Apnoetauchen – aus der Tradition in die Neuzeit

Editorial der Ausgabe 6/2025 der DZSM von Priv.-Doz. Dr. med. Lars Eichhorn. Der Mediziner verweist darin auf neue Entwicklungen im Apnoetauchen und auf Forschungsergebnisse, die beeindruckende Anpassungen des menschlichen Körpers für tiefere Tauchgänge aufzeigen.

Apnoetauchen – aus der Tradition in die Neuzeit
© artifirsov / Adobe Stock

Während das Gerätetauchen sich seit Jahren hoher Popularität erfreut, erlangte das Apnoetauchen erst in den letzten Jahren an Popularität. Die körperlichen Veränderungen, welche beim Geräte- wie auch im Apnoetauchen durch Druckunterschiede und körperliche Anstrengung ausgelöst werden, erfordern ein gesundes Gesamtsystem Mensch. Nicht planbare Umweltveränderungen (Strömung, Seegang, Unterwassertiere) benötigen eventuell weitere physiologische und psychische Ressourcen.

Während viele niedergelassene und/oder klinisch tätigen Kollegen Berührungspunkte mit dem Gerätetauchen haben und hatten, ist das medizinische Hintergrundwissen beim Thema Apnoetauchen häufig artifizieller. Eine Erweiterung des medizinischen Hintergrundwissens ist aufgrund wachsender Popularität jedoch wichtig.

Apnoetauchen, auch bekannt als Freitauchen, hat eine lange und faszinierende Geschichte. Ursprünglich wurde aus der Notwendigkeit heraus getaucht, Nahrung und Ressourcen aus dem Meer zu gewinnen. So sind die Ama seit über 2000 Jahren für ihre Fähigkeit bekannt, bis zu 20 Meter tief zu tauchen. Auch die Bajau in Südostasien, oft als „Seenomaden“ bezeichnet, verbringen den Großteil ihres Lebens auf dem Wasser. Neuste Studien zeigen bemerkenswerte physiologische und genetische Anpassungen, wie eine vergrößerte Milz, um ihre Tauchfähigkeiten zu optimieren (5). Sowohl die Ama als auch die Seenomaden demonstrieren die Vielfalt und Anpassungsfähigkeit menschlicher Tauchpraktiken über Jahrhunderte hinweg.

Abgesehen von militärischen Berichten und vereinzelten Berichten über Freitaucher wurde das Apnoetauchen in der westlichen Hemisphäre erst in den letzten Jahren populär. Als Jacques-Yves Cousteau und Émile Gagnan 1943 den modernen Atemregler, die Aqua-Lung, entwickelten und damit das Tauchen revolutionierten, rückte das Freitauchen zunächst in der öffentlichen Aufmerksamkeit zurück. Erst in den letzten 20 Jahren emanzipierte sich das Apnoetauchen und wird heute als selbstständige Sportart wahrgenommen. Insbesondere durch die ästhetische und abenteuerliche Natur des Sports grenzt es sich vom materialintensiven Gerätetauchen ab. Plattformen wie Instagram und YouTube sind voll von beeindruckenden Videos und Bildern von Freitauchern, die atemberaubende Unterwasserlandschaften erkunden. Visuell ansprechende Inhalte haben viele Menschen inspiriert, sich für das Freitauchen zu interessieren.

Neuere Entwicklungen im Apnoetauchen

Die verbesserte Verfügbarkeit wissenschaftlicher Forschung, der Zugang zu neuen Trainingsmethoden über Social-Media und die Möglichkeiten, gerade eine anfänglich enorme Leistungsexplosion bei sich selbst zu beobachten, haben die Popularität weiter stark steigen lassen. Grob unterschieden werden muss das statische Apnoetauchen an der Oberfläche, bei dem maximal lange die Luft angehalten wird, das Streckentauchen, bei dem eine möglichst lange Strecke im Flachwasser getaucht werden muss, und das Tieftauchen. Alle drei Disziplinen werden durch Regularien und optionale Hilfsmittel (Flossen, Abtriebsmittel etc.) weiter modifiziert.

Verbesserte Bildgebung (MRT, Ultraschalltechnik) und weitere Untersuchungsmethoden (near infrared spectroscopy, EEG) sowie molekularbiologische Methoden ermöglichen heute einen „vertiefenden“ Eindruck der Physiologie (7). Dabei gibt es durchaus einige Parallelen zu tauchenden Säugetieren. Beim Menschen ist der Tauchreflex geprägt durch eine synergistische sympathische und parasympathische Aktivierung, einen Anstieg der Katecholamine, eine Umverteilung des Blutflusses hin zu hypoxieempfindlichen Organen, und eine Reduktion der Herzfrequenz (3, 4). Zudem kann der menschliche Tauchreflex durch physiologische sowie emotionale Faktoren beeinflusst werden. Elite-Apnoetaucher können durch wiederholtes Apnoe-Training eine Abschwächung der Chemosensitivität gegenüber Hyperkapnie erreichen. Auch wird eine mögliche genetische Veranlagung diskutiert (1). In letzter Zeit rückte die Milz als Reservoir von Erythrozyten durch genetische Untersuchungen an Seenomaden wieder in den Fokus (5).

Tieftauchgrenzen

Weniger die absolute Apnoezeit bestimmt die maximale Tauchtiefe. Die individuelle Tieftauchgrenze ist multifaktoriell und u.a. abhängig von physiologischen Faktoren wie Lungengröße und -elastizität, kardialer Fitness, Blutumverteilung, Ökonomisierung der Tauchbewegungen, Druckausgleichstechniken und mentaler Stärke. Auch die Risikobereitschaft des Athleten, eine schwere Hypoxämie beim Aufstieg in Kauf zu nehmen, spielt eine Rolle.

Frühere physiologische Erklärungsansätze zu den Tiefenlimits des Apnoetauchens mussten zwischenzeitlich stark erweitert werden. Ursprünglich wurde das Verhältnis von Residualvolumen (RV) zu Gesamtlungenkapazität (TLC) als Hauptlimitation bei der erreichbaren Maximaltiefe angesehen. Gemäß dem Gesetz von Boyle-Mariotte ist das Produkt aus Druck (p) und Volumen (V) eines Gases bei konstanter Temperatur konstant. Somit wird beim Abtauchen die abgeschlossene Gasmenge in der Lunge zusammengedrückt, bis es zum Unterdruck und somit zum Parenchymeinriss kommt. So könnte ein Elite-Apnoetaucher mit einer TLC von 10 Litern und einem RV von 1,7 Liter gemäß dem RV/TLC-Verhältnis bis zu einer Tiefe von 49 m abtauchen.

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis der physiologischen Adaptationsmechanismen erweitert. Durch thorakale Blutverschiebungen sowie spezielle Atemtechniken wie die glossopharyngeale Insufflation und Exsufflation (Techniken zur forcierten Ein- und Ausatmung mittels Muskelpumpe) können deutlich größere Tiefen erreicht werden und physiologisch erklärt werden. Das folgende Rechenbeispiel soll die Auswirkungen der oben beschriebenen Einzelfaktoren auf die Tauchtiefe versinnbildlichen: Durch thorakale Blutverschiebung (1000 mL) erhöht sich das Tiefenlimit von 49 m auf 134 m, da das RV von 1,7 Liter auf 0,7 Liter reduziert würde. Durch Erhöhung der TLC auf 13,2 L mittels glossopharyngealer Insufflation sind Tauchtiefen von 179 m möglich. Durch glossopharyngeale Exsufflation wäre der Druckausgleich auch noch in Tauchtiefen unterhalb der 200 m möglich, da aktiv Luft aus dem RV gezogen wird – ein RV von 0,4 L ist somit erreichbar. (9) Der österreichische Freitaucher Herbert Nitsch stellte 2007 den offiziellen Weltrekord mit einer Tiefe von 214 m auf, was die enorme Adaptationsfähigkeit des Gesamtsystems Mensch verdeutlicht. Jedoch haben die genannten Techniken auch ihre Grenzen. So steigt z.B. der pulmonale Druck bei forcierter glossopharyngealer Insufflation auf bis zu 80 cm/H2O (9).

Kardiale Belastung beim Apnoetauchen

Die beim maximalen Tieftauchen notwendige glosspharyngale Insufflation führt schon vor Beginn der Apnoe zu einer behinderten kardialen Füllung, die initial eine Absenkung des mittleren arteriellen Blutdrucks (BD) bewirkt. Trotz verminderter HF steigt der BD beim Apnoetauchen kontinuierlich an. Um dies zu erklären, wurden BD, HF und Herzzeitvolumen (HZV, Produkt von HF und Schlagvolumen SV) in trockener Apnoe und beim Tauchen bis 30 m Tiefe bestimmt und daraus der totale periphere Widerstand (TPR) im großen Kreislauf abgeschätzt (10). Der steigende BD bei erniedrigter HF ließ sich so auf einen erhöhten TPR zurückführen. Steigender TPR begünstigt die Blutversorgung des ZNS und damit auch seine O2-Versorgung. Eine erhöhte Strömungsgeschwindigkeit des Blutflusses in zerebralen Gefäßen, nachgewiesen mittels MRT, kann die bessere O2 Versorgung erklären (6). In der letzten Phase der Apnoe löst der Anstieg des pCO2 den Atemreflex aus, der jedoch bei trainierten Apnoetauchern nicht zum Abbruch des Tauchgangs führt, sondern zu unwillkürlichen Atembewegungen (IBM, „involuntary breathing movements“).

Die IBM erhöhen bei der Einatembewegung die HF und bei der Ausatembewegung senken sie die HF, genauso wie dies bei normaler Atmung beobachtet wird (respiratorische Arrhythmie). Im Gegensatz zur normalen Atmung wird die IBM bei geschlossenem Mund durchgeführt. Dies induziert große intrathorakale Druckunterschiede zwischen „ein- und ausgeatmet“, was wiederum die Füllung der kardialen Ventrikel unterstützt, und ein vergrößertes SV bewirkt (3). Großes SV erhöht den BD (s.o.). In der letzten Phase von Apnoe-Tauchgängen wurden bei Belastung systolische Blutdrücke von bis zu 250 mmHg gemessen.

Innertgasnarkosen und Dekompressionserkrankungen beim Apnoetauchen

Stickstoffnarkosen können ab 10 m Tiefe kognitive und körperliche Funktionen beeinträchtigen und werden klinisch ab 30–40 m deutlich. Als typische Symptome einer Stickstoffnarkose gelten Desorientierung, Gedächtnisprobleme, Euphorie, Halluzinationen, Stimmungsschwankungen, gestörte Koordination, psychomotorische und intellektuelle Defizite sowie Bewusstlosigkeit.
Die anästhetische Potenz von Narkosegasen wird oft mit der Lipidlöslichkeit korreliert (Meyer-Overton-Theorie). N2 und andere Inertgase binden an Zellmembranen und können diese über ein kritisches Volumen hinaus anschwellen lassen, was narkotische Effekte verursacht (8). Da der Druck die narkotische Potenz linear beeinflusst, die Effekte beim Aufstieg der Freitaucher jedoch nicht sofort verschwinden, sind die Effekte bei Freitauchern offensichtlich noch komplexer. Diskutiert werden aufgrund der schnellen Aufstiegsgeschwindigkeit der verzögerte Abfall des N2-Partialdrucks im ZNS sowie eine gestörte cerebrale Autoregulation (9).

Für lange Zeit galten Dekompressionserkrankungen und Gasembolien (Inertgas-Embolien) beim Apnoetauchen als extrem unwahrscheinlich. Neuere Reviews zeigen jedoch ein erhöhtes Risiko bei tiefen Tauchgängen, Wiederholungstauchgängen und in Kombination von Apnoetauchen und Gerätetauchen (2).

Dr. med. Lars Eichhorn
Priv.-Doz. Dr. med. Lars Eichhorn, Stellv. Ärztlicher Direktor, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie, Helios Klinikum Bonn/Rhein-Sieg © Eichhorn

■ Eichhorn L

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Quellen:

  1. Bain AR, Drvis I, Dujic Z, et al. Physiology of static breath holding in elite apneists. Exp Physiol. 2018; 103: 635-651. doi:10.1113/EP086269

  2. Blogg SL, Tillmans F, Lindholm P. The risk of decompression illness in breath-hold divers: a systematic review. Diving Hyperb Med. 2023; 53: 31-41. doi:10.28920/dhm53.1.31-41

  3. Eichhorn L, Doerner J, Luetkens JA, et al. Cardiovascular magnetic resonance assessment of acute cardiovascular effects of voluntary apnoea in elite divers. J Cardiovasc Magn Reson. 2018; 20:40. doi:10.1186/s12968-018-0455-x

  4. Eichhorn L, Erdfelder F, Kessler F, et al. Influence of Apnea-induced Hypoxia on Catecholamine Release and Cardiovascular Dynamics. Int J Sports Med. 2017; 38: 85-91. doi:10.1055/s-0042-107351

  5. Ilardo MA, Moltke I, Korneliussen TS, et al. Physiological and Genetic Adaptations to Diving in Sea Nomads. Cell. 2018; 173: 569-580.e15. doi:10.1016/j.cell.2018.03.054

  6. Keil VC, Eichhorn L, Mutsaerts HJMM, et al. Cerebrovascular Reactivity during Prolonged Breath-Hold in Experienced Freedivers. AJNR Am J Neuroradiol. 2018; 39: 1839-1847. doi:10.3174/ajnr.A5790

  7. Patrician A, Duji´c Ž, Spaji´ c B, et al. Breath-Hold Diving - The Physiology of Diving Deep and Returning. Front Physiol. 2021; 12: 639377. doi:10.3389/fphys.2021.639377

  8. Rostain JC, Lavoute C. Neurochemistry of Pressure-Induced Nitrogen and Metabolically Inert Gas Narcosis in the Central Nervous System. Compr Physiol. 2016; 6: 1579-1590. doi:10.1002/cphy.c150024

  9. Tetzlaff K, Lemaitre F, Burgstahler C, et al. Going to Extremes of Lung Physiology-Deep Breath-Hold Diving. Front Physiol. 2021; 12: 710429. doi:10.3389/fphys.2021.710429

  10. Tocco F, Marongiu E, Pinna M, et al. Assessment of circulatory adjustments during underwater apnoea in elite divers by means of a portable device. Acta Physiol (Oxf). 2013; 207: 290-298. doi:10.1111/apha.12000