Neurodegeneration durch concussionbedingt reaktivierte Herpesviren?

Neurodegeneration durch concussionbedingt reaktivierte Herpesviren?
© sokolova_sv / Adobe Stock

Wiederholte Schläge gegen den Kopf sind in vielen Sportarten ein mehr oder weniger kalkuliertes Risiko. Neben den akuten Folgen einer Gehirnerschütterung haben sie bekanntlich auch das Potenzial, auf lange Sicht neurodegenerativen Erkrankungen Vorschub zu leisten. Eine aktuelle Studie britischer und US-amerikanischer Forscher liefert nun neue Hinweise auf einen potenziellen Mechanismus hinter dieser besorgniserregenden Verbindung: die Reaktivierung latenter Herpesviren (1).

Das Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) und das verwandte Varizella-Zoster-Virus (VZV) sind weit verbreitet: Die Durchseuchung in der Bevölkerung liegt weltweit bei über 80 bzw. 95 Prozent. Beide Virenarten können ins Gehirn gelangen und dort über Jahre oder Jahrzehnte in Neuronen und Gliazellen ruhen. Durch „Lücken“ im Immunsystem, etwa bei Stress, extremer körperlicher Belastung oder Schlafmangel, ist eine Reaktivierung jederzeit möglich. Bereits frühere Untersuchungen an dreidimensionalen menschlichen In-vitro-Gehirnmodellen hatten darauf hingedeutet, dass latentes HSV-1 reaktiviert wird, wenn neuronales Gewebe durch den Kontakt mit anderen Krankheitserregern in Inflammation gerät. Zu den neurodegenerativen Prozessen, die dadurch in Gang gesetzt werden, gehören auch die für Alzheimer-Erkrankungen typischen Amyloid-Plaques. Traumatische Hirnverletzungen verursachen ebenfalls Neuroinflammation, weshalb das Studienteam vermutete, dass Hirnverletzungen latente Herpesviren in ähnlicher Weise reaktivieren könnten.

In der vorliegenden Studie simulierten die Forscher mit einem speziellen In-vitro-Gehirnumgebungsmodell (schwammartiges Material aus Seidenprotein und Kollagen, durchsetzt mit neuralen, zu adulten Gliazellen sowie Neuronen heranwachsenden Stammzellen, die Axone und Dendritenfortsätze ausbilden und ein Netzwerk bilden) eine Gehirnerschütterung. Ein Teil der Proben enthielt ruhendes HSV-1, andere nicht. Nach einer mechanischen Stimulation, die eine Kopfverletzung nachahmt, zeigte sich mikroskopisch, dass in HSV-1-haltigen Gewebemodellen das Virus zeitnah reaktiviert wurde und neurodegenerative Prozesse auslöste. Es bildeten sich Plaques von Amyloid und phosphoryliertem Tau (p-Tau) sowie Entzündungsherde und aktivierte Gliose, die bekanntlich zu destruktiver Neuroinflammation führt. Wiederholte Schädigungen verstärkten diese Effekte. Virusfreie Gewebemodelle blieben, abgesehen von leichter Gliose, trotz der Stimulation weitgehend intakt.

Die Studienergebnisse bieten ein faszinierendes Erklärungsmodell für die Verbindung zwischen Kopftraumata und späteren neurodegenerativen Erkrankungen. Erstmals liegen experimentelle Belege dafür vor, dass eine mechanische Belastung des Gehirns ruhende Herpesviren reaktivieren kann – mit potenziell verheerenden Langzeitfolgen. Sollten sich diese Erkenntnisse in klinischen Studien bestätigen, könnten antivirale Therapien eine neue Dimension in der Behandlung und Prävention der Langzeitfolgen von sport- und unfallbedingter Concussion eröffnen.

■ Kura L

Quellen:

  1. Cairns DM, Smiley BM, Smiley JA, Khorsandian Y, Kelly M, Itzhaki RF et al. Repetitive injury induces phenotypes associated with Alzheimer's disease by reactivating HSV-1 in a human brain tissue model. Sci Signal. 2025; 18: eado6430. doi:10.1126/scisignal.ado6430