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Fortsetzung Dick trotz Sport? Ein angeblicher Paradigmenwechsel beruht auf Rechenfehlern

1. Energieumsatz und mechanische Arbeit

Die Messung des Energieumsatzes mit doppelt markiertem Wasser (H22O und H2O18) ist eine etablierte Methode zur Umsatzmessung über mehrere Tage. Arbeit: Die geleistete Arbeit wurde mittels Akzelerometrie nur geschätzt, denn damit werden Beschleunigungen als Impulse/min, aber nicht die physikalische Arbeit gemessen. Dazu müsste man das Akzelerometer für jede Person einzeln kalibrieren. Das ist aber offensichtlich nicht erfolgt. Das verwendete Akzelerometermodell hat außerdem eine hohe Streuung der Messwerte (7). Möglicherweise sind darauf extreme Unterschiede zurückzuführen. Für den Wert 200 Impulse/min im Tagesmittel gibt es z. B. einzelne Energieumsätze von 1600 ebenso wie von 3500kcal.

2. Auswahl der Versuchspersonen

Es werden mehrere sehr verschieden lebende Gruppen (Klima, Höhe, Tageslichtdauer, Stadt oder Savanne, Ernährung) zusammengeworfen, was die Streuung erhöht. Allerdings sind die Wohnländer bei der statistischen Analyse als Faktoren berücksichtigt. Leistungsportler sind jedoch ohne wirkliche Begründung ausgeschlossen.

3. Auswertung der Daten

Die Autoren behaupten, Korperbau und -zusammensetzung berücksichtigt zu haben, aber offensichtlich wurden die Energieumsätze nicht nur auf die gesamte Körpermasse, sondern zusätzlich auf die fettfreie Masse bezogen („controlling for lean mass and fat mass“). Bei sehr deutlichen Größen- und Körpermassenunterschieden (Einzelwerte zwischen 34 und 118kg bei den Frauen, 43 und 101kg bei den Männern) wird der Energieumsatz aber nicht je kg Körpermasse oder kg fettfreie Körpermasse, sondern absolut angegeben, mit der Folge, dass bei höherer motorischer Aktivität eine Punktewolke ohne Korrelation in den Abbildungen erscheint. Ich habe aus den tabellierten Mittelwerten zwei Abbildungen erstellt (Abb. 1 und 2). Wie man sieht, drehen sich die Abhängigkeiten bei Bezug auf die Masse (Abb. 2) um! Je kg Körpermasse haben die stärker arbeitenden Gruppen selbstverständlich einen höheren Energieumsatz (Männer: täglich ca. 52kcal/kg bei Hadza und Bolivianern, nur 38kcal/kg bei den Nordamerikanern).

4. Deutung der Befunde

Die klassische Vorstellung, dass körperlich aktive Menschen entsprechend den chemischen Grundlagen einen erhöhten Energieumsatz haben, ist damit unangefochten. Sie entspricht den Ergebnissen zahlreicher Studien seit dem 19. Jahrhundert (Übersicht z. B. (9)). Dies schließt nicht aus, dass man auch als Sportler zunehmen kann. Das passiert, wenn man mehr isst als man verbraucht oder Muskelmasse aufbaut. Die neue Theorie der Autoren, die eigentlich sehr aufwendige und interessante Untersuchungen gemacht haben, ist also schlicht falsch. Leider hat sie ein großes Presseecho ausgelöst und dürfte noch eine Weile überleben. Die Couch-Kartoffeln fühlen sich bestärkt. Schade.

Bild Täglicher Energieumsatz in Abhängigkeit von der Körpermasse
Täglicher Energieumsatz in Abhängigkeit von der Körpermasse. Mittelwerte von körperlich aktiven (Hadza und Bolivianer; Punkte) und wenig aktiven (Nordamerikaner; Kreise) Männern und Frauen. Daten aus (5). © DZSM 2018

 

BilD Täglicher Energieumsatz je kg in Abhängigkeit von der Körpermasse
Täglicher Energieumsatz je kg in Abhängigkeit von der Körpermasse. Mittelwerte von körperlich aktiven (Hadza und Bolivianern; Punkte) und wenig aktiven (Nordamerikaner; Kreise) Männern und Frauen. Daten aus (5). © DZSM 2018

■ Böning D

Quellen:

  1. Hollmann W, Hettinger T. Sportmedizin - Grundlagen für Arbeit, Training und Präventivmedizin. Stuttgart - New York: F. K. Schattauer Verlag, 2000.

  2. Pontzer H. Aktiv im Energiesparmodus. Spektrum der Wissenschaft. 2017; 11: 20-25.

  3. Pontzer H, Durazo-Arvizu R, Dugas LR, Plange-Rhule J, Bovet P, Forrester TE, Lambert EV, Cooper RS, Schoeller DA, Luke A. Constrained total energy expenditure and metabolic adaptation to physical activity in adult humans. Curr Biol. 2016; 26: 410-417. doi:10.1016/j.cub.2015.12.046

  4. Pontzer H, Raichlen DA, Wood BM, Emery Thompson M, Racette SB, Mabulla AZ, Marlowe FW. Energy expenditure and activity among Hadza hunter-gatherers. Am J Hum Biol. 2015; 27: 628-637. doi:10.1002/ajhb.22711

  5. Pontzer H, Raichlen DA, Wood BM, Mabulla AZ, Racette SB, Marlowe FW. Hunter-gatherer energetics and human obesity. PLoS ONE. 2012; 7: e40503. doi:10.1371/journal.pone.0040503

  6. Schrire C. Hunter-gatherers in Africa. Science. 1980; 210: 890-891. doi:10.1126/science.210.4472.890

  7. Welk GJ, Schaben JA, Morrow JR Jr. Reliability of accelerometry-based activity monitors: a generalizability study. Med Sci Sports Exerc. 2004; 36: 1637-1645.

  8. Werner J. Process- and controller-adaptations determine the physiological effects of cold acclimation. Eur J Appl Physiol. 2008; 104: 137-143. doi:10.1007/s00421-007-0608-3

  9. Westerterp KR. Physical activity and physical activity induced energy expenditure in humans: measurement, determinants, and effects. Front Phys. 2013; 4: 90. doi:10.3389/fphys.2013.00090