Auf der Suche nach dem Kick: Warum Sportler so oft an ihre Grenzen gehen

Auf der Suche nach dem Kick: Warum Sportler so oft an ihre Grenzen gehen
© Andrey Bandurenko / fotolia

Ironman, Tough Mudder, Speedklettern, Base Jumping & Co. stehen im Lexikon sicher nicht unter »normalem« Sport. Als maßvoller Jogger, Freizeitfußballer oder Yoga-Fan steht man jedenfalls oft sprachlos vor Menschen, die ihrem Körper schier Unmögliches abverlangen, immer größere Strecken in immer kürzerer Zeit zurücklegen oder sich sogar in akute Lebensgefahr bringen. Was aber treibt sie dazu? Und wo ist die Grenze zwischen dem kurzfristigen Extrem-Kick und Sportsucht?

Die Körpermaschinerie des Glücksgefühls

Univ.-Prof. Dr. Jens Kleinert von der Psychologischen Fakultät der Sporthochschule Köln vergleicht sportliche Motivation mit einem Computersystem: »Den psychologischen Aspekt der menschlichen Bedürfnisbefriedigung könnte man als Basissoftware sehen. Wie ein Betriebssystem steuern diese Bedürfnisse unser Tun von Geburt an. Im Menschen sind, der Basic Needs Theory von Richard Ryan und Edward Deci folgend, drei zentrale Grundbedürfnisse angelegt: Autonomie, Beziehung und Kompetenz. Je stärker und je mehr Bedürfnisse im Sport befriedigt werden, desto mehr reizt uns Sport. Das nennt man intrinsische Motivation. Sie zielt auf das Erleben des viel zitierten ‘Flows’ durch die sportliche Tätigkeit selbst ab – das Lob anderer macht nur einen marginalen Anteil des Wohlgefühls aus. Genauso großen Anteil am Sportlerglück haben die körperlichen Begleitfaktoren dieser Prozesse, die man als Hardware bezeichnen könnte. Über das limbische System regt stark befriedigende Bewegung die Ausschüttung spezifischer Botenstoffe und Hormone wie Dopamin und Endorphine an – die im Gehirn dann mit einem Glücksgefühl einhergehen.«

Muss es immer gleich extrem sein?

Für extreme Sportler ist das, was Hobbyjogger XY als Höchstleistung empfinden würde, die leichteste Übung. Ihre körperliche Fitness ermöglicht ihnen, leistungsmäßig in völlig andere Bereiche vorzudringen. Ist das eine Level erreicht, lockt die nächsthöhere Stufe, weil dort eine noch höhere Dopamin-Ausschüttung wartet. Mit dem Erreichen dieser Stufe erlebt sich der Sportler außerdem in noch höherem Maße als kompetent und selbstbestimmt: Er allein hat das geschafft, ohne Zutun von außen, und es fühlt sich gut an! Die »Befriedigung durch Können« aus der bereits zitierten Basic Needs Theory greift hier in jeder Hinsicht. Je nach individuellem Ehrgeiz, der wiederum teils persönlichkeits- und teils erziehungsbedingt ist, wird nun entweder noch härter trainiert, ein noch höheres Schwierigkeitslevel angestrebt oder eine anspruchsvollere Sportart gewählt. Was Hobbyjogger XY längst als Qual sähe, ist für Leistungssportler immer noch »just for fun« – jedenfalls bis zu einem gewissen Maß. Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Hinwendung moderner Menschen zum Extremsport erklärt, ist übrigens die Erholung vom Alltag: Je gegenteiliger zum meist bewegungsarmen Beruf die Freizeit gestaltet wird, als desto erholsamer wird sie oft empfunden; das Körpererleben wird quasi substituiert.

Nächste Seite: Die dunkle Seite der Medaille: Sportsucht | Manchmal ist es lebensgefährlich

Die dunkle Seite der Medaille: Sportsucht

Bei etwa 4 Prozent der deutschen Freizeitsportler hat das Trainingspensum aber bedrohliche Dimensionen angenommen, wie eine Studie der Universität Halle-Wittenberg zeigt. Sie trainieren trotz Schmerzen und körperlicher Schäden, werden bei Trainingsausfall frustriert oder aggressiv und vernachlässigen ihr Sozial- und Familienleben – alles Indikatoren einer echten Sucht. »Wo intrinsische sportliche Motivation zur positiv-eigenbestimmten Bedürfnisbefriedigung führt, ist der Sportsüchtige längst fremdbestimmt. Er fühlt sich gezwungen, seine körperlichen Grenzen auszureizen und treibt sich zu immer neuen Höchstleistungen, um die negativen Folgen des Entzugs zu vermeiden«, erklärt Prof. Kleinert den Unterschied zu einem gesunden Maß an – auch extremem – Sport. »Sportsucht ist nämlich absolut mit einer Drogenabhängigkeit zu vergleichen: Steigendes Zwangserleben kann auch hier zu immer weiter steigender Sportdosis führen, um das Zwangsgefühl zu bekämpfen.« Oft wird übermäßiger Sport auch zur Kompensation anderer, nicht funktionierender Lebensbereiche verwendet.

Manchmal ist es lebensgefährlich

Im September 2014 sind zwei deutsche Extrembergsteiger beim Versuch ums Leben gekommen, den Shishapangma im Himalaya in Rekordzeit zu besteigen. Im Juni des Jahres stürzte ein ungarischer Starkoch beim Wingsuit-Basejumping in den Tod. Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Was ist der Antrieb zu derart extremen und gefährlichen Sportarten? »Diese Menschen gehören mutmaßlich zur Gruppe der Sensation Seeker, die Marvin Zuckerman bereits in den 1980er-Jahren nach psychologischen Merkmalen klassifizierte«, erklärt Professor Kleinert. Bei diesem Persönlichkeitsmerkmal liegt in der so genannten Sensation-Seeking-Skala die Schwelle für das optimale, als erfüllend empfundene Erregungsniveau sehr hoch. Studien ergaben einen Erblichkeitsanteil dieser Konstitution von um die 60 Prozent, der Rest ist umweltbedingte Prägung und eine manchmal verzweifelte Suche nach Abgrenzung und besonderer Identität.

Professor Doktor Jens Kleinert, Psychologische Fakultät der Sporthochschule Köln
Univ.-Prof. Dr. Jens Kleinert Psychologische Fakultät der Sporthochschule Köln © DSHS Köln

■ Kura L

Ähnliche Beiträge zum Thema finden Sie weiter unten!