DZSM-MITTEILUNG

07.03.2021

Impfen gegen Corona: Weshalb Sportler und junge Menschen wichtig sind!

Editorial der Ausgabe 2/2021 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM) von Hauptschriftleiter Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jürgen M. Steinacker.

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Impfen gegen Corona: Weshalb Sportler und junge Menschen wichtig sind!
© Turner / Adobe Stock

Die SARS-CoV-2-/ Covid-19-Pandemie stellt Gesellschaft, Bevölkerung, Ärzte und natürlich auch den Sport vor größte Herausforderungen. Wir sehen, dass bei vielen Personen die Erkrankung zwar heftig verläuft, aber folgenlos abheilt. Wir sehen aber auch, dass ältere Menschen einem höheren Mortalitätsrisiko ausgesetzt sind. Natürlich sind wir als Mitmenschen betroffen, wenn diese Menschen erkranken, schwer geschädigt werden oder sogar versterben. Insofern haben wir alle kein Interesse daran, dass die Altenheime gefährliche Orte sind.

Aber auch bei Jüngeren kann sich COVID-19 verheerend auswirken. Wir finden bei 5-10% der Erkrankten zeitweise oder länger eine Multisystemerkankung mit Leistungsverlust, Müdigkeit, Myokarditis, Lungenerkrankung, neurologischen Symptomen – und wir wissen noch nicht, ob und wann diese ausheilen.

Nebenwirkungen von Physical Distancing?

Essentielle Überlebensfaktoren in der Pandemie sind aber auch körperliche Aktivität und geistiges und soziales Wohlbefinden. Dem steht gegenüber, dass soziale Interaktionen auch körperlichen Kontakt und Nähe beinhalten, was die Ausbreitung des Virus ermöglicht. Die Grundsätze des „Physical Distancing“ (die WHO verwendet jetzt diesen Begriff, da soziale Kontakte wichtig sind), Maske tragen und Hände desinfizieren, können konsequent angewendet, erheblich dazu beitragen, die Ansteckungsrate zu verringern. Sie haben aber Nebenwirkungen.

Wenn wir über Lockdown sprechen, dann sind soziale Chancen, Bildungschancen und Sportausübung und damit auch Zukunftschancen für die Jugend erheblich betroffen (2). Wenn Jugendliche aus sozial benachteiligten Gruppen randalieren oder die Regeln grob missachten, ist das zwar nicht tolerierbar, aber vielleicht ein Symptom, dass aus deren Sicht deren Zukunft für unsere Gesellschaft nicht zähle? Es ist viel einfacher für den gehobenen Mittelstand (und aus dem stammen wir und unsere Politiker) im Einfamilienhaus mit Garten die Kinder durch den Lockdown zu bringen, als in den Wohnsilos der sozialen Brennpunkte. Wir dürfen nicht vergessen, dass etwa 50% der Kinder in den Grundschulen aus sozial benachteiligten Gruppen kommen und Förderung bedürfen (4).

Schon diese wenigen Fakten zeigen, dass es verschiedene Aspekte gibt, deren Gewichtung politisch entschieden werden muss. Aber funktioniert dies wirklich? Oder zeigt die teilweise Irrationalität in der Debatte, dass es nur zum Teil der Fall ist? Dabei verlassen sich die Entscheider doch auf die Expertise von Virologen und sogar eines Ethikrates? Das kann doch nicht falsch sein? Die politische Theorie zeigt (siehe dazu (3)), dass in einer Demokratie die Definitionen von gut oder böse – nützlich oder schädlich – diskutiert und ausgehandelt werden müssen. Dabei sind die Interessen aller Stakeholder (auch so ein ungewohnter Begriff) zu berücksichtigen, ansonsten kommt es zu Spannungen.

Sport und Impfen

Die Diskussion um den Sport und das Impfen zeigt dies schonungslos. Priorität habe das Vermeiden von Todesfällen in Altersheimen. Deshalb hat der Ethikrat empfohlen, in Priorität nur ältere Menschen zu impfen, dazu noch die Pfleger (nicht aber die Reinigungskräfte?) und die Notärzte, nicht aber die Hausärzte, nicht aber die Lehrer und schon gar nicht die Sportler.  Das berechtigte Kriterium ist die Verringerung der Todeszahlen. Es gibt dazu aber auch weitere Mittel, die wurden bisher nur sehr zögerlich eingesetzt. Das regelmäßige Testen in Altenheimen wurde und wird mannigfach eher verhindert, Ministerien und Träger waren lange dagegen. Selbst die Hilfe der Bundeswehr bei der Nachverfolgung positiver Fälle wurde teilweise abgelehnt – ist Weltanschauung wichtiger? Auch sind die meisten Gesundheitsämter immer noch nicht personell und materiell verbessert ausgestattet worden.

Wir können feststellen, dass der Datenschutz offenkundig eine weit höhere Priorität hat, und Masken, die Experten in dieser Zeitschrift schon letzten März gefordert haben, wurden sehr zögerlich angenommen. Der Lockdown ist dann die logische Konsequenz – sicher notwendig, aber in seiner Ausprägung mit Unterrichtsausfall und Verbot des Vereinssports sehr wohl mit psychischen und physischen Schäden verbunden. Das schädigt unsere Jugend, aber auch alle anderen!

In der üblichen öffentlichen Moraldebatte wird auf Profi- und derzeitigen olympischen Sport herabgeschaut und auch der Amateursport soll sich ganz hinten anstellen. Diese würden ja nur ihre Egoismen befriedigen, während es um das Überleben von anderen geht. Welch Einseitigkeit der Argumente! Es ist sehr einfach für ehemalige Olympiasieger (5), für Redakteure oder Politiker, auf die Olympiade zu verzichten. Die eigenen Lebenschancen betrifft es ja nicht und wer Olympiamedaillen errungen oder eine gesicherte Position im Leben erreicht hat, dem fällt es oft leicht, auf die Chancen anderer zu verzichten.

Das Potenzial des Sports und der Olympiade für unsere Gesellschaft

Junge Menschen haben ein Potenzial, für das sie Entwicklungschancen brauchen und die für ein ganzes Leben reichen sollen. Für junge Sportler ist es ein langer Weg, um die eigenen motorischen, sozialen und psychologischen Fähigkeiten aufzubauen, um ihren Sport durchzuführen und sogar Leistungssport zu treiben. Wettkämpfe sind dabei ein wichtiger Motivationsgrund, die Unterbrechung des Trainings bedeutet ein großes Risiko für spätere Verletzungen, Leistungsverlust und Demotivation. In der Pandemie kommt es entsprechend zu psychischen Störungen, insbesondere bei Befinden und Lebensqualität (1).

Die Olympiade ist eines der ganz großen Ziele von jungen Menschen. Der Sport, die Sportmedizin und das Internationale Olympische Komitee haben die große Verpflichtung,
sichere Olympische Spiele zu veranstalten, weil diese den jungen Athleten die Möglichkeit geben, einmalige Erfahrungen zu sammeln. Der Sport hat durch seine Hygienekonzepte (6) gezeigt, dass die Übertragung von SARS-CoV-2-Viren wirksam verhindert werden kann. Dies konnten wir beispielsweise bei den Ruder-Europameisterschaften in Duisburg, Belgrad (Serbien) und Posznan (Polen) im Jahr 2020 mit über 3.000 Teilnehmern zeigen. Ähnliches gilt für viele andere Sportarten, die kein Risiko für die Pandemie darstellen.

Wenn wir zuerst die schwächsten und verletzlichsten in den Risikogruppe impfen, ist das richtig. Wenn wir aus (berechtigter) Betroffenheit über Todesfälle anderen das moralische Recht auf Lebenschancen absprechen, nur, weil sie das geringste Mortalitätsrisiko haben und wir uns es einfach machen, dann handeln wir unfair und ignorieren die Dilemmata, vor die uns die Pandemie stellt.

Sportler haben deshalb Anspruch darauf, ihren selbstbestimmten Sport zu treiben. Wenn die Impfung fortschreitet und mehr Impfstoff verfügbar ist, müssen wir darüber sprechen, junge Sportler ohne Neid und wegen der Risiken auch rechtzeitig zu impfen. Ihre Lebenschancen verdienen es. Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, die berechtigten Anliegen der jungen Leute im öffentlichen Diskurs zu ignorieren. Einseitige Priorisierungen spalten die Gesellschaft und führen sie nicht zusammen.

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jürgen M. Steinacker, Hauptschriftleiter Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jürgen M. Steinacker, Hauptschriftleiter Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin © Steinacker

■ Steinacker JM

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Quellen:

  1. Ammar A, Mueller P, Trabelsi K, Chtourou H, Boukhris O, Masmoudi L, Bouaziz B, et al; on behalf of the ECLB-COVID19 Consortium. Psychological consequences of COVID-19 home confinement: The ECLB-COVID19 multicenter study. PLoS One. 2020; 15: e0240204. doi:10.1371/journal.pone.0240204

  2. Bloch W, Halle M, Steinacker JM. Sport in Zeiten von Corona. Dtsch Z Sportmed. 2020; 71: 83-84. doi:10.5960/dzsm.2020.4322

  3. Howlett M, Rames M, Perl A (eds.). Studying Public Policy. Policy Cycles & Policy Subsystems. Third edition. Oxford University Press: Oxford 2009

  4. Kobel S, Lämmle C, Wartha O, Kesztyüs D, Wirt T, Steinacker JM. Effects of a Randomised Controlled School-Based Health Promotion Intervention on Obesity Related Behavioural Outcomes of Children with Migration Background. J Immigr Minor Health. 2017; 19: 254-262. doi:10.1007/s10903-016-0460-9

  5. Sir Matthew Pinsent. https://twitter.com/matthewcpinsent/status/1348570256625827841 [10th February 2021].

  6. Steinacker JM, Bloch W, Halle M, Mayer F, Meyer T, Hirschmüller A, Röcker K, Nieß A, Scharhag J, Reinsberger C , Scherr J, Niebauer J, Wolfarth B und Sports Medicine Commission der FISA. Merkblatt: Gesundheitssituation für Sportler durch die aktuelle Coronavirus-Pandemie (SARS-CoV-2 / COVID-19). Dtsch Z Sportmed. 2020; 71: 85-86. doi:10.5960/dzsm.2020.431