DZSM-MITTEILUNG

08.06.2023

Klinische Sportmedizin – Interdisziplinarität und Kollegialität feiern Jubiläum

Editorial der Ausgabe 4/2023 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin zum Sports, Medicine and Health Summit 2023 (SMHS). Prof. Dr. Dr. Claus Reinsberger ist Kongresspräsident des SMHS 2023. Sein Wunsch ist es, den Geist der interdisziplinären und interkollegialen Sportmedizin während des Summits und auch in den kommenden Jahrzehnten zunehmend zu praktizieren.

Klinische Sportmedizin – Interdisziplinarität und Kollegialität feiern Jubiläum

Vermutlich gibt es wenige medizinische Disziplinen, die interdisziplinärer als die klinische Sportmedizin sind. Viele Klinikerinnen und Kliniker aus unterschiedlichen Fachdisziplinen ebenso wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen sich gemeinsam mit Fragestellungen rund um Sport und körperliche Aktivität in Verbindung mit Gesundheit, Prävention, Therapie und Leistungsentwicklung.

Facettenreichtum

Wohl kaum ein anderes Fach hat so viele wissenschaftliche und klinische Facetten, in welche die Expertise von Spezialisten eingebracht wird, die aber erst durch den interdisziplinären Austausch und das oft zitierte ‚über den Tellerrand schauen‘ erfolgreich bearbeitet werden. Dabei bezieht sich die Interdisziplinarität nicht nur auf die verschiedenen klinischen Disziplinen, sondern auch auf multiple Grundlagenwissenschaften, die allesamt die Faszination für die Effekte von Sport und Bewegung eint.

Der Facettenreichtum schließt dabei die präventiven Aspekte von Sport und körperlicher Aktivität in nahezu allen klinischen Krankheitsbildern mitsamt ihren Vorsichtsmaßnahmen zum sicheren Sporttreiben genauso ein wie die Betreuung von Athletinnen und Athleten im Leistungssport, wo die Entwicklung der maximalen Leistung in der Regel nur bei bestmöglicher Gesundheit gegeben ist. Welches andere Fach bietet eine solche Breite an (zumeist positiv besetzten) Themen?

Leider ist es in Deutschland jedoch (noch) nicht möglich ist, sich auf Facharztniveau in diese Aspekte hinein zu vertiefen, um sie in die breite, klinische Anwendung zu bringen. Vielleicht müssen wir an dieser Stelle noch etwas mehr über den Tellerrand schauen und selbstbewusster mit unserem Fach umgehen.

Interaktivität, Kollegialität und Fairness

Neben der beschriebenen Interdisziplinarität lehrt uns der Sport, kompetitiv und gleichzeitig interaktiv, kollegial und fair zu sein. Im Mannschaftssport ist die Gemeinschaft der Mitspielenden immer besser als die Summe der einzelnen Individuen. Auch diese Analogie lässt sich vielfach auf die Sportmedizin übertragen, vielleicht auch, weil viele sportmedizinisch tätige Kolleginnen und Kollegen aktiv Sport treiben oder getrieben haben.

Sports, Medicine and Health Summit 2023

All diese Eigenschaften der klinischen, angewandten Sportmedizin werden durch den Sports, Medicine and Health Summit 2023 vom 22. bis 24. Juni im CCH in Hamburg verkörpert. Das 50. Jubiläum des Deutschen Sportärztekongresses steht dabei im Zentrum von drei sicher spannenden und produktiven Tagen, die neben Vernetzung und wissenschaftlichem Austausch insbesondere klinisch tätige Kolleginnen und Kollegen durch ein erheblich erweitertes Fort- und Weiterbildungsprogramm ansprechen.

Zudem wird durch die „Global Alliance against Physical Inactivity“ im Rahmen der Jahrestagung der European Initiative for Exercise in Medicine ein weiterer Meilenstein in der weltweiten Promotion von Sport und körperlicher Aktivität in der Prävention und Therapie von Erkrankungen präsentiert. Darüber hinaus ist ein großer Teil des Programms dem praktischen Transfer sportmedizinischer Erkenntnisse gewidmet. Im Sinne der zuvor beschriebenen Interdisziplinarität bringt der Summit alle an sportmedizinischen Themen interessierten und beteiligten Berufsgruppen zusammen – das lässt die Tradition des Deutschen Sportärztekongresses zum 50. mal aufleben.

Schwerpunktthemen

Durch die Schwerpunktthemen beim Summit werden aktuelle Aktivtäten in der deutschen Sportmedizin abgebildet. Nachwirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie – insbesondere mit Fokus auf Long- oder Post-COVID-Syndromen – sind in Praxen und Kliniken immer noch allgegenwärtig. Vor allem hier bieten sporttherapeutische Interventionen Optionen, die in der klinischen Medizin oft nicht zu finden sind. Im Rahmen eines einzigartigen Verbundprojekts zur Erforschung der (Aus-)Wirkungen von Sport auf und bei COVID-19 (CoSmo-S) wird zudem die zuvor beschriebene Interdisziplinarität und Kollegialität deutlich (3).

Ebenfalls dient der Rückenschmerz als große Volkserkrankung als ein weiteres Beispiel dafür, wie große interdisziplinäre nationale Forschungsprojekte in klinische Empfehlungen münden können (2).

Aus verschiedenen Gründen sind die sportmedizinische Forschung und Versorgung im Leistungssport zuletzt ein wenig in den Hintergrund getreten. Dass und wie diese jedoch auch ohne unerlaubte Mittel und Methoden maßgeblich zur Leistungsfähigkeit, Gesunderhaltung oder Wiederherstellung von Gesundheit von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern beitragen können, lässt sich nicht nur regelmäßig bei sportlichen Großveranstaltungen belegen (6), sondern wird auch zentraler Bestandteil des Summits sein.

Last but not least und auch durch meine eigene Forschungs- und klinische Tätigkeit begründet, thematisiert der Summit Aspekte der Sportneurologie – eine noch junge sportmedizinische und neurologische Subdisziplin. Das klinische und wissenschaftliche Spektrum beinhaltet dabei viel mehr als nur die sportassoziierte Concussion oder andere Verletzungen oder Überlastungsschäden des peripheren und zentralen Nervensystems. Auch differenzierte sporttherapeutische Interventionen bei neurologischen Erkrankungen oder der Transfer neurowissenschaftlicher Mechanismen in effektive Trainingsprogramme zur Förderung von Gesundheit, Regeneration und Leistung wären hier zu nennen.

Wie auch in so vielen anderen sportmedizinischen Spezialdisziplinen stehen dabei nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Ältere im Fokus von Leistungs- und Breitensport. Erhöhte klinische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren in diesem Zusammenhang aktuell auch Trainingsinterventionen, die systematische neurokognitive und differenzierte motorische Beanspruchung im Rahmen von kognitiv-motorischem Training kombinieren. Solche Programme mit ihrer Wirksamkeit sind bereits gut für Ältere (z.B. bei der Sturzprophylaxe) mit Evidenz etabliert (5) und werden nun auch auf andere Zielgruppen und Indikationen (z.B. im Rahmen von Sport-induzierter Concussion oder im Leistungssport) ausgeweitet (1).

Herausforderung interdisziplinäre Sportmedizin

Ich wünsche mir, dass wir den Geist der interdisziplinären, interkollegialen Sportmedizin auch in den kommenden Jahrzehnten weiter und zunehmend praktizieren. Immense Aufgaben liegen vor uns, doch Ansätze liegen durch die mannigfaltigen Indikationen und Therapieeffekte sowohl klinisch als auch wissenschaftlich ausreichend bereit. Es liegt an uns, diese Herausforderungen anzunehmen und zu lösen.

In diesem Sinne hoffe ich, dass wir alle im Rahmen des Summits zusammenkommen, uns austauschen und die interdisziplinäre Sportmedizin kollegial leben.

Prof. Dr. Dr. Claus Reinsberger 2018
Prof. Dr. Dr. Claus Reinsberger, Kongresspräsident Sports, Medicine and Health Summit 2023 / 50. Sportärztekongress der DGSP © Reinsberger

■ Reinsberger C

Hier finden Sie alle wichtigen Informationen zum Sports, Medicine and Health Summit 2023

Quellen:

  1. Büttner F, Howell DR, Ardern CL, Doherty C, Blake C, Ryan J, Catena R, Chou LS, Fino P, Rochefort C, Sveistrup H, Parker T, Delahunt E. Concussed athletes walk slower than non-concussed athletes during cognitive-motor dual-task assessments but not during single-task assessments 2 months after sports concussion: a systematic review and meta-analysis using individual participant data. Br J Sports Med. 2020; 54: 94-101. doi:10.1136/bjsports-2018-100164

  2. Niederer D, Pfeifer AC, Engel T, Block A, Schäfer R, Floessel P, Beck H, Platen P, Schiltenwolf M, Schneider C, Wippert PM, Vogt L, Mayer F. Dose-response relationship and effect modifier of stabilisation exercises in nonspecific low back pain: a project-wide individual patient data re-analysis on 1483 intervention participants. Pain. 2023; 164: 1087-1095. doi:10.1097/j.pain.0000000000002801

  3. Niess AM, Widmann M, Gaidai R, Gölz C, Schubert I, Castillo K, Sachs JP, Bizjak D, Vollrath S, Wimbauer F, Vogel A, Keller K, Burgstahler C, Quermann A, Kerling A, Schneider G, Zacher J, Diebold K, Grummt M, Beckendorf C, Buitenhuis J, Egger F, Venhorst A, Morath O, Barsch F, Mellwig KP, Oesterschlink J, Wüstenfeld J, Predel HG, Deibert P, Friedmann-Bette B, Mayer F, Hirschmüller A, Halle M, Steinacker JM, Wolfarth B, Meyer T, Böttinger E, Flechtner-Mors M, Bloch W, Haller B, Roecker K, Reinsberger C. COVID-19 in German Competitive Sports: Protocol for a Prospective Multicenter Cohort Study (CoSmo-S). Int J Public Health. 2022; 67: 1604414. doi:10.3389/ijph.2022.1604414

  4. Reinsberger C. Sportsneurology – Concussion, Peripheral Nerve Injuries and Beyond [Neurologische Sportmedizin – weit mehr als Gehirnerschütterungen und periphere Nervenschäden]. Dtsch Z Sportmed. 2018; 69: 307-310. doi:10.5960/dzsm.2018.347

  5. Schoene D, Valenzuela T, Lord SR, de Bruin ED. The effect of interactive cognitive-motor training in reducing fall risk in older people: a systematic review. BMC Geriatr. 2014; 14: 107. doi:10.1186/1471-2318-14-107

  6. Tanaka H, Tanaka S, Yokota H, Otomo Y, Masuno T, Nakano K, Sugita M, Tokunaga T, Sugimoto K, Inoue J, Kato N, Kinoshi T, Sakanashi S, Inoue H, Numata H, Nakagawa K, Miyamoto T, Akama T. Acute in-competition medical care at the Tokyo 2020 Olympics: a retrospective analysis. Br J Sports Med. 2023: bjsports-2022-105778. doi:10.1136/bjsports-2022-105778