Bergsteiger als Kameradenretter – mangelnde Erste Hilfe-Kenntnisse und minimale technische Anforderungen
Hintergrund & Ziele
Über Jahrzehnte wurden Bergsteiger in der Sportmedizin falsch beraten, es wurde davon ausgegangen, dass das Unternehmen wie geplant abläuft. Über die Rahmenbedingungen bei Notfällen lagen keine Daten vor. Ähnliches gilt für die organisierte Bergrettung: Auch hier waren alle Konzepte für Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz außerordentlich dürftig. Die Arbeit gibt einen Überblick über den aktuellen Stand des Wissens bezüglich der bei Rettungsmaßnahmen einwirkenden Risikofaktoren und das Mindestmaß an körperlicher Leistungsfähigkeit und alpinistischer Fähigkeiten.
Alpinistische Fähigkeiten und körperliche Fitness
Eine detaillierte Analyse von fast 3000 Notfallsituationen zeigte, dass Bergretter zumindest Felsschwierigkeiten des UIAA Grades III sowie 50° steiles Eis sicher beherrschen müssen. Unter „sicher beherrschen“ ist zu verstehen, dass sie notfalls auch auf Sicherungsmaßnahmen verzichten können („Solo-Begehung“). Das schließt für Rettungsmaßnahmen, die üblicherweise in weniger anspruchsvollem Gelände stattfinden, eine solide Sicherheitsreserve für ungünstige Umgebungsbedingungen (nasser Fels, Blankeis…) ein.
Da mit der Höhe (ab ca. 1500 m) die aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit um etwa 10-15% pro weiteren 1000 hm abnimmt, muss dieser Leistungsverlust bei der Abschätzung der Belastungshöhe bei Rettungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Für den Alpenraum ergibt sich aus verschiedenen realistischen Simulationen in der Walliser Alpen, dass im Tal mindestens 3 W/kg (PWC170) geleistet werden muss, bei weniger als 2,5 W/kg werden Rettungsmaßnahmen unrealistisch – es sei denn, es stehen mehrere Retter zur Verfügung (größere Seilschaft von mindestens 3-4 Personen).
Spezifische Erste Hilfe Kenntnisse
Zunächst einmal sollte das Bewusstsein geschaffen werden, dass das alpine Notfallspektrum von „normalen“ Erste Hilfe-Kursen nicht abgebildet wird. Abgesehen von der Vertiefung des Wissens über (Kopf-) Verletzungen wären spezifische Kenntnisse zur Prävention und Erstbehandlung von Unterkühlung, Erfrierung, akuter Höhenkrankheit (AMS), in den Westalpen auch Höhenlungenödem (HAPE), und Vielfachverletzung / Polytrauma notwendig. Letztere wie auch Kopf- und Rumpfverletzungen werden besonders häufig übersehen oder unterschätzt. Für die Westalpen wären zusätzlich Kenntnisse über das Höhenhirnödem (HACE) wünschenswert, auch wenn dieses in den Alpen recht selten vorkommt. Ein besonders häufiges Problem gerade auch auf Bergwanderungen oder beim Begehen von Klettersteigen ist Erschöpfung. Nahezu komplett fehlend sind Grundkenntnisse in der Strategie der Bewältigung von Notfällen im Gelände.
Äußere Rahmenbedingungen
Ein wesentlicher Teil alpiner Notsituationen passiert bei Chill-Temperaturen unterhalb von -10°C. Da die Helfer unter Stress stehen und sich ggfs. auch körperlich anstrengen müssen und sich daher warm fühlen, bemerken sie das hohe Unterkühlungsrisiko für den Verletzten oft nicht. Wenn Opfer und Ersthelfer im Gelände blockiert sind, besteht für alle dieses Unterkühlungsrisiko. Für Angehörige der Bergrettungsdienste steht dagegen wegen der wesentlich kürzeren Expositionszeit das Erfrierungsrisiko im Vordergrund.
Bei Hubschraubereinsatz sind alle – Opfer, Ersthelfer, Bergretter, Umstehende – extremen Lärmpegeln ausgesetzt. Der als ungefährlich geltende Pegel (Leq8h) von 85 dB(A) wird in jedem Fall massiv überschritten, im Einzelfall kann bereits eine Exposition von wenigen Minuten (z. B. Start und Landung) einen permanenten Gehörschaden verursachen. Während Bergretter einen entsprechenden Gehörschutz haben (und tragen!) sollten, steht dieser weder Ersthelfern noch Opfer zur Verfügung. Wer die Finger in die Ohren steckt, kann einen wirksamen Lärmschutz von etwa -40 dB(A) erzielen!
Mental Health
Lange wurde unterschätzt, welchen psychologischen Effekt eine Notsituation auf Opfer und (Erst-) Helfer haben kann (nicht muss!). Die Variationsbreite ist hier groß, von vorübergehender nachdenklicher Ruhe bis hin zu extremer langfristiger posttraumatischer Störung. Gerade vor dem Hintergrund des beim Bergsteigen und der Bergrettung über 200 Jahre glorifizierten Heldentums ist es notwendig klar zu machen, dass es kein Versagen oder Schwäche ist, wenn man nach einem solchen subjektiv als extrem empfundenen Ereignis psychologische Hilfe in Anspruch nimmt.
Fazit
Nur ein auf Notsituationen gut vorbereiteter Bergsteiger oder Bergretter ist ein guter Partner im Gelände. Wer hier nicht für gute Vorbereitung z.B. spezifische sportmedizinische Beratung sorgt hat den Grundstein dafür gelegt, dass durch eigenes Versagen aus einem beherrschbaren Notfall eine Katastrophe wird!
■ Küpper T, Morrison A