Schwimmer & Werfer: Schulterprobleme bei Überkopf-Sportarten

Schwimmer & Werfer: Schulterprobleme bei Überkopf-Sportarten
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Unter Schwimmern gilt die Schulter als die problematischste Körperpartie, was nicht besonders überrascht: Bis zu 2 500 Arm­zyklen pro Tag bzw. 500 000 bis 800 000 Armzyklen pro Jahr bewerkstelligt ein Profi im Rahmen von Trainings und Wettkämpfen. Als »Nebenwirkung« entstehen häufig Schulterprobleme in Form der sogenannten Schwimmerschulter (4, 5). »Dabei handelt es sich um einen konstruierten Begriff für Erkrankungen, die bei vielen Menschen vorkommen können, aber beim Schwimmer durch die Belastung vermehrt auftreten. Am häufigsten ist das Impingement sowie Sehnenreizungen der Supraspinatussehne, seltener der Infraspinatussehne, des Musculus Teres Major oder der Bizepssehne sowie des Bizepsankers (SLAP-Läsionen)«, erklärt Dr. Volker Dotzel. Der niedergelassene Orthopäde und ehemalige betreuende Arzt der Freiwasserschwimmer in Würzburg hat schon viele Schwimmer mit Schulterproblemen behandelt. Die ersten Untersuchungen des beschriebenen Phänomens in den 1970er-Jahren fanden eine Prävalenz von drei Prozent, aktuelle Literatur dagegen nennt Raten bis zu 91 Prozent (4).

Dr. Volker Dotzel, ehemals betreuender Arzt des Bundesstützpunkts Würzburg der Freiwasserschwimmer und nieder­gelassener Orthopäde
Dr. Volker Dotzel, ehemals betreuender Arzt des Bundesstützpunkts Würzburg der Freiwasserschwimmer und nieder­gelassener Orthopäde © Fränkische Nachrichten

Muskuläre Dysbalance als eine Ursache

Die Schulter ist bekanntlich das Gelenk mit der größten Beweglichkeit, weil das Schulterdach die Bewegung nicht bei 90 Grad begrenzt. Die Stabilisierung des Oberarmkopfes in der »filigranen« Gelenkpfanne wird nur über die Muskulatur der Rotatorenmanschette, also den vier Muskeln der Schulterblattmuskulatur, erreicht. Bei Überkopfaktivitäten, wie sie beim Schwimmen, aber auch beim Werfen und einigen anderen Sportarten typisch sind, kann unter bestimmten physiologischen Voraussetzungen, durch hohe Trainingsbelastung oder unsaubere Technik der Humeruskopf den Schleimbeutel und/oder die darunterliegende Supraspinatussehne »quetschen«, was zu den typischen Schmerzen vor allem auf der Vorderseite des Schultergürtels führt.

Ob die Entstehung wirklich so vereinfacht betrachtet werden kann, wird heute stark diskutiert. Der Grund für diese Verletzung liegt sehr häufig in muskulären Dysbalancen der Muskeln der Rotatoren­manschette. Beim Schwimmer erfolgt der Vortrieb zum überwiegenden Teil durch Innenrotation, wodurch diese Muskeln überdurchschnittlich ausgebildet werden, während ihre Antagonisten weniger trainiert werden. »Es ist wichtig, dass schon ab drei Trainingseinheiten à ca. 1,5 Stunden in einem vorgeschalteten Trockentraining prophylaktisch genau diese Aspekte adressiert werden. Mit dem Theraband lassen sich die Muskeln des oberen Rückens und die Außenrotatoren gezielt kräftigen. Im Wasser muss natürlich auch auf die Technik geachtet werden«, betont Dr. Dotzel.

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Die Handposition beim Eintauchen ist kritisch

Eine ältere Untersuchung hat die Aktivität der beim Schwimmen beteiligten Muskeln beim gesunden und beim schulterschmerzgeplagten Schwimmer verglichen. Besonders die Aktivität von M. subscapularis, M. rhomboideus, Serratus anterior und anteriorem Deltoidmuskel unterschieden sich zum Teil deutlich (6). Die Schwimmtechnik betreffend haben Analysen gezeigt, dass das Eintauchen der Hand beim Freistilschwimmen bei Frauen in den meisten Fällen (70 Prozent) oberhalb der Schulter stattfindet, während Männer in der Regel (80 Prozent) auf Schulterhöhe oder daruntereintauchen (2).

Durch die hohe Lage der Hand im Verhältnis zur Schulter ergibt sich eine maximal ungünstige Stellung für das Gelenk sowie eine verlängerte Zeitspanne in dieser Position. Frauen verbleiben demnach bis zum Beginn des Armzuges 0,28 Sekunden in der Position, während Männer diese bereits nach 0,12 Sekunden beginnen. In der Folge ist auch die Vortriebskraft geringer. Eine hohe Handstellung relativ zur Schulter hat somit mehrere Nachteile: Mehr Anstrengung ist für den Zug nötig, bei jedem Zug werden zwischen 0,1 und 0,3 Sekunden an Zeit verschenkt (was sich negativ auf die Geschwindigkeit auswirkt) und die Schulter steht unter großem Stress. Ein tieferes Eintauchen der Hand und der sofortige Beginn des Armzugs schont somit die Schulter.

Die Analyse zeigt auch, dass besonders Frauen einem erhöhten Risiko für ein Schulterimpingement ausgesetzt sind. Das Impingement beschreibt die schmerzhafte Einklemmung von Weichteilen wie Sehnen, Kapsel­anteilen oder Schleimbeuteln innerhalb eines Gelenkspalts. Dadurch wird die Beweglichkeit des Gelenks eingeschränkt. Frauen leiden im Schnitt zu drei Zeitpunkten während ihrer Schwimmkarriere häufiger unter Schulterbeschwerden: Erstens während der mittleren Adoleszenz (ca. 14 – 15 Jahre), wenn das Körpergewicht zunimmt, die Armkraft daran aber noch nicht angepasst ist. Dann während der späten Adoleszenz (ca. 18 Jahre), wenn erneut eine Diskrepanz zwischen Körpergewicht und der Arm- und Rumpfkraft besteht. Und schließlich mit Anfang bis Mitte 20, wenn die Trainingsumfänge massiv ansteigen. Männer haben nur zwei solche typischen Phasen – während der Wachstumsphase in der Pubertät und um das 20. Lebensjahr herum (1).

Interessanterweise hatte Dr. Dotzel während seiner langjährigen Arbeit mit Schwimmern vorwiegend männliche Patienten mit Schulterproblemen: »Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Das hängt auch nicht mit dem Alter zusammen. Jede Altersgruppe kommt gleich häufig. Spannend ist die Situation beim Wettkampf. Da habe ich Schwimmer erlebt, die im Training keine Probleme hatten, im Wettkampf aber dann Schmerzen und eine Symptomatik an den Tag legten wie Patienten mit kompletten Sehnenabrissen. Das betrifft nicht nur den Supraspinatus, sondern auch den Infraspinatus.« Offenbar befördert die maximale Belastung eine starke Entzündungsreaktion, die in der Trainingsphase nur occult vorhanden war. »Dann helfen kurzfristig nur Medikamente. Viele Athleten sprechen interessanterweise stark auf eine Kombination aus NSAR mit lokalen Injektionen mit einem in der Sportmedizin gerne angewendeten homöopathischen Mittel an«, erklärt Dr. Dotzel seine Beobachtungen.

Die Werferschulter – same same, but different

Auch in anderen Überkopfsportarten bekommen die Athleten Probleme, beispielsweise Werfer, egal ob in der Leichtathletik, in Ballsportarten wie Handball oder beim Tennis. Prof. Dr. Sven Reuter, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Physiotherapeut, betreut als Mannschaftsarzt das deutsche Leichtathletik-Mehrkampfteam: »Für die Beurteilung der Problematik beim Werfer ist die Eingangsanalyse entscheidend, denn das Problem kann verschiedene Ursachen haben.

Wir müssen genau wissen, welche Bewegung oder Position schmerzhaft ist und in welcher Phase der Wurfbewegung die Beschwerden auftreten. Dann können wir anhand eines 5-Punkte-Checks (3) die Ursache eingrenzen.« Die fünf Punkte, die schrittweise betrachtet werden, sind Scapula, Bizepssehne, Rotatorenmanschette, Gelenkkapsel und Gelenkstabilität. »Einem Sportler mit Scapuladyskinesie wird ein Scapula-fokussiertes Trainingsprogramm helfen. Bei der Bizepssehne und der Rotatorenmanschette liegt meist ein koordinatives Problem zugrunde und das Zusammenspiel der Rotatorenmanschette sollte optimiert werden. Auch die Gelenkstabilität hängt damit zusammen. Ist die Gelenkkapsel der Auslöser, müssen die knöchernen Strukturen sowie die Biomechanik genauer beleuchtet werden«, erklärt Prof. Reuter.

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Schulterprobleme – Gute Prognose bei richtigem Training

Grundsätzlich ist die Werferschulter eine Verletzung, die man gut in den Griff bekommt, wenn in der Anamnese die genaue Ursache eruiert wurde und ein für diesen Patienten spezifisches, progressives Trainingsprogramm zusammengestellt wurde. Sowohl die entsprechenden Übungen als auch die Intensität der Belastung muss individuell angepasst werden. Dabei wird bewusst darauf verzichtet, den betroffenen Sportler dauerhaft pausieren zu lassen, vor allem dann, wenn die Beschwerden nicht hochakut sind, sondern bereits seit Längerem bestehen. Zu groß ist die Gefahr, dass die Probleme bei der Rückkehr ins intensive Training durch die mit einer Ruhigstellung verbundene Dekonditionierung der Schulterstrukturen sofort wieder auftreten. »Wir versuchen, den Athleten möglichst ohne Formverlust optimal weitertrainieren zu lassen und die Trainingsbelastung so wenig wie möglich zu beeinflussen. Wir prüfen dazu genau in enger Zusammenarbeit mit dem Trainerteam, welche Bewegungen machbar sind und wo vorübergehend modifiziert werden muss. Bei der klassischen Sportlerschulter muss ein Sportler eigentlich nicht aussetzen«, erläutert Prof. Reuter. Insgesamt ist es heutzutage eine Strategie, die Athleten möglichst konstant auf hohem Niveau trainieren zu lassen, damit Belastungsspitzen, zum Beispiel durch Wettkämpfe oder spezielle Trainingsformen, effektiver kompensiert werden können.

Prof. Dr. Sven Reuter, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Physiotherapeut, Mannschaftsarzt des deutschen Leichtathletik- Mehrkampfteams
Prof. Dr. Sven Reuter, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Physiotherapeut, Mannschaftsarzt des deutschen Leichtathletik- Mehrkampfteams © Reuter

Auch die Prävention hat einen hohen Stellenwert. »Im Wurfsport werden 50 Prozent der Energie über die untere Ex­tremität, 30 Prozent über den Rumpf und nur 20 Prozent über Schultergürtel und Schulter generiert. Je besser die Kraft und Koordination in der kinetischen Kette funktioniert, desto weniger Stress bekommt die Schulter«, betont Reuter. Sportartspezifisch werden daher im Hochleistungssport die Bereiche Kraft, Stabilität, dynamische Stabilität und Bewegungskontrolle geschult. »Verletzungen der Schulter sind oft sekundär, weil es Schwachstellen in der kinetischen Kette gibt«, so Reuter. »Im Hochleistungsbereich wird von vielen Trainern darauf geachtet, dass die Schwimmer nicht einseitig trainieren«, erklärt Dotzel. Und weiter: »Schwieriger ist es auf Landesebene. Man kann den Trainern keinen Vorwurf machen, denn sie haben es selbst nicht besser gelernt, aber hier gibt es bei den Sportlern große Defizite und man könnte viel verbessern.«

Therapie – aktiv statt passiv

Das wichtigste therapeutische Element – egal ob bei Schwimmern oder Werfern – bildet die spezifische Trainingstherapie. »Mit einem progressiven und individuell angepassten Training, einem Belastungsmanagement und der Abstimmung mit den Trainern kann man nach meiner Erfahrung die Sportlerschulter sehr gut behandeln. Unterstützend kann unter Umständen die Neuromuskuläre Elektrische Stimulation und klassische manuelle Therapie angewendet werden. Stoßwellen setze ich an der Schulter seltener ein und für PRP/ACP an der Schulter gibt es derzeit zu wenig Wirkungsnachweise«, schildert Reuter sein Vorgehen.

Hochleistungsathleten zeigen immer wieder, zu welchen Leistungen der Mensch trotz seiner physiologischen Limitationen in der Lage ist. Sportmediziner, Trainer und Physiotherapeuten können die Athleten dabei unterstützen, die biomechanischen Belastungen bei repetitiven Überkopfbewegungen möglichst dauerhaft verletzungsfrei durchführen zu können.

■ Hutterer C

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Quellen:

  1. Becker TJ. Overuse Shoulder Injuries in Swimmers. J Swimming Research. 2011; 18.

  2. Becker TJ, Havriluk R. Freestyle Arm Entry Effects on Shoulder Stress, Force Generation, and Arm Syncronization. XIIth International Symposium for Biomechanics and Medicine in Swimming. 2014.

  3. Beitzel K, Reuter S, Imhoff AB, Braun S. Die Sportlerschulter: Der 5-Punkte-Check zum Therapieerfolg. Dtsch Z Sportmed. 2016; 67: 103-110. doi:10.5960/dzsm.2016.226

  4. De Martino I, Rodeo SA. The Swimmer's Shoulder: Multi-directional Instability. Curr Rev Musculoskelet Med. 2018; 11: 167-171. doi:10.1007/s12178-018-9485-0

  5. Rudolph K. Wege zum Topschwimmer, Band 3: Hochleistungstraining. Hofmann. 2014.

  6. Scovazzo ML, Brown A, Pink M, Jobe FW, Kerrigan J. The painful shoulder during freestyle swimming. An electromyographic cinematographic analysis of twelve muscles. Am J Sports Med. 1991; 19: 577-82.