Sportmedizinische Lehrstühle in Deutschland – „Quo-Vadis“?
Der universitären Sportmedizin in Deutschland steht in den kommenden Jahren ein Umbruch ins Haus. So werden nach derzeitigem Stand im Zeitraum bis Ende 2026 voraussichtlich 12 Lehrstühle frei oder sind aktuell nicht besetzt. Für die Stabilität einer eigenständigen Existenz der Sportmedizin an den Universitäten in Deutschland ist daher von zentraler Bedeutung, dass die betroffenen Lehrstühle wiederbesetzt und fortgeführt werden.
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen allerdings, dass die Wiederbesetzung von leitenden Positionen in der Sportmedizin an den Universitäten keinen Selbstläufer darstellt. So werden nicht an allen Stellen Lehrstühle in gleichbleibender Ausstattung ausgeschrieben, die Eigenständigkeit der Abteilungen ist teils nicht gewährleistet und es wird auch über gescheiterte Berufungsverfahren berichtet. Als Folge davon können betroffene sportmedizinische Einrichtungen in andere Bereiche eingegliedert werden oder im ungünstigsten Fall abgeschafft werden. Die Ursachen für gescheiterte Berufungsverfahren sind vielschichtig und lassen sich an dieser Stelle nicht im Detail reflektieren.
Wachsende Bedeutung der Sportmedizin
Inhaltlich dürfte unser Fach eigentlich von keinem der universitären Standorte mehr wegzudenken sein. Unstrittig ist die wachsende Bedeutung sportmedizinischer Expertise in der Trainingstherapie verschiedener Erkrankungen, in der aktivitätsbezogenen Prävention, dem Gesundheitsmanagement im Leistungssport oder auch, wie zuletzt im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie zu beobachten war, in sportmedizinischen Diagnostikverfahren im klinischen und wissenschaftlichen Setting.
Gleichwohl scheint an manchen Standorten die Tendenz zu bestehen, die notwendige sportmedizinische Expertise in die jeweiligen Fächer einzugliedern, was wiederum das Risiko in sich birgt, dass eine eigenständige Fortentwicklung bewegungsmedizinischer Expertisen eher dem Zufall überlassen oder von untergeordneter Bedeutung sind. Das gleiche gilt für die medizinische Betreuung des staatlich geförderten Nachwuchs- und Spitzensports. Diese ist in Deutschland in hohem Maße über die sportmedizinischen Standorte an den Universitäten organisiert und damit einer breiten und fundierten klinischen Versorgung und der klinisch-orientierten Forschung im Leistungssport zugänglich.
Ein weiterer ernst zu nehmender und auch von den ausschreibenden Fakultäten teilweise genannter Faktor ist die Bewerberlage. Kam man bis in die frühen 2000er Jahre in Deutschland bei der Ausschreibung größerer sportmedizinischer Lehrstühle noch auf Bewerberzahlen von 20 bis 30, so wird aktuell eine zweistellige Zahl eingehender Bewerbungen nur selten erreicht. Dies bedingt zum Teil auch eine gewisse Diskrepanz bei der Passung zwischen standortspezifischen Gegebenheiten und dem Profil der interessierten Bewerber. Hinzu kommt die bei den Ausschreibungen für sportmedizinische Leitungsfunktionen in Deutschland sehr geringe Anzahl weiblicher Bewerberinnen. Selbst das Ziel, zumindest den 2021 erhobenen Bundesdurchschnitt an Hochschulkliniken beschäftigter Professorinnen von 27% (3) zu erreichen, wird derzeit nicht erreicht.
Neu geschaffenes Ressort
Was ist zu tun? Der Wissenschaftsrat der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. (DGSP) hat sich des Themas der Wiederbesetzung sportmedizinischer Lehrstühle angenommen und hierfür ein Ressort geschaffen. In einem ersten Schritt erfolgte eine Abfrage, die über das Wissenschaftskollegium an die Standorte ging mit dem Ziel, die teils recht unterschiedlichen Profile der sportmedizinischen Einrichtungen an den Universitäten zu erfassen. So wurden u. a. Informationen zur Struktur, Laufzeit der Professur, klinischen und wissenschaftlichen Ausrichtung, Verortung in der jeweiligen Fakultät und weiteres erhoben.
Im Weiteren bietet der Wissenschaftsrat den Standorten an, im Falle eines sich abzeichnenden altersbedingten Auslaufens von Professuren beratend tätig zu werden. Idealerweise ist ein solcher Prozess möglichst bereits vor Aufnahme der Arbeit der für die Neuausschreibung eingesetzten Strukturkommissionen anzustoßen, um somit die strategische Planung der Universitäten unter standortspezifischen Gegebenheiten zu unterstützen. Ein proaktives Ansprechen der Standorte seitens des Wissenschaftsrats unterstützt dieses Vorgehen. Allerdings zeigt sich eine variable Inanspruchnahme, die von einem engeren Austausch mit den Entscheidungsträgern des Standortes bis hin zu keinerlei Reaktion auf Anfragen des Wissenschaftsrates reicht.
Nachwuchsförderung ist unerlässlich!
Zur Verbesserung der Bewerberlage ist es unverzichtbar, eine erfolgreiche Nachwuchsförderung zu betreiben. Das seit 2017 vom Wissenschaftsrat ausgerichtete Nachwuchssymposium und die Einrichtung der Interest Groups sind hierzu erste wichtige Schritte. Im damit verbundenen Austausch mit den vielen hochmotivierten Kolleginnen und Kollegen unseres Fachs wird jedoch auch deutlich, dass trotz des großen Interesses am Fach Unsicherheit hinsichtlich der Karrieremöglichkeiten besteht.
Ein Grund hierfür mag der fehlende Facharzt für Sportmedizin sein, woraus resultiert, dass für eine spätere Leitungsposition in einer klinisch orientierten sportmedizinischen Einrichtung die fachärztliche Kompetenz in einem der Kernfächer wie Innere Medizin, Orthopädie und Unfallchirurgie oder Allgemeinmedizin erworben werden sollte. Die diesbezüglichen Ausbildungsmöglichkeiten aus der Sportmedizin heraus sind in Deutschland unterschiedlich organisiert und durch nicht immer mögliche Rotationsregelungen erschwert. Geboten ist, dies an unseren Standorten zu verbessern, um eine parallele klinische Ausbildung mit dem Ziel des Facharztes oder -ärztin und einer wissenschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen.
Unterstützt werden sollte auch die Integration und Förderung von „QuereinsteigerInnen“ , also von KollegInnen, die beim Wechsel in eine sportmedizinische Einrichtung bereits über einen Facharztstatus verfügen oder einen Teil der Weiterbildung bereits absolviert haben. Zu vermitteln gilt, dass die Alleinstellungsmerkmale unseres Fachs, aber auch dessen großes interdisziplinäres Potenzial attraktive Möglichkeiten in der Verknüpfung von Klinik und Forschung bietet und sich die Chance für den Erwerb einer Leitungsposition teilweise größer als in anderen Fächern darstellt.
Work-Life-Balance scheint wichtiger als Gehalt und Position
Beim Wettbewerb um kluge Köpfe müssen wir uns aber auch den geänderten Rahmenbedingungen stellen. So scheint das Ziel „Lehrstuhl“ an Attraktivität verloren zu haben, und wird nicht mehr „um jeden Preis“ verfolgt. Einer Umfrage unter Oberärzten an deutschen Uniklinika zufolge ist eine ausgeglichene Work-Life-Balance wichtiger als ein hohes Gehalt (2). Nur knapp 39% der Befragten gaben an, ein universitäres Ordinariat attraktiv oder sehr attraktiv zu finden, deutlich weniger als den Verbleib in einer Oberarztposition (63%). Fächerübergreifend gilt, dass die Etablierung von Konzepten zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf den sozialen Anreiz, Führungspositionen zu besetzen, steigern muss (1).
Eine zentrale Bedeutung bei der Sicherung der Standorte im Sinne einer Weiterführung der sportmedizinischen Lehrstühle spielen die ausscheidenden Stelleninhaber. Wichtig ist ein früher Austausch über eine zielführende Unterstützung des Prozesses der Neuausschreibung. Auf der Grundlage standortspezifischer Detailkenntnisse weiß die noch amtierende Leitungsperson in der Regel am besten, welche zukünftige strukturelle und inhaltliche Ausrichtung des zu besetzenden Lehrstuhls unter Berücksichtigung des Standortprofils zielführend und realistisch ist.
Wie auch bei der letzten Sitzung des Wissenschaftskollegiums der DGSP beim Sports, Medicine and Health Summit 2023 in Hamburg präsentiert, besitzt das Thema der Lehrstühle für den Wissenschaftsrat höchste Priorität. Er hat sich die Erarbeitung eines ausführlicheren Papiers auf die Agenda gesetzt. Zu hoffen bleibt, dass dieses Editorial zum weiteren Anstoß der Diskussion beitragen wird.

■ Nieß AM
Quellen:
De Ridder D. How to add more „family“ to the work-life-balance? - family friendliness in medical under- and postgraduate studies and the workplace. GMS Z Med Ausbild. 2012; 29: Doc22. doi:10.3205/zma000792
Rochus Mummert Ausgeglichene Work-Life-Balance für Oberärzte an Unikliniken wichtiger als hohes Gehalt. Pressemitteilung 17. Mai 2018. [aufgerufen 18 Juli 2023].
Statistisches Bundesamt. Frauenanteil in der Professorenschaft in Deutschland im Jahr 2021 nach Fächergruppen. Wiesbaden; 2023. [aufgerufen 18 Juli 2023].