DZSM-MITTEILUNG

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20.11.2017

Sportmedizin im Wandel

Der Titel des Beitrags klingt wie Aufbruch, wie Erneuerung und Besinnung auf die Stärken der Sportmedizin. Und das ist tatsächlich notwendig, wenn die Sportmedizin auch in der Zukunft auf wissenschaftlich höchstem Niveau bestehen soll.

Sportmedizin im Wandel
© istock

Zu den Schattenseiten des Prozesses gehört einerseits die drohende Schließung von universitären sportmedizinischen Einrichtungen in Deutschland, aber anderseits auch die positive Entwicklung eines Ausbaus der Sportmedizin, wenn man den gesamten deutschsprachigen Raum betrachtet. So wurde vor Kurzem an der Universität Basel eine zweite sportmedizinische Professur für Präventive Sportmedizin zusätzlich zu der erst 2009 besetzten Professur für Sportmedizin geschafen. Vergleichbares gilt für die Universität Lausanne. Um die negative Entwicklung in Deutschland umzukehren, gilt es, die Verantwortlichen an den Universitäten mit klaren Konzepten zu überzeugen, welchen Wert die Sportmedizin im Kanon der anderen Fachdisziplinen hat. Dabei fragt man sich unwillkürlich, was die eigentlichen Stärken der Sportmedizin sind. Und das sind wohl im Kern die Beurteilung von Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit des menschlichen Körpers sowie der dosierte Einsatz von Bewegung und Sport im Sinne von Prävention und herapie von chronischen Erkrankungen sowie zum  Leistungsaufbau.

Als physiologisches Modell für die Wirkweise von körperlicher Aktivität und Inaktivität bietet sich dabei in den Extremen der Elitesportler mit genetisch angelegter Leistungsstärke und maximaler Trainierbarkeit als auch der Teilnehmer von sogenannten „bed rest“ Studien an, der modellhaft die Auswirkungen chronischer Inaktivität zeigt. In diesen Grenzen, über die gesamte Altersspanne vom Kleinkind bis zum Greis, von gesund bis krank, alle Erkrankungen überspannend, bewegt sich das Fachgebiet der Sportmedizin. Die/r Sportmediziner/in ist ein Spezialist/in für körperliche Gesundheit und Bewegung, meist aus den Mutterdisziplinen der Inneren Medizin oder Orthopädie stammend, selten aus anderen Disziplinen wie der Neurologie.

Er/sie sollte in der Lage sein, die Methoden zur Beurteilung von Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit mit den Teilkomponenten Ausdauer, Kraft, Koordination und Flexibilität als Handwerkszeug deutlich besser als andere ärztliche Disziplinen einzusetzen und dabei mit Sport- und Trainingswissenschaftlern, Sportpsychologen und Experten für Sporternährung eng und gleichberechtigt zusammenzuarbeiten. Denn es bedarf neben der präzisen Diagnose insbesondere eines erfolgreichen Transfers von Bewegungsempfehlungen in den Alltag des gesunden wie des kranken Menschen.

Prof. Dr. med. Arno Schmidt-Trucksäss, Direktor des Departements für Sport, Bewegung und Gesundheit, Universität Basel © Schmidt-Trucksäss

Die erfolgreiche Umsetzung von Bewegungsinterventionen ist oft jenseits der körperlichen Inaktivität scheinbar ausreichend mit den Worten „Jeder Schritt zählt“ abgedeckt. Das stimmt vermutlich in dem Sinne, dass selbst Mini-Interventionen oder Stehphasen zur Unterbrechung von sitzender Tätigkeit am Arbeitsplatz das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen senken (1). Dennoch bedeutet diese regelmäßig, auch von zahlreichen Sportmedizinern ausgesprochene Banalität, im Grunde genommen eine Abwertung der Kompetenz beim Einsatz von Bewegung und Sport in Prävention und herapie. Ein Diabetologe würde in Analogie dazu niemals auf die Idee kommen, seinem Patienten zu seiner Insulin – Medikation zu sagen „jede Einheit zähle“?

Im Zeitalter der personalisierten Medizin und der Precision Medicine wie von dem ehemaligen US-Präsidenten Obama und dem NIH angestoßen (5), müssen ganz andere Wege in der Sportmedizin gegangen werden. Die Unterscheidung in Responder und Non-Responder ist grundsätzlich der richtige Gedanke, Bewegungsinterventionen zu individualisieren. Das sieht die forschende Sportmedizin in nahezu jeder Interventionsstudie. Leider kommen wir den Gründen für die Wirkung oder Nicht-Wirkung von Bewegung als Medikament nur unzureichend näher, weil die Fallzahlen und die individuelle Charakterisierung des Einzelnen für die benötigte Präzision nicht ausreichen. Dafür ist aber eine Weiterentwicklung der Sportmedizin in mehrerer Hinsicht unabdingbar, um nicht weiter an Bedeutung einzubüßen.