Wissenslücken und Perspektiven in der Regenerationsforschung
Editorial der DZSM Ausgabe 2/2025. Diese Ausgabe widmet sich der Bedeutung von Trainingsqualität und Regenerationsstrategien zur Optimierung der Leistungsfähigkeit im Sport. Trotz zahlreicher Studien bleiben viele Fragen zu Wirksamkeit, Timing und Mechanismen von Regenerationsmaßnahmen offen. Künftige Forschung sollte individuelle Unterschiede stärker berücksichtigen und technologische Entwicklungen nutzen, um evidenzbasierte und praxisnahe Erholungsstrategien weiter zu optimieren.
Die Sicherstellung einer hohen Trainingsqualität zur Erreichung einer hohen Trainingseffektivität war schon immer ein zentrales Anliegen der Trainingswissenschaft und -praxis. In den letzten Jahren hat sich dieser Fokus insbesondere im Spitzensport auf zusätzliche Strategien ausgeweitet, die darauf abzielen, die Leistung zu steigern. Ein wichtiger Aspekt ist die verstärkte Betonung der Optimierung der Regeneration, um ein Gleichgewicht zwischen Belastung und Erholung aufrechtzuerhalten und so Überlastungen zu verhindern. Das langfristige Ziel besteht darin, eine positive Leistungsentwicklung zu fördern, indem Trainings- oder Wettkampfbelastungen unter Berücksichtigung des aktuellen Ermüdungs- und Leistungsstands des Athleten strategisch geplant und durchgeführt werden, während gleichzeitig durch verschiedene Regenerationsinterventionen die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit unterstützt wird (1).
Im Bereich der Regenerationsinterventionen sehen sich Athleten, Trainer und Therapeuten zunehmend mit einer wachsenden Zahl von Methoden und Trends konfrontiert, von denen viele keinen klaren wissenschaftlichen Nachweis besitzen. Trotz des Fehlens nachgewiesener Wirksamkeit haben einige angeblich leistungssteigernde Produkte und Technologien ihren Weg in die Trainingsroutinen von Athleten gefunden, häufig angetrieben durch effektives (Social Media) Marketing sowie unbewiesene und pseudowissenschaftliche Behauptungen.
Während Tiller et al. (2) verschiedene Strategien vorschlagen, um Pseudowissenschaft und der Verbreitung von Desinformationen im Sport- und Fitnessbereich entgegenzuwirken, bleibt eine der entscheidendsten Anstrengungen die fortgesetzte Planung und Durchführung qualitativ hochwertiger Forschung. Diese Ausgabe des German Journal of Sports Medicine mit ihren vielfältigen wissenschaftlichen Beiträgen zu verschiedenen Aspekten von Leistung und Regeneration soll diese Bemühungen unterstützen.
Neben Ernährung und Schlaf als grundlegende und wohl relevanteste Komponenten einer effektiven Regeneration zählen zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel, Arzneimittel und Kosmetika sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, psychologische Maßnahmen, Kompressionsbekleidung, Selbst- und Fremdmassagen sowie verschiedene geräteunterstützte Regenerationsmethoden wie Massagepistolen, Kompressionsmassagegeräte oder Lichttherapiegeräte zu den derzeit am weitesten verbreiteten ergänzenden Regenerationsmaßnahmen.
Forschungslücken und Herausforderungen
Obwohl in den letzten zwei Jahrzehnten eine große Zahl an Originalstudien, Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen zu den Effekten von Regenerationsinterventionen veröffentlicht wurde, ist die Gesamtbewertung ihrer Wirksamkeit oft unklar oder unsicher, wobei oft große interindividuelle Unterschiede in Bezug auf die Wirksamkeit bestehen. Es bleiben trotz der zahlreichen bereits durchgeführten Studien viele Forschungslücken und Herausforderungen. Zu diesen gehören insbesondere:
Es sind erhebliche Fragen hinsichtlich der zugrundeliegenden zellulär-molekularen Wirkmechanismen von Regenerationsmaßnahmen offen
Während überzeugende und teils sehr detaillierte Wirktheorien zu einer Vielzahl von Regenerationsinterventionen existieren, mangelt es an Grundlagenforschung, die die vermuteten Effekte direkt beobachtet und mit geeigneten Messmethoden validiert. Die Mehrheit der bisher veröffentlichten Daten konzentriert sich ausschließlich auf die indirekten Effekte von Regenerationsinterventionen auf Parameter wie sportartspezifische Leistungsfähigkeit, neuromuskuläre Funktion, Herzfrequenz und Herzfrequenzvariabilität, subjektive Erschöpfung und/oder Schlaf.
Für die meisten ergänzenden Regenerationsinterventionen ist die optimale Regenerationsdosis unklar und wurde bisher weitgehend auf theoretische und praktische Überlegungen gestützt
Es gibt zwar einige Ausnahmen wie eine systematische Übersicht von Machado et al. (4), die zeigt, dass 11-15 Minuten Kaltwasserimmersion bei 11-15°C am effektivsten ist, um Muskelschmerzen zu verringern, doch das Gesamtverständnis bleibt begrenzt. Speziell besteht ein dringender Bedarf, die optimale Regenerationsdosis für verschiedene Outcomes über alle Regenerationsinterventionen hinweg zu klären. Darüber hinaus betrifft dieser Bedarf auch die Wirksamkeit sowie die möglichen Wechselwirkungen von Erholungseffekten, wenn mehrere Erholungsmaßnahmen miteinander kombiniert werden – ein Ansatz, der im Sport häufig praktiziert wird (z. B. die Kombination von Kälte- und Wärmeanwendungen).
Inwieweit die Wirksamkeit von Regenerationsinterventionen vom Zeitpunkt ihrer Anwendung abhängt, ist für viele Szenarien unerforscht
Beispielsweise beschreiben Kwiecien und McHugh in ihrem Artikel (5), dass Kryotherapie nur dann wirksam ist, um sekundäre Muskelschäden und folglich die Schwere der Muskelschmerzen zu verringern, wenn sie so schnell wie möglich nach der initialen Schädigungsreaktion angewendet wird, wobei insbesondere die Anwendung innerhalb der ersten 24 Stunden nach intensiver körperlicher Aktivität im Fokus steht. Das optimale Timing für die Anwendung von Wärmetherapien oder Massagen bleibt bis dato jedoch völlig unklar.
Die Untersuchung der Rolle des Placebo-Effekts im Kontext der Regenerationsforschung bleibt ein wichtiges Forschungsdesiderat
Die bemerkenswerten Erfolge einiger Regenerationsinterventionen sind weitgehend auf ihre subjektiv empfundenen Effekte zurückzuführen, die oft deutlich ausgeprägter sind als die objektiv gemessenen Effekte. Viele ergänzende Regenerationsmaßnahmen führen zumindest zu einer vorübergehenden Schmerzlinderung sowie einer Verbesserung von Wohlbefinden und/oder Körperwahrnehmung. Mit wenigen Ausnahmen, wie der Studie von Wilson et al. (6) (hier wurde zu den zwei Regenerationsinterventionen eine Placebo-Intervention durchgeführt, bei der eine Gruppe Pillen aus Maisstärke erhielt, den Teilnehmern aber mitgeteilt wurde, dass es sich um Aminosäurenpillen handele, die eine Erholung beschleunigen könnten) bleibt jedoch weitgehend unerforscht, inwieweit die Wirkungen von Regenerationsinterventionen auf tatsächliche oder auf Placebo-Effekte zurückzuführen sind.
Ausblick
Zukünftige Forschung sollte individuelle Erholungsreaktionen auf spezifische Regenerationsmaßnahmen in den Blick nehmen (7). Unter Berücksichtigung evidenzbasierter Empfehlungen, individueller Vorlieben des Athleten und genereller Machbarkeit in der Praxis können dann verschiedene Regenerationsmaßnahmen ausgewählt werden, um eine möglichst optimale Leistungsprogression zu unterstützen. Technologische Fortschritte, wie die Weiterentwicklung von Sensoren und mobilen Gesundheitsapps könnten zukünftig dazu beitragen, Erholungsstrategien noch zielgenauer auf das psychophysiologische Profil eines Athleten zu adjustieren sowie die Adhärenz zu Erholungsprotokollen zu optimieren, wenn beispielsweise an Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme oder andere Erholungsmaßnahmen erinnert und ein direktes Biofeedback ermöglicht wird (8).


■ Wiewelhove T, Brinkmann Christian
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Quellen:
Wiewelhove T, Schneider C, Kellmann M, et al. Recovery management in sport: Overview and outcomes of a nine-year multicenter research program. International Journal of Sports Science & Coaching. 2024; 19: 1223-1233. doi:10.1177/17479541241227527
Tiller NB, Sullivan JP, Ekkekakis P. Baseless Claims and Pseudoscience in Health and Wellness: A Call to Action for the Sports, Exercise, and Nutrition-Science Community. Sports Med. 2023; 53: 1-5. doi: 10.1007/s40279-022-01702-2
Ihsan M, Watson G, Abbiss CR. What are the Physiological Mechanisms for Post-Exercise Cold Water Immersion in the Recovery from Prolonged Endurance and Intermittent Exercise? Sports Med. 2016; 46: 1095-1109. Linkname
Machado AF, Ferreira PH, Micheletti JK, et al. Can Water Temperature and Immersion Time Influence the Effect of Cold Water Immersion on Muscle Soreness? A Systematic Review and Meta-Analysis. Sports Med. 2016; 46: 503-514. doi:10.1007/s40279-015-0431-7
Kwiecien SY, McHugh MP. The cold truth: the role of cryotherapy in the treatment of injury and recovery from exercise. Eur J Appl Physiol. 2021; 121: 2125-2142. doi:10.1007/s00421-021-04683-8
Wilson LJ, Dimitriou L, Hills FA, Gondek MB, Cockburn E. Whole body cryotherapy, cold water immersion, or a placebo following resistance exercise: a case of mind over matter? Eur J Appl Physiol. 2019; 119: 135-147. doi:10.1007/s00421-018-4008-7
Heinke L, Javanmardi S, Rappelt L, et al. Comparison of the effects of cold water immersion and percussive massage on the recovery after exhausting eccentric exercise: A three-armed randomized controlled trial. Front Physiol. 2024; 15: 1432009. doi:10.3389/fphys.2024.1432009
Wang L, Meng Q, Su CH. From Food Supplements to Functional Foods: Emerging Perspectives on Post-Exercise Recovery Nutrition. Nutrients. 2024; 16: 4081. doi:10.3390/nu16234081