Sportpsychiatrischer und -medizinischer Blick auf traumatische Kopfverletzungen im Leistungssport: Überblick und Empfehlungen
Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags (Review) aus der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) mit Link zum englischsprachigen Originalartikel und Downloadmöglichkeit als PDF.
Nomenklatur der Kopfverletzungen
Sportbezogene Kopfverletzungen sind häufige Ereignisse im Leistungs- und Freizeitsport. Die Nomenklatur ist noch uneinheitlich und es wird vorgeschlagen die mild traumatic brain injury (mTBI) als auf akuten Diagnosekriterien basierend und die sports-related concussion (SRC) als ereignisbezogen und phänomenologisch sowie im Unterschied zur mTBI im Zusammenhang mit sportlicher Aktivität zu verstehen.
Die Auswirkungen von SRC sind häufig nicht nur neurologischer oder neuropsychologischer Natur, sondern auch psychiatrisch, mit einer Vielzahl an Symptomen. Dabei sind die Grenzen zwischen neurologischen und psychiatrischen Symptomen fliessend.
Symptome und Diagnostik
Verschiedene Organisationen kategorisieren die Symptome unterschiedlich. Dies zeigt, dass sich bisher kein einheitliches Klassifikationssystem etabliert hat. Die Diagnosestellung der SRC erfolgt anhand klinischer Untersuchung. Es stehen verschiedene Symptomchecklisten und Assessments für die klinische Diagnostik zur Verfügung, deren Validität begrenzt ist. Dabei haben sich das Sports Concussion Assessment Tool – 5th Edition (SCAT-5) sowie das Child Sport Concussion Assessment Tool 5th Edition (Child-CAT-5) als Untersuchungsinstrument etabliert. An möglichen Biomarkern oder funktionellen Bildgebungsverfahren zur SRC-Diagnostik wird geforscht. Es besteht zunehmende Wachsamkeit gegenüber psychiatrischen Aspekten wie kognitiven, emotionalen und Verhaltensänderungen im Rahmen der SRC und des Post-Concussion Syndroms (PCS).
Sportpsychiatrische Aspekte
Neben komplexen, kausalen SRC-assoziierten Symptomen können auch reaktiv psychische Beschwerden auftreten, ebenso wie soziale Benachteiligung im Rahmen der Genesung nach SRC. Wiederholte SRC gehen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Depression und reduzierter Lebensqualität nach Karriereende einher. Als „unsichtbare Störung“ besteht für Betroffene bei Beschwerdepersistenz das Risiko Opfer von Mobbing im Sport zu werden. Zudem gehen psychische Vorerkrankungen mit einem erhöhten Risiko für PCS einher. Dies macht die Implementierung psychiatrisch-psychotherapeutischer Versorgung der SRC erforderlich.
Ebenso wie bei mTBI und SRC besteht noch keine einheitliche Definition für PCS. Mehrstufige Rehabilitationsstrategien für die Rückkehr verletzter Athleten in den Wettkampf oder in die Schule sind sinnvoll zur Vermeidung erneuter SRC durch zu frühe Rückkehr in den Sport. Als Präventionsmassnahmen finden insbesondere Regeländerungen sowie Aufklärung Anwendung, während sich Schutzausrüstung hingegen nicht zur Vermeidung von SRC eignet. Dabei bedarf es weiterer Forschung zu Schutzfaktoren und Prädiktion von SRC sowie zur Evidenz von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie des PCS.
■ Gonzalez Hofmann C, Fontana R, Parker T, Deutschmann M, Dewey M, Reinsberger C, Claussen MC, Scherr J, Jeckell AS