DZSM-MITTEILUNG

23.06.2019

Neues Ludwig-Boltzmann-Institut für digitale Gesundheit am Universitätsinstitut für Sportmedizin in Salzburg

Editorial von Prof. Josef Niebauer und Prof. Thomas Stütz aus der Ausgabe 6/2019 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Beide Wissenschaftler sind Leiter bzw. Co-Leiter des neuen Ludwig-Boltzmann-Instituts für digitale Gesundheit in Salzburg. Der Beitrag informiert über die Neueinrichtung des Instituts, in welchem fortan die Nachhaltigkeit von Lebensstiländerungen in einer digitalisierten Welt erforscht werden soll.

Neues Ludwig-Boltzmann-Institut für digitale Gesundheit am Universitätsinstitut für Sportmedizin in Salzburg
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In wenigen Wochen wird in Salzburg am Universitätsinstitut für präventive und rehabilitative Sportmedizin ein neues Ludwig Boltzmann Institut (LBI) Digital Health zur Verbesserung der Nachhaltigkeit von Lebensstiländerungen eingerichtet.

Unverändert sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD – Cardiovascular Diseases) die häufigste Todesursache weltweit und sind auch in Österreich für die meisten Todesfälle verantwortlich. CVD verursachen enorme persönliche, gesellschaftliche und ökonomische Probleme. In der CVD-Prävention und Behandlung sind gesunde Verhaltensweisen, insbesondere ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung, eine konsequente Medikamenteneinnahme sowie ein Verzicht auf Rauchen die wichtigsten Maßnahmen. Jedoch zeigen alle Daten eindeutig, dass es für CVD-Patienten, CVD-Risikogruppen und selbst für die breite Bevölkerung derzeit nicht möglich ist, diese Empfehlungen langfristig und nachhaltig umzusetzen.

Das Ziel des Projekts ist es, Patienten langfristig, nachhaltig, effizient und effektiv bei den gesundheitsfördernden Lebensstiländerungen zu unterstützen, um das Risiko und die Folgen von CVD zu verringern.

Professor Dr. Dr. Josef Niebauer, Ludwig Boltzmann Institut, Salzburg
Univ.-Prof. Dr. Dr. Josef Niebauer, MBA, Leiter Sportmedizin Uniklinikum Salzburg, Leiter Ludwig Boltzmann Institut, Salzburg © SALK / Wild & Team

Ausgangslage

Derzeit werden große Fortschritte in der Informationstechnologie erzielt. Einerseits sind diese Fortschritte in der Hardware, insbesondere bei Geräten wie Smartphones, Smartwatches, Aktivitäts- und Schlaftracker, aber auch bei denen zur kontinuierlichen mobilen Blutzuckermessung zu finden. Auch die Umgebung (Türschlösser, Haushaltsgeräte) wird intelligenter und programmierbarer. Andererseits sind diese Fortschritte in der Software und den Algorithmen, insbesondere beim maschinellen Lernen und der Datenanalyse (z.B. Algorithmen für selbstfahrende Autos, die kontinuierlich Kamerabilder auswerten). Zusätzlich werden immer mehr Daten verfügbar (Big-Data), die die Grundlage dieser Algorithmen bilden. So haben PatientInnen Zugriff auf Ihre medizinischen Daten aus dem Gesundheitssystem (ELGA).

Durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wird auch der Zugriff auf alle eigenen personenbezogenen Daten, auch wenn sie von Drittanbietern wie Facebook oder Google erfasst werden, sichergestellt. Die fortschreitende Digitalisierung und die vermehrte Nutzung digitaler Geräte und Dienste erlauben einen immer tieferen Einblick in das eigene Verhalten. Die Kenntnis über das eigene Verhalten ist die Voraussetzung für erfolgreiche Verhaltensänderungen, wie sie in der Verhaltenstherapie umgesetzt werden. Die Evidenz für die Effektivität von verhaltenstherapeutischen und auch algorithmen-gestützter verhaltenstherapeutischen Maßnahmen wird immer besser.

FH-Prof. Dr. Thomas Stütz Co-Leiter Ludwig Boltzmann Institut
FH-Prof. Dr. Thomas Stütz Co-Leiter, Ludwig Boltzmann Institut, Salzburg © Stütz

Potential und Vision

Die Kombination dieser Fortschritte hat das Potential, nachhaltige Lebensstiländerungen von PatientInnen und Risikogruppen zu unterstützen. Die Vision ist es, ausgehend von der Modellregion Salzburg zuerst CVD-PatientInnen und dann die breite Bevölkerung mit Hilfe von neuen digitalen Möglichkeiten bei gesundheitsfördernden Lebensstiländerungen zu unterstützen. In der Umsetzung werden PatientInnen und die Bevölkerung aktiv eingebunden. Langfristig profitiert nicht nur die Gesundheit der einzelnen Betroffenen von der Arbeit des LBI, sondern auch die allgemeine Bevölkerung, sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf volkswirtschaftlicher Ebene.

Digitale Technik und Erkenntnisse aus Psychologie werden kombiniert, um auf Basis moderner Datenanalyse und maschinellem Lernen medizinisch überprüfte, gesundheitsfördernde personalisierte Hilfestellungen für PatientInnen automatisch und rechtzeitig bereitzustellen (Just-In-Time Interventions). Den PatientInnen wird z.B. konkret ein sicherer und benutzerfreundlicher digitaler Gesundheitsassistent zur Verfügung gestellt werden. Die Hilfestellungen berücksichtigen das lokale Umfeld und geographische Gegebenheiten, sowie die persönlichen Präferenzen der PatientInnen.

Zusätzlich wird für und mit den PatientInnen und BürgerInnen ein sicheres und benutzerfreundliches Tool zur Kontrolle und zur sicheren Auswertung und Verwertung ihrer gesundheitlich relevanten Daten entwickelt, auch von Daten die von Drittanbietern erfasst wurden. Dieses Tool erleichtert den Gewinn von wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen (Evidenz) in Form von groß angelegten Studien. In der Modellregion Salzburg wird diese bürger-unterstützte, offene gesundheitswissenschaftliche Forschung ausgehend vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Digital Health, über den Zeitraum von sieben Jahren durchgeführt, soll aber durch den Weiterbestand und den Ausbau des Instituts und das Zurverfügungstellen der entwickelten Soft- und ggf. Hardware dauerhaft gesichert werden.

Das interdisziplinäre internationale LBI-Forschungsteam setzt sich aus Medizinern, Computerwissenschaftlern und Neurowissenschaftlern zusammen und arbeitet gemeinsam mit lokalen Experten des Universitätsinstituts für präventive und rehabilitative Sportmedizin der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg daran, die Probleme der CVD-Rehabilitation und Prävention zu lösen.

Die Finanzierung erstreckt sich über 7 Jahre und ist mit insgesamt 10 Millionen Euro dotiert. Die Mittel stammen zum einen von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft und zum anderen vom Land Salzburg sowie den unten genannten Konsortialpartnern. Ziel des LBIs ist es mittels bereits vorhandener, aber auch neu zu schaffender digitaler Möglichkeiten Patienten dabei zu helfen, ihre realistischen Lebensstiländerungen nachhaltig umzusetzen. Begonnen wird mit Herzpatienten der ambulanten kardiologischen Rehabilitation; bei Erfolg sollen andere Patientengruppen, aber auch Gesunde in Studien eingeschlossen werden.

Konsortialpartner und Synergien

Das Uniklinikum Salzburg, und hier federführend die Sportmedizin, bringen aktuelles medizinisches Wissen und eine aktive ambulante CVD-Rehabilitation ein. Dadurch wird die direkte Patientenanbindung und Patienten-zentrierte Entwicklung ermöglicht. Der universitäre Lehrbetrieb der PMU ermöglicht die Verbreitung der Projektergebnisse unter und die Einbindung in die interdisziplinäre Forschung von angehenden Ärzten.

Der Studiengang Multimediale Technologien (MMT) der Fachhochschule Salzburg (FHS) bietet einen Bachelor- und Masterstudium mit dem Schwerpunkt Softwareentwicklung an. MMT wird gemeinsam mit dem Fachbereich Computerwissenschaften das Masterstudium Human-Computer-Interaction starten. Die FHS bietet auch Studien in den Gesundheitswissenschaften an, z.B. in den Studiengängen Biomedizinische Analytik, Gesundheits- und Krankenpflege und Physiotherapie. Es wurden bereits gemeinsame interdisziplinäre mHealth-Forschungsprojekte durchgeführt. Durch die Einbindung der FHS wird die Verbreitung der Projektergebnisse auch in der Lehre gesundheitswissenschaftlicher Studiengänge ermöglicht.

Die Universität Salzburg und die Fachbereiche Computerwissenschaften und Mathematik betreiben gemeinsam den Masterstudiengang Data-Analysis. Die Einbindung dieses Konsortialpartners ermöglicht, dass aktuellste Ergebnisse der Grundlagenforschung zu maschinellem Lernen, Datenanalyse und Statistik in dem LBI angewandt werden.

Die SalzburgResearch Forschungsgesellschaft erforscht und entwickelt intelligente, vernetzte und mobile Systeme im Internet der Dinge, insbesondere für die Bereiche Verkehr / Mobilität und Digitalisierung des Sports. SalzburgResearch kann für das LBI wichtige Beiträge für die Einbettung von Bewegung in den Alltag und die Digitalisierung und dadurch Optimierung von Bewegungsabläufen bieten.

Das Austrian Institute of Technology beheimatet Arbeitsgruppen zu Human Computer Interaction und eHealth und hat langjährige Erfahrung in der Entwicklung von mHealth-Lösungen, insbesondere in der Anbindung dieser an die elektronische Gesundheitsakte ELGA und bestehende Krankenhausinformationssysteme. Wir sind sehr froh über die Anerkennung der klinischen und wissenschaftlichen Arbeit in der Sportmedizin, die wir durch dieses neue LBI erfahren dürfen und sehen hier große Möglichkeiten für zukunftsweisende Projekte gemeinsam mit anderen sportmedizinischen Instituten auch in Deutschland, sowie auch weiteren interdiszipli-
nären Kooperationen.

■ Niebauer J, Stütz T