DZSM-MITTEILUNG

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Fortsetzung Sportmedizin im Wandel

Erstens brauchen wir gut charakterisierte, populationsbasierte, große Datensätze, die die Funktion des Körpers mit den Komponenten Ausdauer, Kraft, Koordination und Flexibilität abbilden. Ich betone gerade diese Komponenten neben der Charakterisierung mittels Fragebögen, Blut- und genetischen Analysen, Bildgebung und anderen vertieften Beschreibungen der personalisierten Gesundheit, weil diese Leistungsmerkmale des Körpers, gemessen an ihrer Bedeutung für Lebensqualität, Morbidität und Langlebigkeit meist zu wenig berücksichtigt werden (3, 7). Eine Ursache ist sicher die zu schwache Stimme der Sportmedizin bei der Planung von Kohorten. Dabei ist der größte Nachteil bestehender Kohorten das Fehlen von Normalwerten bzw. von super-Normalwerten, um „wirklich gesund“ von „beginnend krank“ abgrenzen zu können. Um dieses zu erreichen, sollten sich die sportmedizinisch-forschenden und forschungsinteressierten Einrichtungen der Sportmedizin zusammentun und mit einer solchen „Kohorte der körperlichen Funktion“ ihre bedeutsame Position in der Medizin zurückerlangen und einen Beitrag zur Gesundheit der Bevölkerung leisten. An einer solchen Kohorte wird man viel besser als bisher erkennen können, welche Parameter eine gute körperliche Funktion ausmachen und darauf basierend Interventionen zielgerichteter und frühzeitiger gestalten können.

Zweitens sollte die Sportmedizin die fast grenzenlosen Chancen mobiler Sensoren zur Erfassung der körperlichen Aktivität nach Art, Umfang, Intensität, Häuigkeit und Tageszeit zusammen mit anderen Parametern wie Puls, Atmung, Temperatur sowie Lokalisation, Erkennung von baulichen und sozialen Barrieren, Luftverschmutzung und zahlreichen anderen Faktoren nutzen (4). Nahezu jeden Monat erweitern sich die Möglichkeiten durch neu entwickelte Gesundheits- und Aktivitätsmesser, die inzwischen auch subkutan implantiert zum Dauermonitoring eingesetzt werden können. Diese auch als Gadgets bezeichneten Monitore ermöglichen die Erkennung von personalisierten Risikomustern mit dem Kernelement Bewegung, die wie ein Fingerabdruck der Gesundheit einzigartig sind und hoch individualisierte Empfehlungen für einen gesünderen Lebensstil zulassen könnten. Wenn wir zusätzlich den Link zwischen laborbasierten körperlichen Funktionsdaten und mobilen Daten sowie den genannten hämodynamischen Parametern herstellen, könnte die Sportmedizin ihre Rolle in der Gesundheitsprävention und Therapie erheblich stärken. Auch hierfür werden große Fallzahlen erforderlich sein.

Drittens ist die Umsetzung von sportmedizinischen Empfehlungen durch den Betrofenen eine große Herausforderung und gleichzeitig Chance. Viel zu selten werden geeignete kommunikative Mittel verwendet, um Gesundheitsverhalten zu verbessern. Trotz erster Ansätze in Studien steckt das Patienten- und Gesunden-Coaching in den Kinderschuhen. Unsystematisch werden die „Stages of Change“ bei Verhaltensinterventionen berücksichtigt bzw. ist das Wissen dazu nur rudimentär verankert. Smartphones und virtuelle Realität könnten viel stärker zur Unterstützung von Motivation, Compliance, Adherence und Maintenance, auch auf spielerische Weise eingesetzt werden (2). Der Einsatz von elektronischen Hilfen für das „Self-Training“ in Kombination mit supervidiertem Training steht noch ganz am Anfang. Auf dem Weg hin zu einer erfolgreichen und lächendeckend umgesetzten Bewegungstherapie bedarf es an Zeit, Vermittlungskompetenz und einem großen Bewegungstherapie-Netzwerk.

Die gerade aufgezeigten Perspektiven einer personalisierten Sportmedizin bedürfen eines verantwortungsvollen Umgangs mit Personendaten. Diese Daten, die oftmals von Smartphone-Nutzern den Internetirmen unrelektiert preisgegeben werden, sollten eigentlich nach dem Vorbild Dänemarks (6) auch oder nur in die Hände vertrauenswürdiger Institutionen gehören. Diese sollten die Daten zum Nutzen der Datengeber zur Stärkung der Gesundheit und der Lebensqualität einsetzen können. Dazu muss die digitale Verknüpfung noch sicherer und der individuelle gesundheitliche Nutzen für den Einzelnen greifbarer werden.

Die Sportmedizin könnte gemeinschaftlich in die personalisierte Medizin aufbrechen, sich auf ihre Stärken zurückbesinnen und sich dadurch erneuern. Sie könnte mit ihren klassischen leistungsdiagnostischen Methoden wie keine andere Fachrichtung die Funktion des Menschen charakterisieren und aus einer „Funktions-Kohorte“ individualisierte Empfehlungen für einen gesunden Lebensstil ableiten. Aber sie muss diesen Wandel auch wirklich wollen.

Schmidt-Trucksäss A

Quellen:

  1. BUCKLEY JP, HEDGE A, YATES T, COPELAND RJ, LOOSEMORE M, HAMER M, BRADLEY G, DUNSTAN DW. he sedentary oice: an expert statement on the growing case for change towards better health and productivity. Br J Sports Med. 2015; 49: 1357-1362. doi:10.1136/bjsports-2015-094618

  2. HÖCHSMANN C, WALZ SP, SCHAFER J, HOLOPAINEN J, HANSSEN H, SCHMIDT-TRUCKSÄSS A. Mobile Exergaming for Health-Efects of a serious game application for smartphones on physical activity and exercise adherence in type 2 diabetes mellitus-study protocol for a randomized controlled trial. Trials. 2017; 18: 103. doi:10.1186/s13063-017-1853-3

  3. KODAMA S, SAITO K, TANAKA S, MAKI M, YACHI Y, ASUMI M, SUGAWARA A, TOTSUKA K, SHIMANO H, OHASHI Y, YAMADA N, SONE H. Cardiorespiratory itness as a quantitative predictor of all-cause mortality and cardiovascular events in healthy men and women: a meta-analysis. JAMA. 2009; 301: 2024-2035. doi:10.1001/ jama.2009.681

  4. MAJUMDER S, MONDAL T, DEEN MJ. Wearable Sensors for Remote Health Monitoring. Sensors (Basel). 2017; 17: E130. doi:10.3390/ s17010130

  5. NATIONAL ACADEMIES OF SCIENCES, ENGENEERING AND MEDICINE. Relevance of health literacy to precision medicine: Proceedings of a workshop. Washington (DC): he National Academies Press, 2016.

  6. NOHR C, PARV L, KINK P, CUMMINGS E, ALMOND H, NORGAARD JR, TURNER P. Nationwide citizen access to their health data: analysing and comparing experiences in Denmark, Estonia and Australia. BMC Health Serv Res. 2017; 17: 534. doi:10.1186/s12913- 017-2482-y

  7. RANTANEN T, MASAKI K, HE Q, ROSS GW, WILLCOX BJ, WHITE L. Midlife muscle strength and human longevity up to age 100 years: a 44- year prospective study among a decedent cohort. Age (Dordr). 2012; 34: 563-570. doi:10.1007/s11357-011-9256-y