Sportphysiologie 1949 – 2019
Prof. Dieter Böning, ehemaliger Vorstand des Vereins zur Förderung der Sportmedizin e. V., beleuchtet in seinem Editorial in der Jubiläumsausgabe 12/2019 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) die Entwicklung der Sportphysiologie seit 1949.
Eines der Hauptthemen in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin ist die Sportphysiologie. Bei Muskelarbeit, sowohl einmalig (akut) als auch bei systematischer Wiederholung im Training (chronisch), werden praktisch alle Körperfunktionen und Organsysteme beeinflusst. Die Belastungsformen reichen von Kurzzeit- (z. B. Sprung oder Boxhieb) bis zu extremen Dauerbelastungen (z. B. 1000 km-Lauf) in allen Lebensaltern. Die meisten Untersuchungen betrachten die Muskelfunktion, den Stoffwechsel, die Transportsysteme (Atmung und Kreislauf) und die relevanten nervösen und hormonellen Regulationen.
Die Sportphysiologie ist in großen Teilen auch eine synoptische Wissenschaft: Sie nutzt die Erkenntnisse der Anatomie (z. B. durch Muskelbiopsien), Biochemie, Biomechanik, Genetik u. a., um die Funktionen des Organismus bei und nach Muskelarbeit zu erklären.
Die erste Jahre seit 1949
Zur Zeit der Gründung der Zeitschrift war bereits vieles über den aeroben und anaeroben Stoffwechsel vor allem aus Forschungen von amerikanischen (z. B. D. Van Slyke, D.B. Dill, B. Balke), britischen (z. B. J. S. Haldane, C. G. Douglas), skandinavischen (z. B. A. Krogh, Ch. Bohr, P.O. Astrand, E.H. Christensen, B. Saltin), italienischen (z. B. R. Margaria) und deutschen (z. B. M. Rubner, N. Zuntz, O.H. Warburg, E.A. Müller, H.W. Knipping) Wissenschaftlern bekannt. Ergometrische Methoden (verschiedenste Ergometer, Gasanalyse der in Douglassäcken gesammelten Atemluft) waren etabliert. In den fünfziger Jahren gab es zwei revolutionäre Fortschritte:
1. Die Aufklärung der physiologischen Grundlagen der Erregung nach Membranpotentialmessungen mit intrazellulären Elektroden am Riesenaxon des Tintenfischs und die Korrelation mit Elektrolytverschiebungen (8).
2. Die Gleitfilamenttheorie der Muskelkontraktion, die in meinem Physiologielehrbuch aus dem Jahr 1956 noch gar nicht vorkam (10).
In den folgenden Jahrzehnten erfolgten zahllose methodische Weiterentwicklungen: u. a. kontinuierliche Messungen der Gaskonzentrationen in der Ausatemluft, Messung von Blutgasen, Laktat, COHb und Elektrolyten im Ohrläppchenblut, histochemische Messungen in Muskelbiopsien (Glykogengehalt, Fasertypen, Capillarversorgung (1)), schließlich die Explosion genetischer Analysen.
Den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie erhielten Forscher, die die Regelung der Erythropoetinsekretion und damit der Hämoglobinmasse durch Hypoxia-Inducible-Factors aufklärten. Felduntersuchungen von Herzfrequenz und Atemgasen erfolgten mit immer kleineren tragbaren Geräten, inzwischen liefern die „Wearables“ Daten über die physikalische Leistung ohne Ergometer sowie über Körperfunktionen und Umgebungsbedingungen (13). (Weiter im Text auf der nächsten Seite)