DZSM-MITTEILUNG

02.04.2023

Herz und Sport – eine unendliche Geschichte

Herz und Sport – eine unendliche Geschichte
© Naeblys / Adobe Stock

Herbert Reindell aus Freiburg hat 1960 mit seiner Monographie „Herz, Kreislaufkrankheiten und Sport“ einen sportkardiologischen Meilenstein gesetzt (10). Als klinischer Kardiologe mit persönlichen Beziehungen zum Sport hat er frühzeitig die physiologischen und pathophysiologischen Interaktionen zwischen Kardiologie und Sportmedizin erkannt und wissenschaftlich untersucht. Seinem Schüler Joseph Keul gelang es 1985, eine Arbeitsgruppe „Sportmedizin“ in der Deutschen Gesellschaft für Herz- und Kreislaufforschung, heute Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK), zu etablieren. Das Thema der ersten Sitzung war „Sportliche Belastbarkeit bei herzoperierten Patienten“.

Etablierung der AG Sportkardiologie

1995 wurde bei der DGK die Arbeitsgruppe „Körperliche Belastbarkeit bei nichtkoronaren Herzerkrankungen“ eingerichtet. Sprecher waren Hans-Hermann Dickhuth, Tübingen und Wilfried Kindermann, Saarbrücken. In konstruktiver Zusammenarbeit mit dem damaligen Geschäftsführer der DGK, Gunther Arnold, gelang es 2005 die neue AG32 „Sportkardiologie“ zu gründen. Jürgen Scharhag aus Saarbrücken, heute Wien, hat sowohl organisatorisch als auch inhaltlich wesentlich zur Etablierung der AG32 beigetragen. Die erste Sitzung, abgehalten bei der Frühjahrstagung der DGK 2006, befasste sich mit kardiovaskulären Sporttauglichkeitsuntersuchungen und fand vor einem überfüllten Auditorium statt (Abbildung 1).

Sportkardiologie, AG32 „Sportkardiologie“, Hauptsitzung 2006
Abb.1: Programm der ersten Sitzung der AG32 Sportkardiologie. © DZSM 2023

Die Zusammenarbeit zwischen Kardiologie und Sportmedizin gipfelte in der Zusatzqualifikation „Sportkardiologie“. Die dreistufige Qualifikation ist eine Kooperation zwischen der DGK und der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP). Körperliche Aktivität und Sport erfordern sowohl in der Primär- und Sekundärprävention als auch im Leistungssport kardiologische und sportmedizinische Expertise. Die sportkardiologische Versorgung soll auf der Basis einheitlicher Standards optimiert werden. Was mit Reindell vor über einem halben Jahrhundert begann, hat damit auch formal einen vorläufigen Abschluss gefunden.

Sportkardiologische Studien/Empfehlungen

Aus inhaltlicher Sicht hat sich Vieles zwischenzeitlich getan. Der präventive Effekt regelmäßiger körperlicher Aktivität einschließlich der zu beachtenden Kriterien ist heute gut belegt (Level IA). Von der Weiterentwicklung der bildgebenden Diagnostik hat auch die Sportkardiologie profitiert. Andererseits wurden Befunde generiert, deren Dignität teilweise kontrovers diskutiert wird. Molekulargenetische Untersuchungen haben die Risikoabschätzung bei verschiedenen Herzerkrankungen erleichtert, molekulare Autopsien helfen bei der Aufklärung plötzlicher Herztodesfälle beim Sport.

Exemplarisch und als pars pro toto seien sportkardiologische Studien/Empfehlungen aus den letzten Jahren genannt. Obwohl die meisten physiologischen Veränderungen im EKG des Sportlers bereits 1960 von Reindell beschrieben worden sind, haben die publizierten internationalen Empfehlungen zur Interpretation des Sportler-EKGs (11) praktische Relevanz, insbesondere im Hinblick auf Fehldiagnosen. Vorausgegangen waren mehrere Konsensusempfehlungen, um die Rate falsch-positiver Befunde zu senken. Eingeschlossen wurden auch die häufigeren Repolarisationsveränderungen bei schwarzen Athleten. Analog zum EKG ist auch die linksventrikuläre Hypertrophie bei schwarzen Athleten ausgeprägter als bei weißen (5, 8).

Die aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) 2020 für Sportkardiologie (9) sind gegenüber früher weniger restriktiv. Patienten/Sportler sollen in die Entscheidungen eingebunden werden („shared decision making“). Ich überblicke als Arzt fast sechs Jahrzehnte und habe noch erlebt, dass Patienten nach einem Herzinfarkt sechs Wochen strenge Bettruhe einhalten mussten. Heute wäre das ein Kunstfehler. Inzwischen ist sogar Leistungssport bei einigen Herzerkrankungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.

Bei einigen Herzerkrankungen könnte man sogar von einem Paradigmenwechsel sprechen. Das betrifft beispielsweise die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM), die früher als absolute Kontraindikation für Leistungssport galt. Erinnert sei an die HCM des früheren Fußballnationalspielers Gerald Asamoah, dessen Spielerlaubnis in den Laien- aber auch medizinischen Medien jahrelang hin und her diskutiert worden ist. Es existieren mittlerweile kleinere Studien, die offensichtlich zu einer vorsichtigen Öffnung geführt haben. Auch ein positiver Genotyp wird bei phänotypisch negativen Sportlern nicht mehr als Kontraindikation betrachtet. Demgegenüber darf bei arrhythmogener Kardiomyopathie unverändert kein Leistungssport betrieben werden, da dieser den Krankheitsverlauf beschleunigen kann. Die Sportpause nach Myokarditis war früher nahezu dogmatisch auf sechs Monate festgelegt worden. Das aktuell empfohlene individualisierte Prozedere kann zu einer deutlichen Verkürzung der Sportpause führen.

Die Corona-Pandemie hat zu einer allgemeinen Verunsicherung geführt, auch medizinisch betrachtet. Sportkardiologische Expertise war gefragt, denn die Pandemie hat quer durch den Sport eine Schneise hinterlassen. Bewegung, freizeitsportliche Aktivitäten und Leistungssport haben gelitten. Nach anfänglicher sportmedizinischer Overprotection wuchs die Erkenntnis, körperlich Fitte tolerieren die Infektion besser. Es gibt keinen Hinweis auf eine höhere kardiale Mitbeteiligung bei Sportlern. Auch die anfänglich angenommenen hohen Zahlen von Myokarditiden, induziert durch das Coronavirus, konnten später nicht bestätigt werden. Die meisten Coronainfektionen verliefen asymptomatisch oder mild. Nach zwei Jahren wissenschaftlicher und praktischer Erkenntnis wurden frühere Empfehlungen revidiert. Es wird lediglich eine dreitägige Sportpause nach Diagnose bzw. Symptomfreiheit empfohlen (13).

Sportkardiologische Herausforderungen

Was bleibt zukünftig zu tun? Aus dem Bündel sportkardiologischer Herausforderungen seien einige kurz angerissen. Nach wie vor wird mit Begriffen wie Leistungssportler („athletes“) oder gar Eliteathleten („elite athletes“) großzügig umgegangen, auch in Publikationen hochrangiger Journals (1). Nicht jeder Wettkampfsportler ist so zu kategorisieren. Voraussetzung sollte die Teilnahme an mindestens überregionalen Meisterschaften sein, im Idealfall (Eliteathleten) an nationalen/internationalen Meisterschaften bis hin zu Olympischen Spielen. Die notwendigen sportlichen Leistungen setzen hohe Trainingsumfänge und -intensitäten voraus, die in vielen Sportarten zu maximalen leistungsphysiologischen Anpassungen führen. Wettkampfsport auf niedrigerer Ebene erfüllt nicht durchgehend diese Rahmenbedingungen.

Das zweite wesentliche Kriterium ist die Sportart. Ausdauersport (Prototyp Langstreckenlauf) und Kraftsport (Prototyp Gewichtheben) begrenzen das Sportartenspektrum. Die Beachtung dieser Kriterien erleichtert aus kardiologischer Sicht physiologische von pathologischen Veränderungen zu differenzieren. Befunde aus Studien mit gemischten Sportlerkollektiven sollten zurückhaltend interpretiert werden. In Studien mit ausschließlich Eliteathleten ist a priori die Teilnehmerzahl limitiert.

Das Belastungs-EKG, eine Domäne der Sportmedizin, hat in diesem Jahrtausend Federn lassen müssen. In den aktuellen Leitlinien wird das Belastungs-EKG bei der nichtinvasiven Diagnostik der koronaren Herzerkrankung bzw. dem chronischen Koronarsyndrom abgewertet (6). Es ist nicht überraschend, wenn moderne bildgebende Verfahren das Belastungs-EKG in der Ischämiediagnostik überrunden. Aber zu welchem Preis? Aus ökonomischer Sicht kann ein Koronar-CT im Rahmen der Primärprävention keine First-Line-Diagnostik sein. Die insbesondere geringere Sensitivität des Belastungs-EKGs (12) sollte unser Bewusstsein schärfen, trotz negativem Befund, aber entsprechendem klinischen Verdacht, weitere diagnostische Maßnahmen durchzuführen.

Das Belastungs-EKG ist aber mehr als ein Ischämietest. Ventrikuläre Arrhythmien wurden mit einer Häufigkeit von 5% trotz normaler Anamnese, klinischem Befund und Ruhe-EKG beschrieben (14) und können auf ein arrhythmogenes myokardiales Substrat hinweisen. Das Blutdruckverhalten unter Belastung ist ein wichtiges Indiz in der Hypertoniediagnostik. Eine kürzliche Studie berichtete über eine Prävalenz der Belastungshypertonie bei Sportlern von 6,8-19,6% (4). Es gibt genügend Gründe zu prognostizieren, das Belastungs-EKG wird seinen Stellenwert behalten. Allerdings fehlen prospektive Längsschnittstudien, um beispielsweise das kardiovaskuläre Risiko belastungsinduzierter Arrhythmien und hypertensiver Blutdruckanstiege bei Sportlern zu beurteilen.

Ist extensiver Ausdauersport gesund? Mehr Koronarkalk und myokardiale Fibrosen bei Ausdauersportlern, insbesondere Marathonläufern (2, 3), das waren zunächst alarmierende Botschaften. Die atherosklerotischen Plaques in den Koronargefäßen der Sportler sind überwiegend kalzifiziert, also stabiler, so dass das Risiko einer Plaqueruptur wahrscheinlich geringer ist. Die Plaquestabilisierung wird verglichen mit dem Effekt von Statinen. In einer zehnjährigen Beobachtungsstudie an Männern unterschiedlichen Alters wird berichtet, dass die sportlich aktivsten Teilnehmer unabhängig vom Koronarkalk die niedrigste Mortalität aufwiesen (7). Über die Ursachen von vermehrtem Koronarkalk und Fibrosierung bei Ausdauersportlern kann bisher nur spekuliert werden. Als eine mögliche Ursache für die nichtischämischen Myokardfibrosen wird eine subklinische Myokarditis angenommen. Die klinische Relevanz der im Kardio-MRT nachgewiesenen fokalen Fibrosen wird bezweifelt (2). Bisher gibt es keinen Hinweis, dass exzessives Ausdauertraining zu einem Anstieg der Gesamt- und kardiovaskulären Mortalität führt. Es besteht erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich Mechanismen und prognostischer Bedeutung. Baggish formuliert treffend „…more questions than answers“ (2).

Für die Sportkardiologie gibt es genug zu tun. Mit der neu geschaffenen Zusatzqualifikation kann kardiologisches Knowhow mit sportmedizinischer leistungssportlicher Erfahrung einschließlich Entwicklung von Studiendesigns effektiv kombiniert werden.

Univ.-Prof. em. Dr. med. Wilfried Kindermann
Univ.-Prof. em. Dr. med. Wilfried Kindermann war über 40 Jahre lang Schriftleiter der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin. Er ist Ehrenbeiratsmitglied der DZSM und Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin. © Kindermann

■ Kindermann W

Quellen:

  1. Araújo CG, Scharhag J. Athlete: a working definition for medical and health sciences research. Scand J Med Sci Sports. 2016; 26: 4-7. doi:10.1111/sms.12632

  2. Baggish AL. Focal fibrosis in the endurance athlete’s heart: running scarred or running scared? JACC Cardiovasc Imaging. 2018; 11: 1271-1273. doi:10.1016/j.jcmg.2017.09.015

  3. Baggish AL, Levine BD. Coronary artery calcification among endurance athletes: „Hearts of Stone“. Circulation. 2017; 136: 149-151. doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.117.028750

  4. Keller K, Hartung K, Del Castillo Carillo L, Treiber J, Stock F, Schröder C, Hugenschmidt F, Friedmann-Bette B. Exercise hypertension in athletes. J Clin Med. 2022; 11: 4870. doi:10.3390/jcm11164870

  5. Kindermann W, Scharhag J. Das afrikanische/afrokaribische Sportherz. Dtsch Z Sportmed. 2016; 67: 18-22. doi:10.5960/dzsm.2015.213

  6. Knuuti J, Wijns W, Saraste A, Capodanno D, Barbato E, Funck-Brentano C, Prescott E, Storey RF, Deaton C, Cuisset T, Agewall S, Dickstein K, Edvardsen T, Escaned J, Gersh BJ, Svitil P, Gilard M, Hasdai D, Hatala R, Mahfoud F, Masip J, Muneretto C, Valgimigli M, Achenbach S, Bax JJ; ESC Scientific Document Group. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J. 2020; 41: 407-477. doi:10.1093/eurheartj/ehz425

  7. DeFina LF, Radford NB, Barlow CE, Willis BL, Leonard D, Haskell WL, Farrell SW, Pavlovic A, Abel K, Berry JD, Khera A, Levine BD. Association of all-cause and cardiovascular mortality with high levels of physical activity and concurrent coronary artery calcification. JAMA Cardiol. 2019; 4: 174-181. doi:10.1001/jamacardio.2018.4628

  8. Papadakis M, Carre F, Kervio G, Rawlins J, Panoulas VF, Chandra N, Basavarajaiah S, Carby L, Fonseca T, Sharma S. The prevalence, distribution, and clinical outcomes of electrocardiographic repolarization patterns in male athletes of African/Afro-Caribbean origin. Eur Heart J. 2011; 32: 2304-2313. doi:10.1093/eurheartj/ehr140

  9. Pelliccia A, Sharma S, Gati S, Bäck M, Börjesson M, Caselli S, Collet JP, Corrado D, Drezner JA, Halle M, Hansen D, Heidbuchel H, Myers J, Niebauer J, Papadakis M, Piepoli MF, Prescott E, Roos-Hesselink JW, Graham Stuart A, Taylor RS, Thompson PD, Tiberi M, Vanhees L, Wilhelm M; ESC Scientific Document Group. 2020 ESC Guidelines on sports cardiology and exercise in patients with cardiovascular disease. Eur Heart J. 2021; 42: 17-96. doi:10.1093/eurheartj/ehaa605

  10. Reindell H. Herz, Kreislaufkrankheiten und Sport. Johannes Ambrosius Barth Verlag, München, 1960.

  11. Sharma S, Drezner JA, Baggish A, Papadakis M, Wilson MG, Prutkin JM, La Gerche A, Ackerman MJ, Borjesson M, Salerno JC, Asif IM, Owens DS, Chung EH, Emery MS, Froelicher VF, Heidbuchel H, Adamuz C, Asplund CA, Cohen G, Harmon KG, Marek JC, Molossi S, Niebauer J, Pelto HF, Perez MV, Riding NR, Saarel T, Schmied CM, Shipon DM, Stein R, Vetter VL, Pelliccia A, Corrado D. International recommendations for electrocardiographic interpretation in athletes. J Am Coll Cardiol. 2017; 69: 1057-1075. doi:10.1016/j.jacc.2017.01.015

  12. Singh T, Bing R, Dweck MR, van Beek EJR, Mills NL, Williams MC, Villines TC, Newby DE, Adamson PD. Exercise electrocardiography and computed tomography coronary angiography for patients with suspected stable angina pectoris: a post hoc analysis of the randomized SCOT-HEART Trial. JAMA Cardiol. 2020; 5: 920-928. doi:10.1001/jamacardio.2020.1567

  13. Steinacker JM*, Schellenberg J*, Bloch W, Deibert P, Friedmann-Bette B, Grim C, Halle M, Hirschmüller A, Hollander K, Kerling A, Kopp C, Mayer F, Meyer T, Niebauer J, Predel HG, Reinsberger C, Röcker K, Scharhag J, Scherr J, Schmidt-Trucksäss A, Schneider C, Schobersberger W, Weisser B, Wolfarth B, Nieß AM. Recommendations for Return-to-Sport after COVID-19: Expert Consensus. Dtsch Z Sportmed. 2022; 73: 127-136. doi:10.5960/dzsm.2022.532

  14. Zorzi A, Vessella T, De Lazzari M, Cipriani A, Menegon V, Sarto G, Spagnol R, Merlo L, Pegoraro C, Marra MP, Corrado D, Sarto P. Screening young athletes for diseases at risk of sudden cardiac death: role of stress testing for ventricular arrhythmias. Eur J Prev Cardiol. 2020; 27: 311-320. doi:10.1177/2047487319890973