DZSM-MITTEILUNG

20.01.2017

Pro & Contra: Krankenkassen – Bonussystem für Gesundheitsbewusste?

Übergewicht und Bewegungsmangel als Hauptursache chronischer Krankheiten gelten weltweit als größtes Gesundheitsrisiko. Die Kosten für die Behandlung dieser überwiegend durch ungesunde Lebensführung verursachten Erkrankungen belasten das Gesundheitssystem Jahr für Jahr mit höheren Milliardenbeträgen. Können Vergünstigungen für Gesundheitsbewusste in der Krankenversicherung diese Situation verbessern? Das erörtern Prof. Braumann, Facharzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin sowie Präsident des Deutschen Sportärztebundes e. V. (DGSP), und Prof. Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München.

Pro & Contra: Krankenkassen – Bonussystem für Gesundheitsbewusste?
© electriceye
Prof. Dr. med. Klaus-Michael Braumann: Pro Bonussystem für Gesundheitsbewusste

Eine Modifikation des Lebensstils hin zu gesundheitsförderndem Verhalten könnte die Zahl chronischer Erkrankungen entscheidend verringern. Derartige Versuche stehen seit vielen Jahren im Fokus überwiegend psychologischer Konzepte. Trotz beeindruckender Anstrengungen auf diesem Gebiet sind die Ergebnisse jedoch überschaubar.

In Konzepten zur Lebensstilveränderung werden auch Belohnungssysteme diskutiert; danach sollen Menschen für nachweisliche individuell erreichte Veränderungen ihrer gesundheitlichen Risiken belohnt werden. Derartige Überlegungen werden schnell als Angriff auf das Solidarsystem oder mit dem Hinweis auf den Suchtcharakter von Essstörungen abgewürgt. Dabei dürften Übergewicht und Bewegungsmangel bei den meisten Betroffenen eher Ausdruck von Bequemlichkeit sein, die durch kleine Belohnungen durchaus verändert werden könnte.

Eine amerikanische Krankenversicherung kündigte für Patienten mit erhöhtem Risiko durch eine chronische Erkrankung eine empfindliche Beitragserhöhung an; alternativ sollten die Versicherten im Schnitt 5.000 Schritte pro Tag absolvieren. Von insgesamt 6.500 Versicherten, die sich teilweise unter erheblichem Protest zur vermehrten körperlichen Aktivität entschlossen, erreichten 97 Prozent (!) das Ausmaß der vorgenommenen Aktivitäten.

Eine Umsetzung hierzulande könnte relativ einfach sein. Bei Interessierten werden ausgewählte gesundheitlich relevante Daten dokumentiert und in Form eines Scores bewertet. Bei Verbesserung dieses Scores innerhalb einer bestimmten Zeit erfolgt eine Belohnung. Es ist verwunderlich, warum bis heute noch keine Krankenversicherung ein derartiges Konzept zumindest einmal ausprobiert hat; auch im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements würden sich derartige Projekte anbieten.

Bild Klaus-Michael Braumann
Prof. Dr. med. Klaus-Michael Braumann, Präsident des Deutschen Sportärztebundes (DGSP) © Braumann

Univ.-Prof. Dr. Günter Neubauer: Contra Bonussystem für Gesundheitsbewusste

Im Gesundheitswesen sind sich alle einig, dass das wichtigste Ziel sein muss, die Gesundheit zu fördern. Nicht nur das persönliche Wohlergehen des Einzelnen ist dafür die treibende Kraft, sondern auch wirtschaftliche Aspekte. Doch über das richtige Instrument für die Gesundheitsförderung gibt es unterschiedliche Ansichten. Besonders in der privaten (PKV) und der gesetzlichen (GKV) Krankenversicherung sind die Voraussetzungen diametral verschieden. Private Versicherer teilen die Versicherten in Risikogruppen ein und möchten diese Risiken adäquat in ihren Prämien abbilden. Die gesetzlichen Krankenkassen basieren auf dem Solidarprinzip und möchten/dürfen dies nicht.

Bei Bonus-Malus-Systemen wird der (mutmaßlich) Gesunde belohnt (vergünstigte Beiträge, Prämien), der Kranke belastet. Während dieses System in der PKV aufgrund der Risikokalkulation eingesetzt werden kann und darf, wird der dadurch entstehende Risikobezug der Versicherungsbeiträge in der GKV nicht gewünscht.

Für die GKV muss es das Ziel sein, ein System zu entwickeln, das Risikopatienten dazu motiviert, sich gesünder zu verhalten. Zu belohnen wäre eher, wenn Übergewichtige Gewicht reduzieren, als wenn Gesunde zehn Kilometer laufen. Bonus-Malus-Systeme, das ist bekannt, sind jedoch nur bedingt dazu geeignet, die Risikopatienten zu erreichen. Vielmehr bergen solche Systeme die Gefahr, den Zweck der GKV auszuhöhlen, statt ihn zu fördern: Risikopatienten oder Kranke werden mit höheren Beiträgen oder dem Fehlen von Vergünstigungen belastet, während gerade diese Gruppe spezielle Förderung und Anreize bräuchte. Die Kostenlast wird folglich zu Ungunsten der Kranken verlagert.

Wünschenswert wäre jedoch ein System, das auch bei Risikopatienten wirksam ist und damit das Potenzial hat, die Kosten im System zu senken.

Bild Günter Neubauer
Univ.-Prof. Dr. Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG), München © Neubauer

 

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