Präventive Kardiologie in Europa – Quo vadis?
Prof. Martin Halle ist Präsident der European Association of Preventive Cardiology (EAPC) der European Society of Cardiology (ESC). In seinem Editorial zur Ausgabe #4/2022 der DZSM beschreibt er die Zukunftsvision der EAPC – für deren Bearbeitung und strategische Umsetzung der Themen bereits fünf Task Forces gebildet wurden.
Im August 2022 geht meine zweijährige Präsidentschaft bei der European Association of Preventive Cardiology (EAPC) der European Society of Cardiology (ESC) zu Ende. Eine bereichernde und herausfordernde Zeit zugleich, die ich mir allerdings anders vorgestellt hatte, insbesondere wenn man die persönliche Kommunikation schätzt. Denn zwei Jahre im Schatten der Corona-Pandemie war diese Kommunikation leider nur sehr eingeschränkt möglich.
Der ESC Preventive Cardiology-Kongress, der Anfang April 2022 eigentlich in Prag hätte stattfinden sollen, und auch die monatlichen Meetings mit dem EAPC Board, fanden nur online statt. Große Freude besteht daher, dass wir uns Ende August in Barcelona zum ESC-Kongress treffen und uns endlich nach langer Zeit wieder persönlich austauschen können. Diese Zeit hat auch Probleme von finanzieller Art bei der Durchführung von Online-Kongressen aufzeigen lassen, da die Teilnehmer-Zahlen beim ESC Preventive Cardiology Congress deutlich zurückgingen und nur noch 50% der „Vor-Coronazeit“ ausmachen. Ein Online-Format ist ganz klar nicht gleichwertig zu Kongressen am Veranstaltungsort zu sehen, was sich an Engagement sowie an Anwesenheiten von Zuhörern und Zuhörerinnen zeigt. Dadurch kommen Fachgesellschaften auch in finanzielle Schieflagen, welches besonders für diejenigen Fachgesellschaften gilt, die nicht durch die Pharmaindustrie unterstützt werden.
Zukunftsvision der EAPC
Die EAPC umspannt ein breites Feld von Primärprävention, Public Health, Sekundärprävention und Sportkardiologie, welches sich auch in Sektionen innerhalb der Fachgesellschaft wiederfindet. Mit meiner Präsidentschaft habe ich vor allen Dingen versucht, Akzente zu setzen, die sich in so genannten „5 Biggies“ widerspiegeln (siehe Abbildung 1) – fünf Themen, die bislang innerhalb der EAPC nicht ausreichend vertreten waren. Für die Bearbeitung und strategische Umsetzung der Themen wurden fünf Task Forces gebildet (1).
1. „EAPC: The Risk Factor Association“: Vor allen Dingen die Ausrichtung auf kardiovaskuläre Risikofaktoren ist innerhalb der ESC bisher unterrepräsentiert, besonders in den Bereichen Fettstoffwechselstörungen und Diabetes. Einzig das Thema Hypertonie ist durch ein Council vertreten. Eine Ausrichtung auf Lebensstil, aber auch auf die pharmakologische Intervention ist für die Fachgesellschaft aus unterschiedlichen Aspekten, aber auch von der allgemeinen Strategie der präventiven Kardiologie aus meiner Sicht von herausragender Bedeutung.
2. „Nutrition“: Das zweite Thema, was bisher auch unzureichend in der EAPC behandelt wurde, ist die Ernährung. Die Nutrition-Task Force hat hier über die Zeit Positionspapiere entwickelt und das Thema innerhalb der Gesellschaft vorangebracht.
3. „Child health“: Das dritte Thema zielt auf die Stärkung der Kindergesundheit ab, hinsichtlich der Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Adipositas und körperlicher Inaktivität, bis hin zur Behandlung von Kindern mit angeborenen Herzfehlern. Auch hierzu wurden Positionspapiere etabliert.
4. „Implementation Strategy“: Das vierte Thema beinhaltet die europaweite Implementierung von so genannten „Outreach“-Programmen wie LAUF10!, welches am 2. Mai 2022 in Bayern die nächste Runde startete. Zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk haben wir das Programm hier in München entwickelt und etabliert. Initial fand diese Veranstaltung erstmals vor 15 Jahren statt, mittlerweile partizipieren jährlich mehr als 35.000 Personen. Lauf10! adressiert Personen mit Adipositas und kardiovaskulären Risikofaktoren, die innerhalb von 10 Wochen zu mehr Bewegung gebracht werden sollen. Hierfür können die eigens für das Programm entwickelten Trainingspläne von der Lauf10! Homepage heruntergeladen werden. Am Ende der 10 Wochen absolvieren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einen 10 km-Lauf. Zusammen mit der EAPC soll nun der Transfer auf europäische Ebene mit dem „WALK 10“-Programm umgesetzt werden, die juristischen Hürden hierfür sind genommen.
5. „Certify knowledge and skills“: Das fünfte Thema umfasst die Verstetigung des „Akkreditierungsprozesses“ von Zentren mit den Schwerpunkten präventive Kardiologie, rehabilitative Kardiologie und Sportkardiologie. Die akkreditierten Zentren müssen bestimmte Kriterien erfüllen, um sich entsprechend nennen zu können. Weiterhin auch der „Zertifizierungsprozess“ zum Präventiv-Kardiologen auf europäischer Ebene (2). Dieser beinhaltet schrittweise Lehrprogramme mit Qualifikation für Präventive Kardiologie und Spezialisierung für Sportkardiologie, die nach der Basisqualifikation für Kardiologie angestrebt werden können. In Deutschland existiert ein derartiger Zertifizierungsprozess bereits unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP). Seit 2019 kann hier im Rahmen dieses erfolgreichen Konzepts die Zusatzqualifikation „Sportkardiologie“ erworben werden. Von der DGK und der Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herzkreislauferkrankungen (DGPR) gibt es darüber hinaus die Möglichkeit einer Zertifizierung zum Präventivkardiologen.
Fazit
Es ist wesentlich, den Bereich Prävention innerhalb der nationalen und internationalen Gesellschaften, aber gerade auch innerhalb der ESC sichtbar zu werden zu lassen. Dass Präventionsforschung auf dem Vormarsch ist, zeigt sich daran, dass die meisten Abstracts für den diesjährigen ESC-Kongress in dem Bereich „Preventive Cardiology and Special Populations“ (u.a. Risikofaktoren, Lebensstil, Umwelt, Kinderkardiologie, Kardio-Onkologie) eingereicht wurden, deutlich mehr als bei Grundlagenforschung, kardialem Imaging, interventioneller Kardiologie oder Herzinsuffizienz. Dieser Bereich muss nun weiter mit Qualität in der Forschung und der Versorgung unterfüttert werden. Hierfür ist Grundlagenforschung ebenso wie Versorgungsforschung notwendig. In München haben wir seit Jahren versucht, große randomisiert-kontrollierte Multicenter-Studien umzusetzen, die die Bedeutung von körperlichem Training in der Prävention und Therapie aufzeigen, wie beispielsweise der LOGIC-Studie bei adipösen Kindern (3, 4), der OptimEx-Trial (Optimizing Exercise Training in Prevention and Treatment of Heart Failure with preserved ejection fraction (HFpEF)) zur Erforschung der optimalen Trainingsdosis bei Patienten mit Herzinsuffizienz (5) oder die DiaTT (Dialysis Training Therapy) Studie, die Effektivität von einem einjährigen körperlichem Training während der Dialyse untersucht (6).
Auch im Bereich Leistungssport sind derartige Studien nötig, wie z.B. die von Tübingen geleitete COSMO-Studie, die sich mit dem Thema COVID-19 im Spitzensport befasst, an dem fast alle sportmedizinischen Zentren in Deutschland partizipieren (7) oder gemeinsame Positionspapiere der sportmedizinischen Institute (8)(9). Dies alles sind Initiativen, die für die Präventive Kardiologie ebenso wie die Sportmedizin und die DGSP von zentraler Bedeutung sind, um unser Fach an Universitäten zu verstetigen. Die Entwicklung der letzten Jahre in Heidelberg, Frankfurt, Freiburg und Hamburg hat gezeigt, wie schwierig die Situation ist. Es bedarf einer gemeinschaftlichen Anstrengung, die vom Wissenschaftsrat und den Lehrstühlen an den Universitäten weiter verfolgt werden muss.
Die Zusammenarbeit hat sich durch gemeinsame Aktivitäten des Wissenschaftsrates wie der Nachwuchsförderung oder gemeinsamen Forschungsprojekten und regelmäßigen zweiwöchigen ZOOM-Konferenzen in der COVID-Pandemie und jährlichen Treffen am Schneefernerhaus an der Zugspitze verfestigt. Noch mehr Aktivitäten sind notwendig. Aber auch auf internationalen Ebene sollten wir alle präsenter sein. Eine Mitgliedschaft und ein aktives Einbringen auch in die EAPC ist ein erster aber wichtiger Schritt. Dieser ist mehr als erwünscht!
■ Halle M
Quellen:
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