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Extremsport – zwischen Todesangst und totaler Euphorie

Extremsportler begeben sich immer wieder aufs Neue in lebensgefährliche Situationen. Warum ist das so?

Extremsport – zwischen  Todesangst und totaler Euphorie
© sindret/fotolia

Reinhold Messner zählt sicher zu den bekanntesten Extremsportlern der Welt. In seiner aktiven Zeit brach er bis dahin nicht für möglich gehaltene alpine Rekorde. Dennoch kehrte er bei seinen ersten beiden Versuchen, den Nanga Parbat (8.125 m) im Alleingang zu besteigen, um – aus Angst. In seinem Buch »Alleingang Nanga Parbat« beschreibt er seine Gefühlswelt so: »Die ganze Verzweiflung, ich selbst zu sein, wirbelt durch meinen Körper. Obwohl ich mir nicht erklären kann, was meine Panik ausgelöst hat, hält der Zustand der Furcht an: der Furcht, da zu sein; der Furcht, weiterzumachen; der Furcht, überhaupt ein Mensch zu sein. Es ist nicht die Furcht vor dem Absturz, die mich lähmt; es ist, als ob ich mir in diesem Alleinsein verlorenginge« (1).

Höchstwahrscheinlich hat diese Angst, und vor allem die Auseinandersetzung mit ihr, Reinhold Messner mehr als einmal das Leben gerettet. Wenngleich er immer betont (hat), dass es ihm bei seinen Projekten und Expeditionen nicht um die Vermarktung und Medien­wirksamkeit gehe, so ist er, gewollt oder ungewollt, ein Vorreiter des existenzialistischen Extremsports geworden.

No Big Deal

Auch der US-Amerikaner Alex Honnold hat manchmal Angst. Zumindest sagt er das. Er ist der weltbeste Free-Solo-Kletterer (2), das heißt, er klettert hunderte bis tausend Meter hohe Felswände ohne Sicherung. Jeder Fehlgriff, jeder Fehltritt bedeutet den sicheren Tod. Honnold, der in der Szene den Spitznamen »No Big Deal« trägt, weil er beinahe jede seiner extremen Besteigungen so kommentiert, wurde kürzlich mit Bildern und Aufgaben konfrontiert, die normalerweise das Angst- und das Belohnungszentrum stark aktivieren. Dabei wurde seine Hirnaktivität in einem fMRI untersucht. Doch bei Alex Honnold wurde absolut keine Reaktion in der Amygdala oder im Frontalcortex festgestellt.

Sensation seeking – die Suche nach Stimulation

Das Phänomen, ständig auf der Suche nach neuen und extremen Erfahrungen zu sein und ohne eine solche Aktivität Langeweile zu empfinden, wird als »sensation seeking« bezeichnet. So genannte High Sensation Seeker (HSS) stürzen sich beim Basejumpen oder im Wingsuit von hohen Felswänden, suchen den Geschwindigkeitsrausch beim Skifahren oder Mountainbiken oder begeben sich in extreme Landschaften, um sich beim Klettern an Felswänden oder mit dem Kajak in reißenden Flüssen zu messen. Angst ist dabei ein wichtiger und sinnvoller Begleiter, den es zu beachten und zu kontrollieren gilt. Alex Honnold gilt nach Tests als Very High Sensation Seeker, wenngleich man dem coolen Typen das nicht anmerkt. Erstaunlicherweise ist er noch am Leben. Denn High Sensation Seeker spielen regelmäßig mit selbigem.

Prof. Dr. Dr. Jürgen Beckmann, Sport- psychologe an der TU München © Beckmann

Kompetenz zur Risikominimierung

»Wenn man sich in eine Aktivität begibt, die die volle Kapazität und Aufmerksamkeit verlangt, dann heißt das auch, dass man die Grenzen austestet und sich an der Grenze zum Scheitern befindet. Das verursacht auch Angst. Entscheidend ist, wie damit umgegangen wird« , erklärt Prof. Dr. Dr. Jürgen Beckmann vom Lehrstuhl für Sportpsychologie der Technischen Universität München. Hochleistungssportler erwerben neben den körperlichen und bewegungsspezifischen Kompetenzen auch Wege, mit Nervosität, Überreaktivität und Angst umzugehen. »Im Vorfeld eines Ereignisses ist es wichtig, diffusen Ängsten den Schrecken zu nehmen. Ich als Sportpsychologe unterstütze die Athleten dabei, die angsteinflößende Gesamtsituation, beispielsweise eine anspruchsvolle Skiabfahrt, in einzelne Segmente zu zerlegen und für jedes Segment zu ergründen, welche Ressourcen der Sportler zur Verfügung hat, um das Risiko zu beherrschen oder zu gestalten«, erläutert Prof. Beckmann ein mögliches Vorgehen. Und weiter: »Es geht nicht darum, dem Athleten die Angst zu nehmen!«

Auch Reinhold Messner versuchte immer, das Risiko – soweit möglich – zu minimieren: Höhenbergsteiger gingen dorthin, wo man umkommen könnte, um nicht umzukommen. Das Nichtumkommen ist die Kunst, so Messner. Auch ein Basejumper wird von sich behaupten, das Risiko möglichst gering halten zu wollen, doch hier liegt es in der Natur der Sache, dass das verbleibende Restrisiko extrem hoch ist. Die Lebensspanne in diesem Sport beträgt im Durchschnitt sechs Jahre. Dann bekommt ein Basejumper entweder Angst und hört auf, hat sich ernsthaft verletzt oder ist tot.