Warum sind die Tarahumara-Indianer in Mexiko so leistungsfähige Gebirgslangstreckenläufer?

Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags (Review) aus der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) mit Link zum englischsprachigen Originalartikel und Downloadmöglichkeit als PDF.

Warum sind die Tarahumara-Indianer in Mexiko so leistungsfähige Gebirgslangstreckenläufer?
© Imago / MarcosxFerro

Ziel

Angehörige des Indianerstamms der Tarahumara, die in Nordmexiko zwischen 800 und 2400 m Höhe leben, sind extrem leistungsfähige Läufer auf Gebirgsstrecken zwischen 80 und 300 km Länge. In einer Literaturanalyse wurde untersucht, ob es dafür bekannte Ursachen gibt.

Methodik

Bei einer systematischen Suche wurden 22 Veröffentlichungen mit Bezug zum Thema Leistungsfähigkeit gefunden.

Ergebnisse und Diskussion

Sportphysiologie

Die Tarahumaramänner laufen Strecken bis zu mehreren hundert Kilometern Länge. Auch Frauen sind sehr ausdauernd, wurden aber nicht untersucht. Getestet wurden Strecken zwischen 63 und 78 km (Tabelle). Die Geschwindigkeiten der Sieger waren deutlich höher als bei einem europäischen Gebirgslauf (Mountainman). Es gibt keine Messungen der maximalen Sauerstoffaufnahme mit moderner Methodik, die geschätzten Werte zwischen 41 und 70 ml/(kg*min) bei etwa dreißigjährigen Männern sind z. T. sehr hoch. Die mittlere Intensität während der untersuchten Läufe betrug etwa 70% der geschätzten V˙O2max. Milchsäurekonzentrationen sind nicht bekannt.

Biomechanik

Es wird meist barfuß oder mit dünnen Sandalen gelaufen, dadurch kommt es zum Vorfußlauf mit geringeren Stoßkräften und elastischer Energiespeicherung. Dies und der schlanke Körperbau senken den Energieumsatz. Es ist auch möglich, dass neurodynamische Faktoren wie eine an die Gebirgsbedingungen angepasste Trittfrequenz und die geübte Proprioception den Tarahumara Vorteile bringen.

Zusätzliche Daten

Die überwiegend vegetarische Ernährung enthält viele Kohlehydrate und pflanzliche Eiweiße, wenig Fett und Cholesterin. Die Hämoglobinkonzentration tendiert zu erhöhten Werten. Die Hämoglobinmasse wurde noch nicht gemessen. Die Herzen sind nicht im Sinn eines Sportherzens vergrößert. Der Blutdruck war bei jungen Läufern niedrig.

Genetik

Es gibt keine Genuntersuchungen mit direktem Bezug zu Leistungsfähigkeit und Höhe. Die Ergebnisse sprechen für eine geringe Vermischungen mit europäischen Einwanderern. Es wurden einige Besonderheiten bei für den Muskelstoffwechsel wichtigen Genen beobachtet, aber die funktionelle Bedeutung bleibt unklar. Möglicherweise ist die hohe Motivation zur sportlichen Betätigung nicht nur kulturell, sondern auch genetisch bedingt.

Leistungsvergleich Bergläufe
Vergleich der Leistungen bei den untersuchten Wettkämpfen und einem ähnlichen Berglauf in den Alpen. „Echte Laufgeschwindigkeit größer wegen Unterbrechung aus logistischen Gründen; *=Median; #=Mittelwert. © DZSM 2021

Schlussfolgerungen

Wahrscheinliche Erklärungen für die hohe Ausdauerleistungsfähigkeit sind ähnlich wie bei Kenianern günstige biomechanische Bedingungen und Höhentraining von Kindheit an. Häufiges Training auf Steigungen und wechselnde Wohnhöhen zwischen 500 und 2400 m könnten eine zusätzliche Rolle spielen. Die weitere Klärung der Bedeutung genetischer Eigenschaften und die Messung sportphysiologischer Standardgrößen (Spiroergometrie mit Laktatmessung, Hämoglobinmasse) sind Aufgaben zukünftiger Forschung.

Fazit für die Praxis

Die Daten zeigen, dass schlanker Körperbau und langjähriges Training von Kindesbeinen an auch bei bescheidener, aber kohlehydratreicher Ernährung extreme Ausdauerleistungen ermöglichen.

■ Böning D, Riveros-Rivera A

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