern, die an einer diagnostizierten Substanzgebrauchsstörung litten. Die meisten Personen (28 Prozent) waren alkoholabhängig, direkt gefolgt von Methamphetaminsucht (23 Prozent). Weitere Suchtstoffe waren Amphetamin, Stimulanzien, Kokain, Cannabis und Heroin. Arbeiten, die sich auf Tabakabhängigkeit konzentrierten, blieben außen vor – hier existiert bereits umfangreiche Forschung. Das Studiendesign wurde extra so angelegt, dass problematische Einschränkungen bisheriger Analysen wie z. B. schlechte Evidenz bei Polykonsum oder reine Konzentration auf Symptome umgangen werden konnten. Genau betrachtet wurden hingegen die Art, Dauer, Intensität und Häufigkeit der jeweiligen Intervention sowie die daraus erwachsenden Vorteile auf psychische, physische und soziale Parameter der Probanden.
Alle inkludierten Interventionen fanden individualisiert während einer ambulanten oder stationären Entgiftungsbehandlung in Wohnheimen, Kliniken oder Entzugseinrichtungen statt. Mehr als drei Viertel der Maßnahmen hielten die Suchtkranken zu mäßiger Intensität an (ca. dreimal wöchentlich für etwa eine Stunde); leichte und starke Anstrengung kam seltener vor. Die mittlere Interventionsdauer betrug 12,9 Wochen. Am häufigsten stand Joggen auf dem Programm, teilweise kombiniert mit Radfahren, Krafttraining, Ellipsentraining, Yoga, Seilspringen, Ballspielen oder Walking. Die zweithäufigste Aktivität war Krafttraining, das auch mit Aerobic, Radfahren oder sporadischen Sportveranstaltungen kombiniert wurde. Weitere Programme boten Tai Chi, Yoga, Walking, Taijiquan und Softball an.
Das wichtigste Primärziel der Bewegungsinterventionen im Rahmen der Therapie einer Substanzabhängigkeit waren verschiedene soziale Parameter, von denen sich einige signifikant verbesserten:
■ Schlafqualität: 100 Prozent
■ Verringerung des Substanzkonsums: 75 Prozent
■ Gesundheitsbezogene Lebensqualität: 70 Prozent
Auf körperlicher Ebene waren positive Veränderungen für folgende Untersuchungsparameter zu verzeichnen:
■ Körperliche Entzugssymptome (Craving): 75 Prozent
■ Aerobe Kapazität: 71 Prozent
■ Gleichgewicht: 67 Prozent
■ Muskelkraft: 60 Prozent
■ Herzfrequenz: 60 Prozent
■ Körperzusammensetzung: 56 Prozent
■ Beweglichkeit: 50 Prozent
■ Blutdruck: 30 Prozent
Auch auf psychischer Ebene ergaben sich durch die Maßnahmen signifikante Verbesserungen:
■ Körperzufriedenheit: 100 Prozent
■ Stimmung: 100 Prozent
■ Angstsymptome: 71 Prozent
■ Depressive Symptome: 50 Prozent
■ Exekutive Funktionen: 50 Prozent
■ Selbstwahrnehmung: 33 Prozent
Weitere gering gradige Verbesserungen betrafen die Themen Aufmerksamkeitsverzerrung, persönliche Gesundheitsverantwortung sowie Gehirnaktivität und Achtsamkeit. Auf die Parameter Arbeitsgedächtnis, Stressempfinden, Impulskontrolle, kognitive Funktion, psychische Belastung, verbales Gedächtnis und Selbstwertgefühl hatten die Interventionen keinen bedeutsamen Einfluss.
Fazit: Körperliche Aktivitätsinterventionen können augenscheinlich einen wertvollen Beitrag zur Behandlung von Substanzabhängigkeit leisten. Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass der vorliegende Review aufgrund teils mangelhafter Primärquellen einigen Beschränkungen wie z. B. kleinen Stichprobengrößen, ungenauer Kontrolle der Adhärenz, hohen Teilnehmerverlusten während der Intervention oder Ausschluss von Probanden mit psychischen Komorbiditäten unterlag.
■ Kura L
Quellen:
Piché F, Daneau C, Plourde C, Girard S, Romain AJ. Characteristics and impact of physical activity interventions during substance use disorder treatment excluding tobacco: A systematic review. PLoS One. 2023; 18: e0283861. doi:10.1371/journal.pone.0283861