Typ-1-Diabetes und Sport: maschinelles Lernen optimiert Insulindosierung
Die Blutzuckereinstellung bei Typ-1-Diabetes stellt Patienten, die gerne trainieren, vor zusätzliche Herausforderungen. Erfolgt nach Mahlzeiten aerobes Training, muss weniger Insulin zugeführt werden als üblicherweise. Sind Mahlzeiten fettreich, wird hingegen mehr Insulin benötigt. Ein Forscherteam aus Kanada und den USA analysierte nun, inwiefern maschinelles Lernen dazu beitragen kann, die Insulingabe individuell optimal zu dosieren. Die Ergebnisse der 16-wöchigen Studie sprechen dafür, dass das System zur Entscheidungsunterstützung mit verstärktem Lernen und Nutzung einer Smartphone-App sowohl Hyper- als auch Hypoglykämien vorbeugen (3) und dadurch mehr Sicherheit beim Sport und beim Verzehr fettreicher Speisen bieten kann.
Wieso Typ-1-Diabetiker Entscheidungsunterstützung brauchen
Regelmäßige Bewegung ist bei Typ-1-Diabetes mit einer geringeren Sterblichkeit, einer Verringerung der kardiovaskulären Risikofaktoren und besseren HbA1c-Werten assoziiert ist (2, 5). Viele Typ-1-Diabetiker vermeiden jedoch Sport, weil sie wissen, dass sie durch aerobes Training (z. B. Laufen, Schwimmen und Radfahren) in eine Hypoglykämie fallen können (4). Fettreiche Mahlzeiten verzögern Studien zufolge den akuten Anstieg des Blutzuckerspiegels, was möglicherweise auf eine verzögerte Magenentleerung zurückzuführen ist und zu einer anhaltenden Hyperglykämie führen kann (1). In diesen Studien wird auch berichtet, dass fettreiche Mahlzeiten zu einem geringeren Anstieg des Glukosespiegels in der frühen postprandialen Phase führen, was möglicherweise eine Hypoglykämie unmittelbar nach dem Essen nach sich zieht (1). Die Anpassung der Insulindosis ist ein Weg, Hypo- und Hyperglykämien vorzubeugen, doch der Insulinbedarf schwankt individuell und die richtige Dosis zu bestimmen gestaltet sich herausfordernd.
Unterstützungssystem mit App für erwachsene Typ-1-Diabetiker
Von Juli 2021 bis Oktober 2022 lief eine nicht-kontrollierte Studie mit 15 erwachsenen Teilnehmern, darunter sechs Frauen. Alle hatten seit mehreren Jahren Typ-1-Diabetes und erhielten eine sensorgestützte Dosieraerosol-Therapie. Die Basalinjektionen eines langwirksamen Insulins wurden mit Bolusinjektionen eines schnell wirkenden Insulins zu den Mahlzeiten ergänzt. Um diese Bolusinjektionen in Verbindung mit fettreichen Mahlzeiten und/oder Sport nach dem Essen zu optimieren, machten die Wissenschaftler die Probanden mit einem fortschrittlichen Entscheidungsunterstützungssystem vertraut. Es nutzt zwei Algorithmen für verstärkendes Lernen: einen Multi-Agent-Algorithmus, um die Dosis für fettreiche Mahlzeiten und sportartspezifische Trainingseinheiten anzupassen, sowie einen Single-Agent-Algorithmus zur Berechnung des Kohlenhydratverhältnisses und des langwirkenden Basalinsulins.
Alle Teilnehmer nutzten fortan eine App namens iBolusV2 zu den Mahlzeiten und das System lernte durch die Eingaben der Teilnehmer stetig dazu. Die Insulindosis-Empfehlungen der iBolusV2-App für fettreiche Mahlzeiten und solche mit anschließendem Sport wurden in 88 Prozent bzw. 87 Prozent der Fälle befolgt.
Verbesserte Kontrolle nach Bewegung und fettreichen Mahlzeiten
14 Teilnehmer schlossen die 16-wöchige Studie ab – in keinem Fall kam es zu unerwünschten Ereignissen. Neun von ihnen trainierten nach Mahlzeiten regelmäßig im aeroben Bereich. Die inkrementelle Fläche unter der Glukosespiegelkurve konnte bei ihnen im Untersuchungszeitraum in den fünf Stunden nach den Mahlzeiten um 133 Prozent verbessert werden (–395 ± 192 gegenüber 132 ± 181 mmol/L/min, P = 0,007). Innerhalb dieses Zeitraums wurde die anteilige Zeit mit Glukosespiegeln unter 3,9 mmol/L um 73 Prozent reduziert (5,3 ± 1,2 vs. 1,4 ± 1,1, P = 0,003). Insgesamt benötigten die Teilnehmer während des Bewertungszeitraums im Vergleich zum Ausgangswert weniger Insulin zu den Mahlzeiten (8,0 ± 1,4 gegenüber 10,0 ± 1,3, P < 0,001). Die trainingsabhängigen Bolusdosen zu den Mahlzeiten konnten um bis zu 53 Prozent reduziert werden.
Zehn Teilnehmer speisten fettreich und durchliefen daher eine entsprechende App-gestützte Insulinbolus-Anpassung. Auch hier wurden mithilfe des Entscheidungsunterstützungssystems bessere Werte unter der postprandialen Glukosespiegelkurve erreicht und der Zeitraum mit Glukosespiegeln unter 3,9 mmol/L reduzierte sich. Auffällig war, dass die nötigen Insulinanpassungen bei Sport bzw. fettreichen Mahlzeiten stark variierten. Doch gerade das spricht nach Ansicht der Studienautoren für ein Entscheidungsunterstützungssystem mit verstärktem Lernen. Das getestete System hat sein Potenzial gezeigt, so das Fazit der Forscher – nun sind die Ergebnisse in breit angelegten, randomisiert- kontrollierten Studien zu überprüfen.
■ Plaum P
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Quellen:
Bell KJ et.al. Impact of fat, protein, and glycemic index on postprandial glucose control in type 1 diabetes: implications for intensive diabetes management in the continuous glucose monitoring era. Diabetes Care. 2015; 38:1008-1015. doi:10.2337/dc15-0100
Bohn B, Herbst A, Pfeifer M, Krakow D, Zimny S, Kopp F, Melmer A, Steinacker JM, Holl RW; DPV Initiative. Impact of Physical Activity on Glycemic Control and Prevalence of Cardiovascular Risk Factors in Adults With Type 1 Diabetes: A Cross-sectional Multicenter Study of 18,028 Patients. Diabetes Care. 2015 Aug;38:1536-1543. doi:10.2337/dc15-0030
Jafar A, Kobayati A, Tsoukas MA, Haidar A. Personalized insulin dosing using reinforcement learning for high-fat meals and aerobic exercises in type 1 diabetes: a proof-of-concept trial. Nat Commun. 2024 Aug 3; 15: 6585. doi: 10.1038/s41467-024-50764-5
Riddell MC et al. Exercise management in type 1 diabetes: a consensus statement. Lancet Diabetes Endocrinol. 2017; 5: 377-390. doi:10.1016/S2213-8587(17)30014-1. Erratum in: Lancet Diabetes Endocrinol. 2017; 5: e3. doi:10.1016/S2213-8587(17)30086-4
Sluik D et al. . Physical Activity and Mortality in Individuals With Diabetes Mellitus: A Prospective Study and Meta-analysis. Arch Intern Med. 2012 Sep 24; 172:1285-1295. doi:10.1001/archinternmed.2012.3130