Biopsychosoziale Parameter in der Behandlung von Tendinopathien

Biopsychosoziale Parameter in der Behandlung von Tendinopathien
© Davizro Photography / Adobe Stock

Bei Verletzungen spielen neben rein physischen auch psychologische und soziale Aspekte eine große Rolle, die seit einiger Zeit zunehmend anerkannt werden. Vor allem einer Chronifizierung der Schmerzen kann mit entsprechender multimodaler Therapie wirkungsvoll entgegengewirkt werden. Für Sportmediziner stellen im muskuloskelettalen Bereich Tendinopathien mit ihren oft persistierenden und weitreichenden Auswirkungen auf Funktion und Leistungsfähigkeit eine Herausforderung dar – immerhin sind Athleten auf eine im wahrsten Wortsinne reibungslose Funktion ihrer Sehnen deutlich mehr angewiesen als Personen der Normalbevölkerung. Ein aktueller internationaler Review zeigt auf, wie Erkenntnisse aus existierenden Leitlinien direkt auf die Behandlungskonzeption im Sinne eines biopsychosozialen Modells übertragen werden können (1).

Sehnenschmerz hat viele Facetten

Noch immer ist die Pathophysiologie von Tendinopathien nicht vollständig geklärt. Man nimmt an, dass die dabei auftretenden Schmerzen mit funktionellen Veränderungen einhergehen, die das zentrale Nervensystem (hyper)sensibilisieren, u.a. durch Funktionsstörungen absteigender antinozizeptiver Mechanismen sowie eine erhöhte Aktivität schmerzleitender Nervenbahnen. Diese zentrale Sensibilisierung könnte erklären, warum Behandlungen des Gewebes bei Tendinopathien oft erfolglos bleiben: In einem gewissen Maß handelt es sich dabei vermutlich auch um neuropathische Schmerzen. Sicher ist nur: Sie können in einem Maß an den Nerven zehren, das sich durch die entzündliche Veränderung allein nicht begründen lässt. Selbst wenn in der Bildgebung positive Therapiefortschritte erkennbar sind, stehen diese oft in keinem Verhältnis zu den subjektiv berichteten verbleibenden Beschwerden. Die Annahme, dass biopsychosoziale Faktoren dabei eine ebensolche Schlüsselrolle spielen wie bei vielen anderen MSK-Erkrankungen, liegt daher nahe – und damit auch der Ansatz, diese bei der Behandlung ebenso hoch zu priorisieren wie konservative Maßnahmen.

Fehlende Selbstwirksamkeit bei langwierigen Tendinopathien: „Ich kann nicht“

Der Gedanke, „nicht mehr so zu können, wie man möchte“, kann besonders bei langwierigen Tendinopathien Gefühle von Hoffnungslosigkeit, Stress, Überforderung und Depression auslösen. Werden diese in der Behandlung nicht ernst genommen und professionell adressiert, gerät der Patient in eine Abwärtsspirale aus falscher Schmerzeinschätzung, hinderlichen Glaubenssätzen und sinkender Lebensqualität – mit allen negativen Folgen auf den Heilungsverlauf. Eine Auseinandersetzung mit diesen Begleitumständen einer Tendinopathie, etwa im Gespräch mit einem Sportpsychologen, kann den Therapieerfolg hingegen äußerst günstig beeinflussen. Sie zielt auf eine gesunde Fähigkeit zur Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und körperlichen Grenzen ab.

Vermeidungsstrategien: „Ich habe Angst“

Das Angst-Vermeidungs-Modell erklärt, wie psychologische Faktoren die Entwicklung chronischer Schmerzen beeinflussen. So kann etwa negative Schmerzwahrnehmung eine Katastrophisierungsreaktion auslösen, aus der über Hypervigilanz und Inaktivität letztlich eine Kinesiophobie resultiert. Die vermiedene Bewegung kann wiederum Muskelatrophien und Chronifizierung zur Folge haben; dazu kommt die steigende Verletzungsgefahr bei Wiederaufnahme des Sports.

Die bekanntesten Instrumente zur Identifizierung von Angstvermeidungsstrategien sind die Tampa Scale for Kinesiophobia (TSK), die kombinierte Fear Avoidance Components Scale und der sportartspezifische Athlete Fear Avoidance Questionnaire. Sie sollten im Verlauf der Behandlung regelmäßig zum Einsatz kommen, um Tendenzen in jegliche Richtung zeitnah zu erkennen und die Therapie ggf. anzupassen. Tatsächlich kann der Grad an empfundener Selbstwirksamkeit ein stärkerer Prädiktor für konservative Behandlungs-Outcomes sein als solche, die per Bildgebung sichtbar sind!

Vor dem Hintergrund, dass die Rehabilitation von Tendinopathien ein gewisses Maß an durchaus schmerzhafter Belastung erfordert, muss das Ziel ein Bewusstsein des Patienten dafür sein, dass nicht jeder Schmerz schädlich ist. Gelingt dieser Erkenntnisgewinn, steigt automatisch die Behandlungsadhärenz.

„Reframing“ des Schmerzes

Das Common-sense-Modell der Selbstregulierung (2) erklärt, wie von Tendinopathien Betroffene zu gefährlichen Miskonzeptionen bezüglich ihrer Erkrankung gelangen und wie das Behandlerteam adäquat darauf reagieren kann.

Diagnostik: Unterschiedliche Aussagen einzelner medizinischer Fachkräfte zur Diagnose verunsichern Patienten. Hier sollten sich alle an der Therapie Beteiligten bestmöglich absprechen und im Sinne einer multimodalen Behandlung an einem Strang ziehen.

Prognose: Eine häufige Annahme unter Patienten ist, dass die entzündete Sehne bei Belastung schlimmstenfalls reißen könnte. Den Betroffenen muss durch geeignete Aufklärung klar gemacht werden, dass dies eben nicht der Fall und im Gegenteil Belastung ein Kernelement der Sehnenregeneration ist.

Behandlung: Erreichbare, realistische Ziele motivieren den Patienten zum Dranbleiben. Bewährt haben sich progressive Loading-Programme.

Biopsychosoziale Faktoren der Schmerzwahrnehmung

Wie Schmerz empfunden wird, hängt von einer Vielzahl biopsychosozialer Faktoren ab, die zu unterschiedlichen Anteilen miteinander interagieren. Auch die International Association for the Study of Pain (IASP) hat ihre seit 1979 bestehende Definition endlich dahingehend angepasst und erkennt nun an, dass Schmerzen „… in unterschiedlichem Maße von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren beeinflusst werden.“

Biologische Faktoren

■ Äußere Einflüsse (Rauchen, dysfunktionaler Metabolismus)

■ Medikamenteneinnahme (Fluorchinolone, Kortikosteroide, Statine)

■ Überschießende Entzündungsmechanismen

■ Genetische Prädisposition

■ Überlastung

Psychologische Faktoren

■ Hypervigilanz

■ Selbstwirksamkeit

■ „Aushalten“

■ Angstvermeidung

■ Depression, Angst, Wut

Soziale Faktoren

■ Sozioökonomischer Status

■ Gesellschaftliches Lernen

■ Zugang zu Gesundheitsversorgung

■ Beruf

■ Sprachbarrieren

■ Kulturelle Erwartungshaltungen

■ Bildung

■ Kura L

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Quellen:

  1. Edgar N, Clifford C, O'Neill S, et al. Biopsychosocial approach to tendinopathy. BMJ Open Sport & Exercise Medicine 2022; 8: e001326. doi: 10.1136/bmjsem-2022-001326

  2. Glattacker M, Heyduck-Weides K. Das Common Sense‐Selbstregulationsmodell. Klinische Pflegeforschung. 2016; 2: 34-37. doi:10.6094/KlinPfleg.2.34