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Fortsetzung Problemzone Beckenboden: Inkontinenz bei Sportlerinnen

Sprünge und Drehungen: Schwerst­arbeit für den Beckenboden

Für die Kontrolle über den Urin- und Stuhlabgang ist maßgeblich die Beckenbodenmuskulatur verantwortlich. Im weiblichen Becken stützt nur diese Muskelgruppe die Organe im Beckenbereich nach unten. »Die Beckenbodenmuskulatur ist eine der wenigen Muskelgruppen, welche trotz der hohen Bedeutung keine äußerlich sichtbare Bewegung ausführen kann. Sie muss bei belastenden Bewegungen automatisch mit anspannen«, erklärt Prof. Dr. Birgit Schulte-Frei, Dekanin des Fachbereichs Gesundheit & Soziales an der Fresenius Hochschule in Köln, die sich seit mehr als 20 Jahren mit Inkontinenz bei Sportlerinnen beschäftigt.

Die genauen Ursachen für die Inkontinenz sind noch nicht aufgeklärt. Lange Zeit ging man davon aus, dass die Belastung durch Sport den Beckenboden kräftigt. Teilweise scheint dies tatsächlich zuzutreffen, denn Sportlerinnen haben fast durchgehend eine starke Beckenbodenmuskulatur (5). Allerdings findet die Kräftigung ungesteuert statt, so dass viele Frauen dennoch Urin verlieren. Bei Leistungssportlerinnen tritt diese Inkontinenz jedoch ausschließlich während der Ausübung ihrer Sportart auf, etwa in extrem belastenden Trainingssituationen oder Wettkämpfen. Im Normalfall sind die Frauen gynäkologisch und urologisch gesund und es handelt sich »nur« um eine temporäre Überbeanspruchung.

Dies betrifft im Übrigen nicht nur Leistungssportlerinnen, sondern auch Frauen, die eine High-Impact-Sportart freizeitmäßig betreiben. Bei einem postulierten Trainingseffekt durch Belastung auf den Beckenboden sollte das nicht im beobachteten Ausmaß passieren. Wahrscheinlicher ist, dass der erhöhte intra­abdominale Druck durch Sprünge, Drehbewegungen oder intensiven Kraftsport in Kombination mit der Bodenreaktionskraft zu einer Dehnung und Überbeanspruchung, nicht aber zu einer generellen Schwächung des Beckenbodens führt. Dafür spricht auch, dass Athletinnen nur während des Trainings oder Wettkampfs Urin verlieren, nicht aber bei alltäglichen Belastungen, die für inkontinente Nicht­sportlerinnen bereits kritisch sind.

Unwissenheit auf breiter Basis

Problematisch ist, dass zwar sehr viele Sportlerinnen unter Inkontinenz leiden, es sich aber um ein Tabuthema handelt. Die Unwissenheit erstreckt sich dabei nicht nur auf Athletinnen selbst, sondern auch auf alle potenziellen Ansprechpartner: Trainer, Physiotherapeuten, Sportmediziner und Gynäkologen. Nur etwa jede zehnte Frau spricht das Thema beispielsweise beim gynäkologischen Check-up an. »Frauenärzte sind zwar mit ,normaler‘ Inkontinenz gut vertraut, aber nicht mit dem Bezug zwischen sportlicher Leistungsfähigkeit und Urinverlust. Die öfter geäußerte Empfehlung, die Belastungen zu reduzieren oder auf einen beckenbodenschonenderen Sport umzusteigen, hilft den Athletinnen nicht weiter«, erklärt Prof. Schulte-Frei. Auch klassisches Beckenbodentraining ist nur bedingt hilfreich, doch dazu später mehr.

Die jungen Frauen stehen also mit dem Problem weitgehend alleine da. Sie wissen nicht, ob das normal ist oder was sie dagegen unternehmen könnten. Sie fühlen sich unwohl, es ist ihnen peinlich und so behelfen sie sich damit, weniger zu trinken, häufiger auf die Toilette zu gehen, Einlagen oder Inkontinenzpads zu verwenden oder dunkle Kleidung zu tragen. Selbst unter Sportlerinnen haben viele kein Wissen über den Beckenboden, seine Funktion und die Notwendigkeit, ihn zu trainieren. Aus Untersuchungen in der Allgemeinbevölkerung ist bekannt, dass etwa 30 Prozent der Frauen ihre Beckenbodenmuskulatur auch nach intensiver Anleitung nicht ansteuern können. »Ich sehe keinen Grund, warum das bei Sportlerinnen anders sein sollte«, vermutet Prof. Schultz-Lampel.

Prof. Dr. Birgit Schulte-Frei, Dekanin des Fachbereichs Gesundheit & Soziales
Prof. Dr. Birgit Schulte-Frei, Dekanin des Fachbereichs Gesundheit & Soziales, Fresenius Hochschule Köln © Tom Trambow
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